Deutscher Blick? Türkiyem Film?

Nach der Berlinale ist das türkisch-deutsche Liebesdrama "Gegen die Wand" auch der große Sieger beim Deutschen Filmpreis 2004. Amin Farzanefar hat Erfolgsregisseur Fatih Akin über die Resonanz des Films und die Perspektiven des türkischen Kinos befragt.

Nach der Berlinale ist das türkisch-deutsche Liebesdrama "Gegen die Wand" auch der große Sieger beim Deutschen Filmpreis 2004. Amin Farzanefar hat den Erfolgsregisseur Fatih Akin über die Resonanz des Films und die Perspektiven des türkischen Kinos befragt.

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Fatih Akin

​​"Gegen die Wand" ist eine extreme Liebesgeschichte, die in Deutschland und in der Türkei spielt, wie die meisten von deinen Filmen...

Fatih Akin: Ja, aber extremer; "Im Juli" zeigte noch einen sehr deutschen Blick auf Istanbul, wenn auch nur in einer ganz kurzen Passage: den Bosporus, die Brücke und die ganze Schönheit. In "Gegen die Wand" habe ich versucht, den Blick der Leute darauf zu lenken, dass Istanbul auch eine extrem harte Stadt, eine extrem hässliche Stadt sein kann. Insgesamt gibt es drei Blicke in "Gegen die Wand": Den Blick der Türken, die hier in Istanbul leben, den der Türken in Deutschland - der noch mal ganz anders ist - und es gibt den Blick der Deutschen.

Wie war die Reaktion auf deine Filme hier in der Türkei?

Akin: Sehr gut, das hat mich total überrascht, ich hatte das Gefühl, "Solino" kommt hier noch mehr an als in Deutschland, vor allem die Intellektuellen waren total begeistert - was drüben ja nicht so war. Die haben das übrigens als "Mittelmeer-Kino" begriffen, das finde ich einen sehr schönen Ausdruck. Das umfasst noch mal ein anderes Gebiet: auch Nordafrika, Tunesien, Marokko und mehr.

Öffnet sich die Türkei in diese Richtung oder ist sie mehr auf sich fixiert? Fühlt sich die Türkei gerne als Teil von etwas Größerem?

Akin: Kulturell gibt es schon ein großes Aufwachen: Die Leute gucken hier richtig Kino, kommen raus und diskutieren heftig über den Film. Aber gesellschaftlich dreht sich alles im Kreis und nichts Neues entsteht. Also, die machen hier nicht alles richtig! Aber es ist gibt ein riesiges Potenzial und ich versuche, das mit nach Deutschland zu bringen. Gleichzeitig versuche ich den Leuten hier zu zeigen, wie wertvoll das ist, was sie haben - und die verstehen das nicht. Sie sind aber auch Teil von gar nichts: Die arabische Welt wollen die Türken nicht annehmen - sie können sich eher mit Europa identifizieren - aber das geht nicht umgekehrt. Europa drängt die Türken ab. Herr Stoiber will die Leute nicht in der EU haben, dann will er auch nicht mich haben; dann geh' ich auch nicht zum europäischen Filmpreis!

In dem Punkt bist du dann doch wieder...?

Akin: …Ja, Türke. Aber wenn ich hier sehe, die Kurden werden ausgegrenzt oder die Moslems, dann identifiziere ich mich mit ihnen. Und: Ich stehe nicht hinter dem Regime, ich bin kein Nationalist: Aber bestimmte Verhaltensmuster, die ich habe, die mich ausmachen, die kommen von hier.

Was für eine Bedeutung hat das türkische Kino für dich? Hast du Lieblingsfilme?

Akin: Das türkische Kino hat eine große Bedeutung für mich, das ist was, aus dem ich immer schöpfe, es ist ein Schatz: Da gibt es Perlen, die man entdecken kann, Kisten voller Gold! Ganz vorne steht für mich Yilmaz Güney; der hat mit seinem Kino alles verändert, ist ein extrem wichtiger Filmemacher gewesen - auch global gesehen: ein politischer Filmemacher - und ein "Mann des Volkes". Das möchte ich auch immer gerne bleiben – so ein Filmemacher zum Anfassen, um nicht in irgendwelche Ecken der oberen Zehntausend abzudriften, weil diese Ecken langweilig sind. Prozentual gesehen ist das türkische Kino viel erfolgreicher als das deutsche: Die produzieren sechs bis maximal zehn Filme im Jahr - und da ist immer einer, der den Sprung nach Cannes schafft oder nach Venedig, ob das nun "Masumiyet" ist oder "Uzak". Das Kino hier ist viel stärker. Das deutsche Kino findet jetzt erst so langsam wieder zu sich. Ich bin jetzt dreißig und würde jetzt gerne mal ein Jahr hier leben wollen und einen rein türkischen Film machen wollen.

Für Türken?

Akin: Für - die ganze Welt, oder? Es gibt hier so unglaublich viel zu entdecken: Vielleicht kann ich noch einen deutschen Blick auf das Ganze werfen; vielleicht habe ich einen anderen Blick, den die anderen hier nicht haben. Vielleicht nehmen sie meinen Blick auch gar nicht an, weil sie sagen: Was ist das denn? Aber das muss ich ausprobieren. Und das türkische Kino, das hat superwenig Geld! Wenn ich erzähle, ich mach jetzt einen Low-Budget-Film für 2,5 Millionen Euro, dann sagen die: "Was? Das ist bei uns höchstes Budget! Damit könnten wir soviel Sachen anstellen!" Da denke ich, vielleicht sollte ich hier Filme machen und wirklich lernen, ökonomisch zu arbeiten.

Du hast einmal den 11. September und deine Wut im Zusammenhang mit "Gegen die Wand genannt"; kannst du das noch mal genauer ausführen?

Akin: Seit dem 11.9. erscheint die Welt so zweigeteilt, in Gut und Böse, also: Der Endkampf ist jetzt da, es gibt den Orient und den Okzident, es gibt den Westen und den Osten, es gibt Moslems und Christen, schwarz und weiß, Tag und Nacht ... Jedenfalls wird das so ausgemalt von den Führungskräften in dieser Welt. Und darauf bin ich wütend, weil ich glaube, dass die Bösen sich als die Guten bezeichnen. Mit meiner Trilogie "Liebe, Tod und Teufel", von der "Gegen die Wand" der erste Teil ist, versuche ich zu ergründen, ob das Gute auch wirklich gut ist. Ist der Teufel wirklich böse, oder ist der Teufel nicht Che Guevara gewesen, der für die Freiheit der Menschen gekämpft hat, der die Menschen aus dem Sklaventum Gottes befreien wollte und deshalb aus dem Paradies verbannt worden ist?

Der Teufel war der einzige Engel, der sich nicht verbeugen wollte vor dem Menschen ...

Akin: Ja, so wie in "Der Unbeugsame" – ein Film mit Paul Newman, und wir lieben ja alle Paul Newman, weil er immer wieder aufsteht. Über Verlogenheit jedenfalls bin ich total wütend. Aber auch in der türkischen Struktur gibt es diese Doppelmoral. Jeder beobachtet dich, jeder mischt sich ein; wenn du hier in dem Restaurant mit irgend 'nem Mädel knutschen würdest, würde gleich ein Kellner kommen und sagen: "He, reiß dich mal zusammen, benimm' dich mal." Ich sage ja nicht, es muss gleich alles pornografisiert werden, aber bestimmte Gesellschaftsformen, -strukturen und -rituale empfinde ich als falsch und überholt, die müssen eingebrochen werden, die müssen zerstört werden. Und auch davon handelt "Gegen die Wand", von dieser Wut darüber, von dieser Doppelmoral. Und der Film ist eben auch Punk, hat viel mit Zerstörung zu tun, nach innen hinein, weil alles so destruktiv ist. Wir leben nicht in einer guten Welt, und das ist halt anders als in "Solino" und "Im Juli", wo die Welt noch in Ordnung ist. Ich habe einfach kapiert, es ist nicht mehr okay! Jetzt muss ich halt so lange solche Filme machen, bis es wieder okay ist, jedenfalls für mich okay ist.

Interview: Amin Farzanefar, © fluter.de 2004