Interview mit Abdallah Frangi zum Nahost-Friedensprozess

Die Palästinenser zeichnen sich nach Worten des Politikers und Diplomaten Abdallah Frangi heute durch einen hohen Bildungsgrad sowie eine gefestigte palästinensische Identität aus. Allerdings brauche es Neuwahlen und eine Versöhnung zwischen Fatah und Hamas, meint der Berater von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas.

Herr Frangi, wie sehen Sie die Rolle Deutschlands im israelisch-palästinensischen Konflikt?

Abdallah Frangi: Die deutsche Politik hat sich zu uns Palästinensern insgesamt verbessert. Vor allem Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich wiederholt für die Zweistaatenlösung ausgesprochen. Deutschland möchte keine Vermittlerrolle spielen, drängt aber auf Verhandlungen zwischen der israelischen und der palästinensischen Seite, um eine Einigung zu erzielen. Die deutschen Medien zeigen leider wenig Interesse, über den israelisch-palästinensischen Konflikt zu berichten.

Der Konflikt hält seit Jahrzehnten an. Sehen Sie noch Möglichkeiten, Brücken zu bauen?

Frangi: Nach dem Tod von Ministerpräsident Yitzhak Rabin 1995 gab es keinen israelischen Politiker mehr, der bereit war, mit uns den Friedensprozess fortzusetzen. Rabin wurde umgebracht, weil er der einzige war, der mit Jassir Arafat das Abkommen von Oslo mitgetragen hat. Seit dieser Zeit bewegt sich die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahu immer mehr nach rechts. Das spiegelt sich auch in der israelischen Gesellschaft wider. Diese Entwicklung macht es schwierig für Präsident Mahmud Abbas und die gesamte palästinensische Führung, Verhandlungen mit der israelischen Regierung zu führen.

Innerpalästinensisch schwindet der Rückhalt für Abbas; die Rivalitäten zwischen Fatah und Hamas werden nicht weniger. Ist auf palästinensischer Seite eine neue Führung in Sicht?

Frangi: Wir haben viele Leute, die in der Lage wären, die Rolle von Präsident Abbas zu übernehmen. Ich kann aber versichern, dass er seine Arbeit sehr gut macht. Er wird vor allem in israelischen Medien als alt und krank dargestellt. Abbas hat die Unterstützung der Palästinenser. Er setzt sich für Neuwahlen ein, damit sich die palästinensische Gesellschaft wieder findet. Es gibt keine andere Möglichkeit als Wahlen - aber die müssen gut vorbereitet werden. Der Versöhnungsprozess zwischen Fatah und Hamas muss beschleunigt werden. Wir müssen sehen, was das palästinensische Volk will und welche Führung es wünscht. Es ist nicht mehr durch Verhandlungen zwischen uns und Hamas allein zu lösen.

Und Israel?

Frangi: Israel konzentriert sich weiterhin auf Innenpolitik. Es besetzt Land, baut Siedlungen im Westjordanland und in Ostjerusalem, deren Zahl mittlerweile beängstigend hoch ist. Es schafft Checkpoints und zerstückelt das Land, auf dem der palästinensische Staat entstehen soll. Solange Israel diese Politik betreibt, wird kein Frieden in diese Region kommen. Jene, die glauben, dass die Palästinenser sich früher oder später mit den von Israel geschaffenen Tatsachen abfinden werden, sind naiv. Wir als Palästinenser sind nicht mehr die gleichen wie 1948.

Das müssen Sie erläutern.

Frangi: 1948 hatten wir keine echten Verbündeten. Unsere Zahl war gering. Jetzt sind wir 13 Millionen Palästinenser in der ganzen Welt. Wir haben einen hohen Bildungsgrad erreicht. Wenn Israel darauf besteht, uns festzuhalten als Gefangene in einem israelisch-jüdischen Staat, werden wir die Mehrheit erhalten und zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer Zustände wie in Südafrika haben. Eine Zukunft Israels und der Palästinenser ist nur möglich, wenn die Israelis einen Staat Palästina neben sich akzeptieren und die Grenzen festlegen. 

Das heißt, Sie halten an einer Zweistaatenlösung fest?

Frangi: Wir haben seit 1948 sehr viel gelitten, aber wir haben einen politischen Weg gewählt. Wir haben die PLO gegründet, und sie wurde als der einzige legitime Vertreter des palästinensischen Volkes anerkannt. Das heißt, die palästinensische Identität ist wiederhergestellt worden. Ob in Flüchtlingslagern, im Gazastreifen, im Westjordanland oder bei palästinensischen Flüchtlingen im Libanon und in Syrien: Sie sind alle der palästinensischen Identität loyal. Und das bedeutet, dass sie auf einen palästinensischen Staat warten und dazu bereit wären, als Bürger dieses Staates zu leben.

Sie waren lange der Vertreter der Fatah in Gaza, in dem die Lage seit Monaten als angespannt gilt. Wie bewerten Sie die Lage?

Frangi: Die Ägypter spielen dort eine sehr gute Rolle, indem sie Israel zu bremsen versuchen, das in Richtung einer militärischen Intervention geht. Sie vermitteln mit Erfolg. Es läuft in Richtung eines Waffenstillstands. Wir wollen aber zuvor den Versöhnungsprozess zwischen Fatah und Hamas soweit voranbringen, dass wir mit Vorbereitungen der Wahlen beginnen können.

Wie beurteilen Sie die gegenwärtige humanitäre Lage? 

Frangi: Die humanitäre Situation ist katastrophal und kaum zu beschreiben. In dem israelischen Angriffskrieg von 2014 wurde die gesamte Infrastruktur von Gaza zerstört, die Häuser zerbombt; viele wurden obdachlos. Es gab 2.250 Tote und 14.000 Verletzte, Männer, Frauen und Kinder. Heute gibt es Strom und Wasser nur zu begrenzter Zeit, Nahrungsmittel sind knapp, Medikamente nur unzureichend vorhanden. Mir fehlen die Worte, diesen Zustand zu beschreiben.

Gleichzeitig habe ich als Gouverneur in Gaza erlebt, wie stark der Zusammenhalt der Palästinenser ist. Das Volk hat so viel Kraft gezeigt. Ich bin zuversichtlich, dass sich die Zweistaatenlösung durchsetzen wird in dieser Region - und wir dann die Probleme wie Wasser, Rückkehr oder Entschädigung der Flüchtlinge und die anderen Punkte, die Oslo ausgeklammert hat, zwischen zwei Staaten lösen können. Es gibt keine Lösung mittels Macht oder militärischer Gewalt. (KNA)