Gratwanderung in Richtung Demokratie

Ein Ende des Irak-Konflikts scheint noch lange nicht in Sicht. Doch in einigen Landesteilen gibt es Anzeichen für eine politische Normalisierung und einen wirtschaftlichen Aufbruch. Qantara.de sprach mit Ferhad Ibrahim, Professor für Politik- und Zeitgeschichte, nach dessen Rückkehr aus dem Irak.

Ein Ende des Irak-Konflikts scheint noch lange nicht in Sicht. Doch in einigen Landesteilen gibt es Anzeichen für eine politische Normalisierung und einen wirtschaftlichen Aufbruch. Qantara.de sprach mit Professor Ferhad Ibrahim nach dessen Rückkehr aus dem Irak.

Dr. Ferhad Ibrahim, Foto: Arian Fariborz
Dr. Ferhad Ibrahim

​​Welche Eindrücke haben Sie von Ihrer Reise gewonnen und wie stellt sich insbesondere die Sicherheitslage im Irak dar?

Ferhad Ibrahim: Ich habe von Region zu Region unterschiedliche Erfahrungen und Beobachtungen gemacht. Im Norden war die Lage stabil, das Land befindet sich dort im Wiederaufbau, die Institutionen funktionieren wieder - so z.B. die Universitäten, die Krankenhäuser, und auch die Infrastruktur ist wieder funktionstüchtig. In der Umgebung von Bagdad ist die Situation dagegen sehr schlecht. Man benötigt noch viel Zeit, bevor man mit dem Aufbau anzufangen kann. Vor allem die Sicherheitslage macht die Dinge noch schlimmer. Wenn man die Bevölkerung in Bagdad fragt, steht für sie die Frage der Sicherheit ganz oben, die Menschen wünschen sich vor allem Stabilität, Sicherheit und Ruhe. Und das sollte auch das wichtigste Ziel für die kommenden Monate und Jahre sein.

Müsste sich die Europäische Union als Konfliktschlichter im Irak deutlicher als bisher zu Wort melden? Und welche Möglichkeiten hätten die Europäer, gemeinsam mit den Vereinten Nationen, den demokratischen Aufbau des Landes voranzubringen?

Ibrahim: Ich denke, die UN haben jede Menge Erfahrung im Zusammenhang mit der Vorbereitung und Durchführung der Wahlen. Auf diese Erfahrungen muss man aufbauen. Die UN sind ja - vor allem durch Lakhdar Ibrahimi - im Irak vertreten, und er wird von vielen Irakern respektiert. Aber man braucht vielleicht noch weitere Modelle, um mit dem Dialog zwischen den Gruppen zu beginnen, vor allem mit denjenigen, die unzufrieden sind. Zum Beispiel die Bevölkerung im sunnitischen Dreieck. Es reicht nicht, wenn man mit Panzern und Kanonen versucht, Ruhe herzustellen. Man muss auch mit diesen Leuten reden, um zu erfahren, was sie genau wollen, damit man weiß, wo man ansetzen kann. Und in diesem Kontext braucht man vor allem die EU und die europäischen Erfahrungen, wie man solch einen Konflikt friedlich beilegt und für eine gewisse Stabilität sorgen kann.

Was halten Sie von den Friedensinitiativen der islamischen Nachbarstaaten - allen voran des Iran, der ja zuletzt sogar als Vermittler zwischen den rivalisierenden Schiitengruppen und den USA aufgetreten ist?

Ibrahim: Wenn man mit den Journalisten und Intellektuellen in Bagdad spricht, wird der Iran häufig als der eigentliche Störfaktor betrachtet - auch von schiitischen Intellektuellen. Der Iran unterstützt im Hintergrund bestimmte Gruppen, so z.B. Schiitenführer Muqtada al-Sadr sowie andere gesellschaftliche Gruppen. Orthodoxe in Ghom unterstützen die Geistlichkeit in Najaf und Kerbala. Also, bisher hat der Iran keine positive Rolle im Irak eingenommen. Was die iranischen Vermittlungsangebote betrifft, so bin ich persönlich äußerst skeptisch. Ich glaube es ist besser, wenn sich die Nachbarstaaten nicht einmischen. Stattdessen sollte die Europäische Union, die NATO und auch Staaten, die eine gewisse Neutralität bewiesen haben - wie Ägypten -, hierbei die Führungsrolle übernehmen.

Aber im Gegensatz zum Nahostkonflikt ist von ägyptischen und anderen arabischen Vermittlungsbemühungen für den Irak bisher doch rech wenig zu spüren. Wie erklären Sie sich diese Zurückhaltung?

Ibrahim: Das Problem ist, dass die Okkupation und die amerikanische Politik in der arabischen Welt keinen guten Ruf hat und keine Regierung in der Region riskieren will, an diesem Konflikt beteiligt zu werden - aus innenpolitischen Gründen. Man würde in so einem Fall als Partner der Amerikaner abgestempelt werden. Arabische Staaten, wie Ägypten, könnten aber im Grunde genommen eine positive Rolle spielen. Denn Länder, wie z.B. Syrien oder der Iran haben sowieso eine Position eingenommen, die für viele Iraker nicht akzeptabel ist. Jordanien zeigt sich dagegen kooperativ: Jordanien bildet z.B. die Offiziere der irakischen Polizei und Armee aus und ist auf vielen Gebieten beteiligt. Auch die jordanische Wirtschaft ist überall im Irak vertreten. Ich habe selbst viele Vertreter von jordanischen Firmen in Bagdad, aber auch im Norden getroffen, die versuchen, Technik oder Waren in den Irak zu exportieren.

Nun sind ja viele Akteure an diesem Konflikt beteiligt. In diesem Zusammenhang sprechen Sie von einem "inszenierten Bürgerkrieg von außen". Was meinen Sie genau damit?

Ibrahim: Natürlich gibt es Unruhen und Differenzen. Es gibt Gruppen, die versuchen, bestimmte Ziele gewaltsam durchzusetzen, aber die Unterstützung von außen ist massiv - massiver, als man vielleicht denkt. Es geht um die Organisation von Personen, die in den Irak gehen, es geht darum, dass man Terrorexperten der al-Qaida in den Irak schickt. Aber auch einige Nachbarstaaten sind an diesem unerklärten Krieg beteiligt. Das wissen die Amerikaner und das wissen auch die Iraker. Selbstverständlich handelt es sich hierbei um einen Prozess von innen und außen. Kein radikaler Islamist kann von außen ohne die Unterstützung der Iraker im Land operieren. Der Einfluss von außen ist sehr stark. Wenn man diesen Einfluss unterbinden könnte, dann ließen sich die internen Probleme wahrscheinlich leichter lösen. Aber man muss mit den unzufriedenen Gruppen - wie den Sunniten im so genannten sunnitischen Dreieck und Gruppen, wie die von al-Sadr, die nicht im Regierungsrat sind - den Dialog führen und ihnen irgendeine Möglichkeit geben, im neuen Irak mitzuwirken. Und man muss den Nachbarstaaten signalisieren, dass eine Einmischung inakzeptabel ist. Aber die Amerikaner haben in dieser Hinsicht bisher eigentlich kaum etwas unternommen.

Besitzt denn die irakische Übergangsregierung ein „zunehmendes Legitimations- und Repräsentationsproblem“, wie der Politikwissenschaftler Amr Hamzawy behauptet?

Ibrahim: Also, im Regierungsrat und der Regierung sind alle politischen Schattierungen des Landes vertreten: Von den Kommunisten bis zur Muslimbruderschaft, von den Stämmen, den Parteien, den Minderheiten, Assyrern und Turkmenen bis hin zu Vertretern der ehemaligen Bürokratie. Keine irakische Regierung war seit der Gründung des Staates 1921 so repräsentativ, wie der jetzige Regierungsrat und wie die jetzige Regierung. Es gibt natürlich Probleme, Probleme die im Kontext der Besatzungspolitik stehen, und es gibt Schwierigkeiten, die im Zusammenhang mit der Enttäuschung der Iraker stehen. Ein Jahr nach dem Sturz von Saddam Hussein ist die Lage noch immer instabil. Natürlich kritisiert man deshalb primär die Regierung und den Regierungsrat. Aber was bedeutet denn Legitimationsproblem? Schließlich leiden auch die arabischen Nachbarstaaten unter einem Legitimationsdefizit - das ist ja ein allgemeines Problem. Aber ich denke, es gibt keinen anderen Weg. Das ist die einzige Möglichkeit, alle Gruppen zu beteiligen. Nach meinen Beobachtungen im Irak und auch vor meiner Reise entdecke ich keine solchen massiven Probleme hinsichtlich der Legitimation.

Interview: Arian Fariborz

© Qantara.de 2004

Dr. Ferhad Ibrahim ist Professor für Politik- und Zeitgeschichte des Vorderen Orients am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der FU Berlin.