Werden Frauen weiterhin eine Bedrohung darstellen?

Ghanem-Yazbeck: Ich glaube schon. Einerseits werden Frauen weiterhin an der Verbreitung dschihadistischer Propaganda über soziale Medien mitwirken und versuchen, gefährdete Personen zu indoktrinieren und zu rekrutieren. Andererseits könnten einige dieser fanatisierten Frauen (und Männer) in ihre jeweiligen Länder zurückkehren und dort Terroranschläge verüben. Entscheidend ist, dass wir ein besseres Verständnis ihrer Rolle und ihrer Beweggründe entwickeln. Nur so können wir wirksame Gegenmaßnahmen entwickeln. Wir werden gefährdete Personen nur daran hindern, sich dem IS anzuschließen, indem wir ihrer Ideologie etwas entgegensetzen, das eine bessere Alternative darstellt.

Logo der US-Kampagne Die Kampagne 'Think Again Turn Away'; Quelle: US-State Department
Ghanem-Yazbeck: "Die Kampagne 'Think Again Turn Away' war erfolglos, weil sie vom US-Außenministerium ins Leben gerufen wurde. Warum sollte eine gefährdete Person, die in Amerika den 'Todfeind' sieht, auf dessen Gegennarrative und Kampagnen hören?"

In Ihrer Lehrveranstaltung sprachen Sie davon, den Rückkehrern eine Stimme zu geben. Inwiefern?

Ghanem-Yazbeck: Dieser Ansatz war sowohl in Algerien als auch in Indonesien erfolgreich. Das Gegennarrativ muss aus einer geeigneten und „legitimen“ Quelle stammen. Die Kampagne "Think Again Turn Away" war erfolglos, weil sie vom Außenministerium der USA ins Leben gerufen wurde. Warum sollte eine gefährdete Person, die im US-Außenministerium den "Todfeind" sieht, auf dessen Gegenerzählung und Kampagne hören? Ehemalige Extremisten, "Aussteiger", Rückkehrer und "reuige" inhaftierte Extremisten sind überzeugender. Diesen "Ehemaligen" sollte die Möglichkeit gegeben werden, ihre Erfahrungen zu diskutieren und ihre Geschichten der Öffentlichkeit mitzuteilen. Dank ihrer Authentizität können sie das Vertrauen der Rückkehrer oder gefährdeten Personen gewinnen.

Ein Beispiel: Der ehemalige indonesische Dschihadist der islamischen Terrororganisation Jemaah Islamiyah profitierte von einer solchen Entradikalisierungsinitiative und leitet mittlerweile eine lokale Nichtregierungsorganisation. Er erklärte: "Früher war ich so wie sie. Ich war einmal Teil ihrer Welt. Also weiß ich, wie man mit ihnen in ihrer Sprache spricht." Mit diesem Ansatz gelang es der indonesischen Regierung, 680 extremistische Kämpfer dazu zu bewegen, ihrer Ideologie abzuschwören und sie zu rehabilitieren. Auch ehemalige Dschihadisten können bei dieser Sensibilisierung helfen. Ein weiteres Beispiel ist der ehemalige malaysische Extremist Nasir Abbas. Er wurde schließlich Schriftsteller und hat seine Erfahrungen mit dem Dschihadismus in eine Graphic Novel fließen lassen. Sein Buch wurde in Schulen und Bibliotheken verteilt. Es soll die Menschen zum Nachdenken anregen und ihre Einstellung zum Dschihad verändern.

Das Interview führte Zahra Nedjabat.

© Qantara.de 2018

Aus dem Englischen von Peter Lammers

Dalia Ghanem-Yazbeck ist Resident Scholar am Carnegie Middle East Center in Beirut, wo sie sich mit politischer und extremistischer Gewalt, Radikalisierung, Islamismus und Dschihadismus mit Schwerpunkt Algerien auseinandersetzt.

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