Während der Sommeruniversität sprachen Sie über die Möglichkeit einer dschihadistischen Entradikalisierung für Rückkehrer aus Kriegsgebieten. Wie könnte eine erfolgreiche Wiedereingliederung in die Gesellschaft aussehen und wie realistisch ist Ihrer Meinung nach die Anwendung einer Einzelfallmethode zur Beurteilung von dschihadistischen Rückkehrern?
Ghanem-Yazbeck: Ich sprach eigentlich von Rehabilitation und nicht von Entradikalisierung. Ich glaube, dass Rehabilitation und Selbstbestimmung durch eine entsprechende Fachausbildung erfolgreich sein können. Die Auseinandersetzung mit Rückkehrern zu vermeiden, indem man ihnen die Staatsbürgerschaft entzieht oder sie ins Gefängnis wirft, weil man keine bessere Lösung hat, könnte sich als Bumerang erweisen. Wenn möglich, würde ich außerdem die Einzelfallmethode bevorzugen.
Behörden müssen flexibler mit Rückkehrern umgehen können und ihnen Rehabilitationsmaßnahmen anbieten, damit sie sich wieder in die Gesellschaft und ihre Gemeinschaften integrieren. Letzteres ist deswegen so wichtig, weil viele dieser Frauen und Männer gerade aus dem Wunsch heraus fortgegangen sind, Teil einer "Gemeinschaft" zu sein, die wichtiger ist als alles andere – sogar wichtiger als die Familie. Hier sind alle gefragt: gemeinnützige Institutionen, Großindustrie und private Wirtschaft. Arbeit verleiht dem Leben dieser Menschen einen Sinn und ein Gefühl von Anerkennung und Zugehörigkeit. In Indonesien haben sich solche Initiativen bewährt. Ehemalige extremistische Häftlinge wurden rehabilitiert und erhielten Arbeitsplätze in Fischfarmen, Restaurants oder Literaturcafés.
Wenn man sich die angespannte Politik des Westens in Bezug auf den Islam und den Dschihadismus vor Augen führt, halten Sie dann das Rehabilitationsmodell eines Landes wie Algerien in der westlichen Welt für einen realistischen Ansatz?
Ghanem-Yazbeck: Es gibt nicht das eine perfekte Konzept für die Demobilisierung und Rehabilitation von Dschihadisten. Trotz unbestrittener Mängel hat der algerische Ansatz aber dazu beigetragen, den Konflikt zu beenden und rund 15.000 ehemalige Kämpfer wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Doch was in Algerien erfolgreich war, kann in anderen Ländern scheitern. Jedes Land hat seine eigenen Schwierigkeiten und Besonderheiten. Die Orientierung an den algerischen Erfahrungen könnte sich jedoch an anderer Stelle als wertvoller Ausgangspunkt für die Entwicklung von Deradikalisierungsinitiativen erweisen – sei es im Westen oder in Nahost und Nordafrika. Wenn man aus der algerischen Erfahrung eine Lehre ziehen will, dann die Erkenntnis, dass eine militärische Antwort alleine ihr Ziel nicht erreichen kann. Dschihadismus ist vor allem ein gesellschaftliches Phänomen. Niemand kommt als Terrorist zur Welt. Wenn wir uns nicht auf sozialer Ebene damit auseinandersetzen, könnte der Terrorismus erneut seine hässliche Fratze zeigen.