Mit spitzer Feder

Mit seinen Bildern und Graphic Novels wendet sich der bildende Künstler Hamid Reza Vassaf gegen das autoritäre Regime in seinem Land und warnt die Staaten des Arabischen Frühlings davor, dieselben politischen Fehler zu begehen wie der Iran nach der Revolution von 1979. Mit ihm sprach Cécile Oumahani.

Herr Vassaf, Sie waren Dozent für audiovisuelle Kommunikation an der Azad-Universität für Kunst und Architektur in Teheran. Wie gestaltete sich Ihr Werdegang bis zu Ihrer Ausreise aus dem Iran?

Hamid Reza Vassaf: Im Iran war ich als Akademiker an der Universität tätig und hatte außerdem ein Atelier, das sich zum Treffpunkt von Intellektuellen und Schriftstellern entwickelte. Von dort aus arbeitete ich als Grafiker und Kunstdirektor zusammen mit mehreren Verlagshäusern, Zeitschriften- und Zeitungsredaktionen, die sich nicht an die offizielle Linie der islamischen Theokratie hielten. Ich habe außerdem mehrere bebilderte Bücher zum Recht der freien Meinungsäußerung veröffentlicht, die derzeit im Iran verboten sind.

Sie mussten schließlich nach Frankreich auswandern, als das Regime in Teheran missbilligend auf einige Ihrer Werke reagierte. Weshalb?

Vassaf: Ich bin Künstler. Mein Ziel ist es daher nicht, Politik zu machen. Doch ich konnte nicht tatenlos zusehen, was in meinem Land vor sich ging. Meine Werke illustrierten die Widrigkeiten und Probleme der islamischen Theokratie. Aus diesem Grund haben die Autoritäten irgendwann die Türen vor mir dicht gemacht, und setzten mich auf eine Schwarze Liste der Künstler. Man verbot mir zu publizieren, Ausstellungen zu machen und zu unterrichten.

Cover Talisman-Grafik von Hamid Reza Vassaf
Irans Tugendwächtern ein Dorn im Auge: die Talismangrafik veranlasste die Polizei zur Festnahme Hamid Reza Vassafs und zu einem Verbot "kritischer oder subversiver" Ausstellungen im Iran.

​​Daraufhin entschied ich mich, nach Frankreich ins Exil zu gehen, um meine Doktorarbeit zu schreiben. Ich hoffte, dass die düsteren Zeiten der Präsidentschaft von Mahmud Ahmadinedschad 2009 ein Ende finden würde. Doch dann blieben Ahmadinedschad und der Oberste Führer, Ayatollah Khamenei, infolge des Wahlbetrugs weiter an der Macht.

Sie wurden von der iranischen Polizei vorübergehend festgenommen, nachdem Sie eine Ausstellung organisiert hatten. Worum ging es dabei?

Vassaf: Wie Sie sicherlich wissen, ist Persisch die offizielle Sprache im Iran. Dennoch haben die politischen Führer der Islamischen Republik die Gewohnheit, ihre offiziellen und inoffiziellen Reden mit einigen arabischen Sätzen einzuleiten. Ich habe dasselbe Phänomen im nationalen Fernsehen und in den Straßen von Teheran verfolgt, wo man mitunter Slogans an Wänden auf Arabisch sieht. Ich bin kein Nationalist, aber ich mag es nicht, wenn die politischen Führer meines Landes meine Landsleute und mich in einer Sprache ansprechen, die die Mehrzahl der Iraner nicht versteht.

Als Antwort darauf organisierte ich eine Ausstellung mit 28 Kunstwerken in Teheran unter dem Namen Telesm Negareh (Talisman-Grafik). In diesen Werken präsentierte ich mystische Helden aus dem vor-islamischen Iran, die in einem völlig nichtssagenden Text aus arabischen Schriftzeichen im Schreibstil des Korans eingeschlossen waren.

Gleich am ersten Tag erschienen am Ausstellungsort Vertreter des Regimes, vertrieben alle Beteiligten und rissen sämtliche Kunstwerke an sich. Anschließend forderten sie mich auf, ihnen mein Büro zu zeigen, wo sie alle meine Computer durchsuchten und dann meinen Laptop und alle Dokumente mitnahmen, die ihnen suspekt vorkamen. Dann brachten sie mich in ein Gebäude, das dem Anschein nach eine Zentrale der Ordnungskräfte war. Dort hörte ich Schreie von Häftlingen, die man schlug und vielleicht auch folterte. Man steckte mich alleine in eine Zelle und fragte mich dreimal aus, jedes Mal bekam ich Schläge und Fußtritte.

Sie warfen mir vor, den Islam und den Koran beleidigt zu haben. Ich verneinte dies und erklärte, dass ich den Stellenwert der arabischen Sprache im Persischen und den Gebrauch der arabischen Sprache durch die politischen Führer kritisierte, nicht aber den Koran. Letzten Endes musste ich ein Dokument unterschreiben, in dem ich mich dazu verpflichtete, keine weiteren "kritischen oder subversiven" Ausstellungen zu veranstalten.

Einige Ihrer Bücher wurden sogar vernichtet. Welche Bücher waren das und wie kam es dazu?

Vassaf: Das waren meine Bücher zum Thema "freie Meinungsäußerung". Direkt nachdem meine Bücher veröffentlicht worden waren, organisierten die Konservativen Demonstrationen, um damit Druck auf die damalige regierende Reformpartei auszuüben und damit das Verbot der Bücher zu bezwecken. Dennoch blieb nach der Veröffentlichung noch genug Zeit, um die Bücher in Umlauf zu bringen, so dass ich den Eindruck habe, dass ich dennoch zur Information oder Aufklärung der Bevölkerung beigetragen konnte.

Wie entstand die Idee zu Ihrer Comic-Reihe "Im Land der Mullahs"?

Vassaf: Die Idee entstand im Jahr 2009 - zu dem Zeitpunkt, als wir, d.h. einige junge Iraner in Lyon, gegen den Wahlbetrug Ahmadinedschads demonstrierten. Dabei kam es zu mehreren Zusammenstößen mit Franzosen arabischer Herkunft, die Irans Präsident Ahmadinedschad verehrten.

Cover Im Land der Mullahs von Hamid Reza Vassaf
Hamid Reza Vassaf: "Ich wollte meinen Lesern in den Comics mitteilen, dass der politische Islam weder gut für den Glauben noch für die Politik ist"

​​Ich wollte meinen Lesern in den Comics mitteilen, dass der politische Islam weder gut für den Glauben noch für die Politik ist. Es war meine Absicht zu zeigen, dass der iranische Präsident den Islam für seine politischen Zwecke missbraucht. Und ich wollte den Muslimen der Welt unsere Erfahrungen mit dem politischen Islam im Iran vermitteln, um ihnen die Illusion vom Islam als das Maß aller Dinge zu nehmen. Daraufhin ließ das politische Regime alle meine Grafikbücher, die ich für die Universität publiziert hatte, kurzerhand verbieten.

Sie haben einmal erwähnt, dass Sie auch nicht von den politischen Umbrüchen des Arabischen Frühlings überzeugt sind. Warum?

Vassaf: Weil das, was gerade in diesen Ländern passiert, genau dem entspricht, was wir nach der Revolution von 1979 mit der Einführung der Islamischen Republik erlebt haben. Ich vertraue den Vertretern des gemäßigten Islams nicht, da die Erfahrungen im Iran gezeigt haben, dass diese Politiker letztlich den Weg zur Macht für die fundamentalistischen Kräfte ebnen.

Schauen Sie sich nur die Mitglieder der provisorischen Regierung nach der Islamischen Revolution an: Sie alle nannten sich gemäßigte Islamisten – genau wie Rachid Ghannouchi und Mohammed Mursi. Sie alle hatten an amerikanischen und französischen Universitäten studiert, wussten aber nicht wirklich, wie eine westliche Demokratie funktioniert. Wie kann dann überhaupt eine wirkliche Demokratie in diesen Ländern entstehen, in denen es weder tragfähige demokratische politische Parteien, soziale Institutionen noch eine demokratische Kultur gibt?

Ich möchte Mohammed Mursi und Rachid Ghannouchi gerne eine einfache Frage stellen: Können in dem von ihnen angestrebten politischen Systemen auch Christen, Juden oder Atheisten Präsident werden? Wenn ja, wie kann ein Christ, Jude oder Atheist, der nicht an den Islam glaubt, das islamische Recht in der Gesellschaft anwenden? Wenn nicht, wie rechtfertigen sie die politische und soziale Ungleichheit ihres politischen Systems?

Demokratie bedeutet nicht, dass man mit der Wahl durch die Mehrheit die Rechte der Minderheiten negiert. Im Gegenteil: Die Demokratie sollte die Rechte der Minderheiten schützen. Die erste Etappe dafür ist meiner Meinung nach die Trennung zwischen Religion und Staatsmacht. Wenn die Ägypter und Tunesier sich nicht an dieses Prinzip halten, dann wird das Ergebnis der Revolution bloß der Übergang von einer klassischen Diktatur zu einer religiösen Diktatur sein.

An welchen Projekten arbeiten Sie derzeit?

Vassaf: Ich arbeite gegenwärtig an meiner Doktorarbeit im Bereich Kunstgeschichte und habe bereits zwei Szenarien für meine nächste Comicreihe geschrieben. Ich habe vor, mit der Bebilderung nach der Verteidigung meiner Doktorarbeit Ende 2013 zu beginnen.

Interview: Cécile Oumahani

© Babelmed 2013

Übersetzt aus dem Französischen von Julie Schwannecke

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de