Kreativer Widerstand gegen Stacheldraht und Mauern

Der Begriff "Palästinensischer Widerstand" weckt Assoziationen mit Selbstmordanschlägen und Steine werfenden Jugendlichen. Dabei ist der gewaltlose Widerstand in Palästina längst Realität. Das Dorf Bil’in hat dabei immer eine Vorreiterrolle gespielt. Laura Overmeyer sprach mit Abdallah Abu Rahma, Mitbegründer und Koordinator des "Bil'in Popular Committee against the Wall".

Von Laura Overmeyer

Abdallah Abu Rahma, seit Jahren engagieren Sie sich schon im gewaltfreien Widerstand und zählen zu Palästinas bekanntesten Aktivisten. Wie kamen Sie zu dieser Rolle?

Abdallah Abu Rahma: Bereits während der ersten Intifada in den achtziger Jahren und meinem Studium in den Neunzigern habe ich mich am gewaltlosen Widerstand beteiligt. Wirklich aktiv wurde ich jedoch 2002, als Israel Absichten zum Bau einer "sicherheitsbedingten" Sperranlage zum Westjordanland verkündete.

Als dann 2004 bekannt wurde, dass diese "Apartheid-Mauer" vom ursprünglichen Verlauf der Grünen Linie abweichen und mein Dorf von mehr als der Hälfte seines Landes abschneiden würde, beschlossen meine Freunde und ich, dass es Zeit zum Handeln war. Viele Menschen leben in Bil‘in von der Landwirtschaft. Der Verlust ihres Landes bedeutet den Verlust ihrer Lebensgrundlage.

Also gründeten Sie das "Bil’in Popular Committee against the Wall".

Abu Rahma: Richtig. Wir trafen uns mit israelischen und internationalen Aktivisten und begannen, unsere gewaltfreien Aktionen zu planen. Als am Morgen des 20. Februar 2005 die Bulldozer anrückten, um mit der Planierung unserer Felder zum Bau der Sperranlage zu beginnen, waren wir bereit für unsere erste Demonstration. Sie endete – wie alle Demonstrationen in den kommenden Tagen, Wochen und Jahren – mit einem Gewaltakt durch israelische Soldaten.

Doch wir haben uns dadurch nicht entmutigen lassen und machten weiter – zunächst im Tagestakt, nach ein paar Monaten dann im Wochentakt, um nicht in Routine zu verfallen. So halten wir es seitdem: jeden Freitag nach dem Gebet demonstrieren wir an der Sperranlage.

Abdullah Abu Rahma, Koordinator des "Bil'in Popular Committee Against the Wall"; Foto: AP
Courage und gewaltfreie Aktion: Abdullah Abu Rahma, Koordinator des "Bil'in Popular Committee Against the Wall" wurde 2009 verhaftet und zu 15 Monaten Haft wegen "Aufwiegelung" sowie "Organisation und Teilnahme an illegalen Protesten" verurteilt.

Jeden Freitag also dasselbe Prozedere?

Abu Rahma: Nein, insbesondere am Anfang waren wir sehr kreativ. Wir dachten uns immer neue Aktionen aus, um das Interesse der Medien zu wecken und mehr Menschen – aus Palästina, Israel oder dem Ausland – zur Teilnahme und Solidarität zu bewegen. Wir ketteten uns an die wertvollen alten Olivenbäume und behinderten die israelischen Zerstörungen auf jede denkbare Weise.

Später, als der erste vorläufige Zaun auf unserem Land gebaut wurde, beschlossen wir, es Israel gleichzutun und eine "Siedlung" auf der anderen Seite des Zauns zu errichten. Wir stellten einen Container auf, der von den israelischen Soldaten immer wieder entfernt und von uns immer wieder ersetzt wurde. Wir gingen vor Gericht, erklärten, dass dieser Container ebenso illegal sei wie die 500 "Outposts" (die von Israel noch nicht anerkannten Siedlungen) im Westjordanland. Da diese nicht entfernt würden, hätten sie auch kein Recht unseren Container zu entfernen.

Wir erhielten die einstweilige Erlaubnis, unseren Container und somit auch unser Land jenseits des Zauns zu betreten. Der Container wurde zu unserem Treffpunkt und wir veranstalteten viele Aktionen dort, beispielsweise ein Public Viewing während der Fußballweltmeisterschaft 2006. Solche Aktionen verschafften uns internationale Aufmerksamkeit und führten dann letztlich zum Erfolg unseres Komitees.

Und wie genau sah dieser Erfolg aus?

Abu Rahma: Gleich zu Beginn unserer Aktivitäten hatten wir uns einen israelischen Anwalt gesucht, der unseren Fall vor dem israelischen Gesetz vertreten sollte. Am 4. September 2007 schließlich kam die große Nachricht, dass der Oberste Gerichtshof zu unseren Gunsten entschieden hatte: Die Mauer trenne unser Dorf unrechtmäßig von unserem Land und die dafür vorgebrachten "Sicherheitsgründe" seien nicht haltbar. Die Sperranlage in dieser Form müsse abgebaut werden.

Proteste von Palästinensern aus Bil'in gegen den Sperrwall und die israelsiche Siedlungspolitik; Foto: Laura Overmeyer
Bil'in als Zentrum des gewaltlosen Widerstands in den besetzten palästinensischen Gebieten: Seit Jahren wehren sich die Einwohner des Ortes gegen ihre Enteignung. 60 Prozent ihres Landes haben sie bereits durch den Bau der israelischen Trennmauer verloren. Auf dem von Israel annektierten Gebiet wurde eine jüdische Siedlung errichtet.

Das war ein großartiger Erfolg – nicht nur für Bil'in, sondern auch für das Prinzip des gewaltfreien Widerstands. Hätten wir unseren Fall nicht dauerhaft publik gemacht, wären wir wohl untergegangen.

Trotz dieses Erfolgs vor Gericht gehen die freitäglichen Proteste bis heute weiter. Worin bestehen Ihre Forderungen?

Abu Rahma: Die Entscheidung war zwar zu unseren Gunsten gefallen, doch die Israelis machten keinerlei Anstalten, den errichteten Zaun zu entfernen. Tatsächlich geschah dies erst im Juni 2011 und der neue Verlauf der Sperranlage, diesmal als konkrete Mauer erbaut, konfisziert noch immer 25 Prozent unseres Landes.

Wir demonstrieren gegen den andauernden Landraub und Siedlungsbau in der gesamten Westbank. Wir demonstrieren gegen die Mauer, die uns von unseren Freunden und Verwandten trennt. Wir demonstrieren gegen die Unterdrückung und Diskriminierung der palästinensischen Bevölkerung und gegen die Okkupation im Allgemeinen. Bil'in ist ein Modell und wir können unsere Proteste nicht einfach einstellen.

Mittlerweile ist Bil’in ja nicht mehr der einzige Ort im Westjordanland, der sauf Methoden des gewaltfreien Widerstands zurückgreift…

Abu Rahma: Richtig, nach und nach begannen auch andere Dörfer, die mit ähnlichen Situationen zu kämpfen hatten, unserem Beispiel zu folgen: Nil'in, Nabi Saleh, Kufr Qaddoum, Al-Maasara. Wir unterstützen sie so gut wir können, denn wir ziehen schließlich alle am gleichen Strang.

Zudem organisieren wir seit einiger Zeit eine jährliche Konferenz über Formen des gewaltfreien Widerstands und nehmen an anderen Aktionen innerhalb der Westbank Teil, wie den seit Januar 2013 veranstalteten Protestcamps. Bab al Shams war das erste dieser Art: Wir errichteten ein Zeltlager im so genannten E1-Gebiet in Ostjerusalem, um gegen Israels Pläne zur Bebauung dieses letztenKorridors zwischen Jerusalem und dem Westjordanland zu protestieren. Das Camp wurde bereits nach zwei Tagen gewaltsam aufgelöst und zerstört, viele Aktivisten wurden verhaftet. Doch die Aktion erregte große internationale Aufmerksamkeit. Daraufhin wiederholten wir sie mehrere Male, zuletzt im Januar 2014 in den Ruinen des historischen kanaanitischen Dorfes Ein Hijleh im Jordantal.

Aktionen dieser Art sind nicht ungefährlich…

Abu Rahma: …doch es sind Opfer, die man erbringen muss. In den vergangenen neun Jahren wurden in Bil’in mehr als 1.500 Demonstranten verletzt, zwei gute Freunde verloren ihr Leben. Mehr als 200 Menschen wurden – zum Teil mehrfach – verhaftet.

Ich selbst wurde 2009 verhaftet und zu 15 Monaten Haft wegen "Aufwiegelung" sowie "Organisation und Teilnahme an illegalen Protesten" verurteilt. Zu dieser Zeit waren mehr als 50 weitere gewaltlose Aktivisten aus Bil‘in inhaftiert. Ich hatte Glück und kam aufgrund einer konzertierten weltweiten Kampagne von Menschenrechtsorganisationen und ausländischen Regierungen vorzeitig frei. Catherine Ashton setzte sich persönlich für meine Freilassung ein und äußerte ihre Besorgnis über das Vorgehen Israels gegen einen "Vertreter des friedlichen Widerstands". Ich bin der erste Palästinenser, der von der Europäischen Union mit dem Titel "Menschenrechtsverteidiger" ausgezeichnet wurde…

Das Interview führte Laura Overmeyer.

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