Der endlose Konflikt?

Wie soll es weiter gehen im Nahen Osten? Für Aref Hajjaj kann die Lösung nur sein, dass neben dem israelischen auch ein palästinensischer Staat existiert. Mit dem Vorsitzenden des Palästina Forums e.V. hat Jost Kaiser gesprochen.

Wie soll es weiter gehen im Nahen Osten? Für Aref Hajjaj kann die Lösung nur sein, dass neben dem israelischen auch ein palästinensischer Staat existiert. Mit dem Vorsitzenden des Palästina Forums e.V., das sich als Diskussionsplattform versteht und Kontakte zu israelischen Friedensgruppen unterhält, hat Jost Kaiser gesprochen.

Blick durch die Mauer zwischen Israel und den besetzten Gebieten, Foto: AP
Blick durch die Mauer zwischen Israel und den besetzten Gebieten

​​Herr Hajjaj, ist der Israel-Palästina-Konflikt nicht in Wahrheit Teil einer Auseinandersetzung zwischen westlicher Moderne und rückständigen arabischen Ländern?

Aref Hajjaj: Nein, das ist kein Kampf zwischen Moderne und Reaktion, das würde das Problem reduzieren. Denn Israel ist eben modern und rückwärtsgewandt zugleich - wenn ich an die reaktionäre Ideologie innerhalb der Likud-Partei oder orthodoxer Parteien denke. Es ist kein Kulturkampf, sondern ein Konflikt zwischen einem militärisch starkem Israel und einem machtlosem Palästina. Das hat nichts mit dem Kampf der Kulturen zu tun.

Israel aber ist eine Demokratie. Das kann man von kaum einem arabischen Staat behaupten?

Hajjaj: Zugegeben: Die arabischen Staaten haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Außerdem hätten sie die Palästinenser besser integrieren sollen, aber die meisten dieser Staaten sind auch arme Staaten, sie haben schon Schwierigkeiten, ihre eigene Bevölkerung zu versorgen. Dass Palästinenser in manchen arabischen Staaten bestimmte Berufe nicht ausüben dürfen, entlässt aber keinesfalls Israel aus der Verantwortung für dieses Problem.

Sollen alle Flüchtlinge nach Israel zurückkehren dürfen?

Hajjaj: Nein, das halte ich nicht für realistisch. Wenn die Israelis ehrlich wären, müssten sie sagen: Wir haben durch die Gründung eines eigenen Staates, dessen Gründung vielleicht moralisch gerechtfertigt war, einem anderen Volk Schaden zugefügt. Wir bekennen uns zu dieser Verantwortung und erklären uns hiermit zu einer Geste des Guten Willens bereit, nämlich einige Tausend Palästinenser aufzunehmen - und die anderen werden entschädigt. Dazu müssen für die Flüchtlingskamps Entwicklungsfonds zur Verfügung gestellt werden, damit die Lager in Syrien und Libanon aufgelöst werden können. Aber es bedarf als erstes des Bekenntnisses zur eigenen Schuld durch die Israelis...

...ein psychologischer Prozess, von der eigenen Opferrolle wegzukommen...

Hajjaj: Genau. In Europa waren die Juden Opfer, die Israelis sind aber in Palästina auch zu Tätern geworden, das müssen sie endlich einsehen und es gibt längst Israelis, wie zum Beispiel den Historiker Moshe Zimmermann, die sagen: Wir müssen uns zu unserer Schuld zu bekennen.

Angenommen, es gäbe den Palästinenserstaat: Wäre damit das Problem wirklich gelöst? Die "arabische Strasse" will doch nach wie vor eins: Israel vernichten.

Hajjaj: Glauben Sie mir: die Palästinenser haben von diesem Konflikt die Nase voll, nichts erwarten sie sehnsüchtiger als einen eigenen Staat. Sie müssen unterscheiden zwischen der Mehrheitsbevölkerung und ideologischen Gruppen wie Hamas. Das Konzept Gaza plus Westjordanland stellt einen breiten Konsens dar - aus der Überzeugung, dass wir nicht mehr erreichen können und uns damit abfinden müssen. Die Mehrheit der Bevölkerung hat sich wirklich arrangiert und akzeptiert diese Lösung.

Wird die Zwei-Staaten-Lösung also am Ende eines Prozesses stehen?

Hajjaj: Längerfristig bin ich für die Schaffung einer Konföderation oder gar einer Union, also eines binationalen Staates.

Aber damit würde der Charakter Israels als jüdischer Staat verloren gehen.

Hajjaj: Es gibt heute fast 1,5 Millionen israelische Araber, das sind mehr als ein Fünftel der Gesamtbevölkerung - insofern hat Israel schon jetzt dieses Problem. Ein Selbstverständnis Israels nach dem Motto: "Wir sind nur für die Juden da" lehne ich aufgrund einer antirassistischen Denkweise ab. Israel war nie ein rein jüdischer Staat, es gab immer Christen und Araber. Das Horrorszenario, das Muslime aufgrund der demographischen Entwicklung bald die Mehrheit stellen könnten, ist im Ansatz rassistisch und reduziert Araber auf Körperlichkeit.

Wie sieht aus Ihrer Sicht die Lösung des Konfliktes aus?

Hajjaj: Erstens die Schaffung eines Palästinenserstaates und die vollständige Räumung aller Siedlungen. Sollten die Israelis an der Grenze einige unbedingt beibehalten wollen, muss es zu einem fairen Gebietstausch kommen. Zweitens: Dieser Staat soll Ost-Jerusalem als Hauptstadt haben.

Jost Kaiser lebt als freier Journalist in Berlin und schreibt für Zeitungen und Magazine.

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