„Ein lebendiges Beispiel für interreligiösen Dialog!“

Der Großmufti von Bulgarien, Selim Mehmet, war einer der prominenten Gäste am „Tag der offenen Moschee“ in Köln – ein Tag, den er auch in seinem Land einführen möchte. Qantara.de hat sich mit ihm unterhalten.

Der Großmufti von Bulgarien, Selim Mehmet, war einer der prominenten Gäste am „Tag der offenen Moschee“ in Köln – ein Tag, den er auch in seinem Land einführen möchte. Organisiert wurde das Besuchsprogramm vom „Institut für internationale Zusammenarbeit der deutschen Volkshochschulen e.V., im Rahmen des Projekts „Tolerance and Understanding: Our Muslim Neighbours“. Der Großmufti besuchte in Köln u.a. das „Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen“, die protestantische Trinitatskirche und die DITIB-Moschee. Mit Selim Mehmet hat sich Qantara.de unterhalten.

Was hat Ihnen am „Tag der offenen Moschee“ in Deutschland am meisten beeindruckt?

Großmufti von Bulgarien Selim Mehmet

​​Selim Mehmet: Sehr gut gefallen hat mir, dass sich einerseits die Muslime an diesem Tag verstärkt mit ihrem Glauben und dem Ort ihrer religiöse Praxis auseinandersetzen. Die Moscheen wurden für den Besuch von Gästen vorbereitet – genauso, als wenn, wie wir Gäste zuhause empfangen: Wir bereiten uns auf die Gäste vor, arrangieren Sachen. Andererseits bietet dieser Tag eine gute Gelegenheit, über den Islam zu informieren bzw. zu lernen. Ich bin davon überzeigt, dass die deutschen Besucher der Moscheen einen positiven Eindruck über Muslime und deren Glaubensüberzeugungen bekommen haben. Aber dies sollte auf Gegenseitigkeit beruhen: Die Muslime in Deutschland müssen sich auch mit der Religion der Mehrheit der deutschen Bevölkerung befassen. Ich glaube, dass der „Tag der offenen Moschee“ ein lebendiges Beispiel für den interreligiösen Dialog darstellt und ich wäre sehr glücklich, wenn diese Initiative schon bald auch in Bulgarien Schule machen würde.

Wie wollen Sie diese Initiative in Bulgarien umsetzen?

Mehmet: Zunächst einmal wäre ich sehr froh, kurze Informations-Broschüren über Moscheen herausgeben, damit die verschiedenen Gruppen, vor allem Christen, informiert werden. Wenn sie in die Moscheen kämen und über den Islam und die Muslime etwas in Erfahrung bringen würden, wäre das schon ein großer Erfolg für uns. In Bulgarien leben Christen und Muslime seit Jahrzehnten friedlich zusammen. Sie verstehen sich überaus gut und es besteht ein intensiver Austausch. So gibt es in Bulgarien eine sehr lange Tradition, dass sich Christen und Muslime anlässlich religiöser Feiertage – wie z.B. an Ostern oder während des Ramadans –gegenseitig besuchen und gemeinsam an Essen teilnehmen.

Wenn der Austausch so überaus intensiv ist, wozu dann noch einen „Tag der offenen Moschee“?

Mehmet: An dieser Stelle muss ich sagen, dass viele Muslime ihre eigene Religion nicht so besonders gut kennen. Ihre Beziehung zum Glauben stützt sich mehr auf Traditionen, denn auf umfassende religiöse Grundlagen. Und gleichzeitig wissen viele Christen oft kaum etwas über den Islam – im akademischen Sinn. Aus diesem Grund wollen wir da etwas nachhelfen. Viele Christen wissen beispielsweise nicht, was Muslime im Einzelnen tun, wenn sie zum Gebet in die Moschee gehen. Oder sie wissen kaum etwas über unser Freitagsgebet.

Ist dieses Nichtwissen auch auf die jahrzehntelange kommunistische Herrschaft in Bulgarien zurückzuführen?

Mehmet: Sicher. Der Kommunismus bedeutete die Ausschaltung In Bulgarien gehören rund 83 Prozent der bulgarisch-orthodoxen Kirche an, etwa 12 Prozent sind Muslime. Rund 600.000 sunnitische Muslime, die überwiegend der türkischen Volksgruppe zuzuordnen sind und 15.000 Alewiten leben heute in Bulgarien. Zu den Muslimen zählen neben den Türken auch rund 300.000 sogenannte Pomaken – Bulgaren, die vor vielen Generationen zum Islam übergetreten sind.
der Religionen. Sehr viele Moscheen und Kirchen wurden zerstört, Religionsschulen geschlossen und religiöse Bücher verschwanden aus den Regalen. Religion wurde zu dieser Zeit als leer und nutzlos diffamiert. Zum Teil hatten sie damit auch Erfolg. Ein religiöser Mensch hatte keinerlei Aufstiegsmöglichkeit in Staat und Gesellschaft – egal ob Christen oder Muslime. Den größten Schaden haben sie in den Seelen der Menschen angerichtet. Eine große Herausforderung besteht heute darin, viele Kinder wieder religiös zu erziehen, nachdem ein großer Teil der Eltern vor Jahrzehnten ihre Religionszugehörigkeit verloren haben.

Hat sich das Verhältnis vieler Bulgaren zu ihren muslimischen Mitbürgern nach den Anschlägen vom 11. September verschlechtert? Schlägt den Muslimen mehr Skepsis und Mißtrauen entgegen als früher?

Mehmet: Das ist eine schwierige Frage, aber ich habe den Eindruck, dass es keinen wirklichen Wandel gegeben hat. Unmittelbar nach den Anschlägen gab es allerdings einige üble Reaktionen: Frauen mit Kopftüchern wurden z.B. als Taliban beschimpft, an einigen wenigen Orten wurden Moscheen mit Steinen beworfen. Wir haben uns daraufhin mit dem bulgarischen Präsidenten getroffen. Der Präsident hat sich dann in den Medien an die Bevölkerung gewandt und erklärt, dass solche Reaktionen völlig unakzeptabel seien. Der 11. September hat dem Islam als Religion sehr geschadet, aber sehr viele Nichtmuslime weltweit haben sich seitdem verstärkt über den Islam informiert. Das ist vielleicht ein positiver Aspekt.

Meinen Sie, dass sich Westen noch stärker um einen Dialog mit der islamischen Welt bemühen sollte als bisher?

Mehmet: Ich glaube nicht, dass bisher genug getan wurde. Das liegt vielleicht auch daran, dass in Europa die Mehrzahl der Muslime Gastarbeiter sind, die sich aus vielen ethnischen Gruppen und religiösen Strömungen zusammensetzen. Das erleichtert nicht gerade die Zusammenarbeit. Aber ich habe hier auch etwas sehr Positives beobachtet: Die deutsche Regierung unterstützt eine Organisation, in der muslimische Frauen aus verschiedenen Regionen zusammen kommen und die die Möglichkeit haben, dort Deutsch zu lernen und sich über ihre Rechte in diesem Land zu informieren. Muslime, die ihre Religion kennen sind nicht das Problem, sondern vielmehr diejenigen, die sie nicht kennen und daher leicht zu manipulieren sind. Deshalb ist es notwendig, Muslime über ihre eigene Religion aufzuklären, über seriöse Organisationen, wie etwa die türkische DITIB.

Interview: Arian Fariborz, © 2003 Qantara.de

Wenn Sie mehr über das Projekt „Tolerance and Understanding: Our Muslim Neighbors in Europe“ erfahren wollen, klicken Sie hier.