"Ein Schriftsteller kann nur schreiben"

Der deutsche Autor Michael Kleeberg hat im Rahmen des Diwan-Projekts den Libanon kennen gelernt. Im Interview spricht er über seine Verzweiflung angesichts des Krieges und die Untätigkeit der internationalen Gemeinschaft.

Michael Kleeberg; Foto: privat
"Ich bin seit Wochen einfach erschüttert bei dem Gedanken, was sich dort abspielt," sagt Kleeberg über die Situation im Libanon.

​​Herr Kleeberg, Sie waren vor drei Jahren im Rahmen eines deutsch-libanesischen Austausches in Beirut und haben das Land und Ihre Kollegen kennen gelernt. Sie haben über den Libanon ein Buch geschrieben und sind dem Land verbunden. Was geht in Ihnen vor, wenn Sie diese Berichte aus dem Libanon in den letzten Wochen hören?

Michael Kleeberg: Ich muss mich zusammenreißen und versuchen, die Sache objektiv zu sehen. Wenn man Menschen persönlich kennt, die auf einer Seite des Krieges stehen, dann wird man natürlich empfindlich und sieht die Dinge ganz anders. Ich nehme an, das geht auf der anderen Seite beispielsweise allen in Deutschland lebenden Juden mit Israel genauso, oder allen Leuten, die in Israel gewesen sind und israelische Freunde haben.

Ich bin seit Wochen einfach erschüttert bei dem Gedanken, was sich dort abspielt, was den Freunden passiert und wie das Aufbauwerk, das im Libanon seit 15 Jahren mühevoll stattfindet, jetzt wieder kaputt gemacht wird.

Und deswegen sage ich, dass man sich trotz allem um Objektivität bemühen muss. Das Schlimme an diesem Nahost-Konflikt ist ja, dass es eine derartig fürchterliche und schwierige Gemengelage von Positionen, von gegenseitigem Hass, von Fehlern usw. ist, dass es einfach nicht möglich ist, klare Urteile zu sprechen und mit dem Finger in eine bestimmte Richtung zu zeigen und zu sagen: Ihr seid die allein Schuldigen an der ganzen Geschichte.

Es ist intellektuell sehr unbefriedigend, dass es in dem sechzigjährigen Nahost-Konflikt noch zu keiner Lösung gekommen ist.

Was kann ein Schriftsteller in einer solchen Situation tun? Sie haben, das ist ja immerhin mehr als viele andere es getan haben, zwei lange Artikel in großen deutschen Tageszeitungen veröffentlicht. Sie versuchen damit auch an die deutsche Öffentlichkeit zu appellieren. Ist das das Einzige, was man tun kann oder ist es auch ein Zeichen der Hilflosigkeit?

Kleeberg: Ein Schriftsteller kann im Prinzip überhaupt nichts anderes tun als schreiben. Und zwar im Idealfall natürlich nicht Artikel und Aufrufe in Zeitungen, die immer einseitig und kurzfristig sind und vor allem vollkommen folgenlos bleiben, sondern er kann versuchen, über ein Thema, in dem er sich auskennt und das ihn persönlich berührt, ein Buch zu schreiben, das im Endeffekt die menschliche Seite der Sache zum Thema hat und versucht, möglichst wahrhaftig über die Menschen zu berichten.

Ich würde gerne versuchen - aber dafür bin ich leider nicht in der richtigen Position -, Einfluss auf die deutsche Regierung und darüber hinaus auf die deutsche und auch auf die europäische Außenpolitik auszuüben, weil ich dort das Versäumnis sehe, das man sich seit Jahren nicht für den Libanon interessiert.

Das tut niemand, weil der Libanon ein Land ohne Bodenschätze ist und keine strategische Schlüsselposition im Nahen Osten hat. Aber es ist meiner Ansicht das Land, das die erste arabische Demokratie werden könnte.

Der Libanon ist ja ein extrem offenes Land, nach beiden Seiten, nach Westen hin, was man ja allgemein weiß, aber eben auch nach der arabischen Seite hin, für die es auch ein ungeheuer faszinierendes Land ist, aufgrund der Pressefreiheit - es ist das große Verlagsland – und aufgrund des relativ problemlosen Zusammenlebens verschiedener religiöser Gruppen heute.

Wenn sich zum Beispiel dieses Jahr, oder letztes Jahr im Zuge der versuchten Selbstbefreiung der Libanesen vom syrischen Regime, die internationale Gemeinschaft mehr für dieses Land interessiert und aktiv geholfen hätte …, etwa mit einer Mischung aus internationaler Truppe und politischer und wirtschaftlicher Hilfe, dass die Uno-Resolution 1559 durchgesetzt und die Hisbollah entwaffnet wird, ohne allerdings die politische Repräsentanz, die sie ja für die libanesischen Schiiten auch hat, zu zerschlagen, dann hätte vielleicht, vielleicht dieser jetzige Krieg vermieden werden können.

Das Problem ist, dass die internationale Gemeinschaft immer nur dann zum Zuge kommt oder aufwacht, wenn schon viel zu viel Blut geflossen ist und Fakten geschaffen sind, hinter die man leider nicht mehr zurück kann.

Selbst dann scheint die internationale Gemeinschaft ja nicht zügig zu reagieren und wirklich wirkungsvoll einzuschreiten. Was würden Sie denn ganz konkret heute der Bundesregierung empfehlen, wenn Sie könnten?

Kleeberg: Ganz konkret kann man der Bundesregierung, jetzt wo dieser Krieg geführt wird, gar nichts mehr empfehlen, weil sie nicht alleine vorpreschen kann.

Ich glaube, Herr Steinmeier hat ja schon gesagt, aufgrund unseres historischen Verhältnisses zu Israel sei es nicht ratsam, Truppen zu schicken und den Israelis zu sagen, was sie tun sollen.

Da steckt natürlich auch ein Gutteil Feigheit darin, denn wenn man ein besonderes Verhältnis zu Israel hat, dann scheint es mir doch eigentlich ratsam, alles dafür zu tun, damit die Israelis in Frieden leben können in ihren Grenzen. Dazu könnte vielleicht auch manchmal und gerade zurzeit gehören, die Israelis sozusagen vor sich selbst zu schützen.

In dem Sinne, dass man es ihnen durch eine präventive Politik erspart, solche Kriege wie jetzt zu führen, die nur wieder, wie ich aus dem Libanon gehört habe, zwei, drei neue Generationen von unerbittlichen Feinde schaffen werden. Dafür werden dieser Hass und dieser Konflikt wieder für die nächsten 25 Jahre zementiert, und das in einem Land wie dem Libanon, das eigentlich ganz problemlos mit Israel leben könnte.

Haben Sie in diesen Tagen mit ihrem Freund und Kollegen Abbas Beydoun gesprochen. Was kann man so jemandem sagen?

Abbas Beydoun, Foto: Larissa Bender
Kleeberg befürchtet, dass sein libanesischer Freund Beydoun in diesem Krieg seinen Optimismus verliert.

​​Kleeberg: Ja, wir haben telefoniert. Vergangene Woche war es sehr schwierig, weil die Telefonverbindung nur sehr unregelmäßig funktionierte. Er hat jetzt den Artikel, den ich auch für die taz geschrieben habe, also sozusagen der Versuch einer historischen Analyse, für seine Zeitung Al-Safir übersetzen lassen. Glücklicherweise können halbwegs objektive Außenstehende dort noch publizieren.

Ich bin ja in diesem Artikel relativ kritisch, oder relativ verzweifelt, was beide Seiten betrifft. Ansonsten lässt sich nicht viel besprechen. Es ist auch eine neue Erfahrung für jemanden wie mich, mit einem Menschen oder einem Freund zu telefonieren, der plötzlich in einem Land sitzt, in dem Krieg herrscht und in dem die Jagdflugzeuge über die Häuser hinweg fliegen und man nicht genau weiss, wo die Bomben einschlagen.

Gerade Abbas Beydoun, der, solange ich ihn kenne, einen relativ fatalistischen und stillen und ruhigen Optimismus an den Tag gelegt hat, scheint dabei zu sein, diesen Optimismus in diesem Krieg zu verlieren. Das ist es, was die größte Verzweiflung hervorruft.

Interview Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE 2006

Qantara.de

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