"Es ist nicht Aufgabe der Muslime, sich selbst zu überwachen!"

Nach den Londoner Bombenanschlägen versprach der Rat der Muslime in Großbritannien, eng mit der Regierung zusammen zu arbeiten. Daud Abdullah über bisherige Fortschritte im Kampf gegen radikale Islamisten.

Nach den Londoner Bombenanschlägen vom 7. Juli versprach der Rat der Muslime in Großbritannien (Muslim Council of Britain, MCB), hart gegen den Extremismus in den eigenen Reihen vorzugehen und eng mit der Regierung zusammen zu arbeiten. Dr. Daud Abdullah, stellvertretender Geschäftsführer des MCB über die Fortschritte, die im Kampf gegen radikale Islamisten bisher gemacht wurden.

Dr. Daud Abdullah; Foto: Arian Fariborz
Daud Abdullah: "Wir fühlen uns beleidigt, wenn die Medien uns als Fünfte Kolonne hinstellen, als Feind im Inneren des Landes."

​​Wie beurteilen Sie die Kooperation zwischen dem MCB und dem Innenministerium seit den Anschlägen vom 7. Juli?

Dr. Daud Abdullah: Wir haben auch schon vor dem 7. Juli bei einigen Projekten mit den Behörden und verschiedenen Ministerien zusammengearbeitet. Wir haben uns zum Beispiel sehr für Gesetze eingesetzt, die Muslime vor Diskriminierungen schützen. Im Bereich Sicherheit und Terrorismusbekämpfung arbeiten wir Hand in Hand mit den offiziellen Stellen zusammen. Wir kooperieren dabei nicht nur mit dem Innenministerium, sondern auch mit der Polizei in London und anderen Städten des Landes.

Aber was ist bisher geschehen, um die radikalen Islamisten innerhalb der muslimischen Gemeinschaft zu isolieren?

Abdullah: Es kann nicht unsere Aufgabe sein, uns selbst zu überwachen. Das liegt in der Verantwortung des Staates, lassen Sie mich das ganz klar sagen. Wir allerdings haben die Verantwortung, dort, wo wir sehen, dass eine kriminelle Handlung geplant oder ausgeführt wird, eng mit den Behörden zusammenzuarbeiten, um sie zu verhindern.

Es gab da einige Treffen, nicht nur mit Premierminister Blair, sondern auch mit dem Innenminister und den Staatssekretären. Ms. Hazel Blears, Staatssekretärin im Innenministerium, besuchte verschiedene Städte und Gemeinden im ganzen Land.

Wir im Rat der Muslime haben unsere eigenen Initiativen und Treffen mit Jugendorganisationen durchgeführt. Wir haben auch eine Broschüre verfasst mit dem Titel "Kenne deine Rechte und Pflichten", in der britische Muslime darüber aufgeklärt werden, worin ihre Rechte und Verpflichtungen hier in Großbritannien liegen.

Sind Muslime in Großbritannien seit den Bombenanschlägen einem Generalverdacht ausgesetzt? Was sind Ihre Erfahrungen im MCB?

Abdullah: Ja, das ist leider der Fall. Eigentlich begann dies allerdings schon nach dem 11. September 2001. Es gibt verschiedene Studien der Europäischen Union, die bestätigen, dass in ganz Europa — einschließlich Großbritannien — die Islamophobie zugenommen hat.

Nach dem 7. Juli dieses Jahres aber hat sich die Situation sicherlich noch verschärft. Wir versuchen unser Möglichstes, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten. Unser Ziel ist es, dass die Rechte der Menschen geschützt werden und der soziale Frieden gesichert wird. Es ist keineswegs etwas, das nur irgendwo anders, im Ausland, geschieht. Vereinzelt gab es Angriffe und Attacken auf Muslime.

Schreiben Sie uns Ihre Meinung zu diesem Beitrag an
kontakt@qantara.de Trotzdem wäre es unfair zu behaupten, dass dies die allgemeine Stimmung von Nicht-Muslimen widerspiegeln würde. Im Rat der Muslime haben wir Hunderte von Zuschriften erhalten, die uns Unterstützung und Ermutigung zusprechen. Auch gab es darin viel Lob für unsere Arbeit, weil — selbst nach dem 7. Juli — erkannt wurde, dass nicht die ganze muslimische Gemeinschaft eines Landes für die Taten von vier Einzelnen verantwortlich gemacht werden kann.

Wie ist das Image der muslimischen Minderheit in den britischen Medien und in der Öffentlichkeit nach dem 7. Juli?

Abdullah: In der Berichterstattung war schon die Tendenz zu beobachten, nach Sündenböcken zu suchen, auch eine Dämonisierung fand statt, die die Schuld für die Anschläge der muslimischen Gemeinschaft insgesamt zuschob. Diese Argumente sind jedoch nicht haltbar und unlogisch obendrein. Schließlich mussten wir in den letzten Jahren überall in Europa Grausamkeiten mit ansehen, wie die in Srebrenica 1995. Wurde dafür die gesamte christliche Gemeinschaft Serbiens verantwortlich gemacht?

Deshalb fühlen wir uns beleidigt, wenn die Medien uns als Fünfte Kolonne hinstellen, als Feind im Inneren des Landes, und wie die Bezeichnungen noch alle lauten mögen. Wir glauben, dass dies nun wirklich nicht unserer Position gerecht wird, vor allem nicht, wenn man bedenkt, dass mehr als die Hälfte der britischen Muslime in diesem Land geboren wurden. Und sogar einige der Männer, die diese Grausamkeiten verübt haben, wurden in diesem Land geboren.

Aber, noch einmal: Es gibt keine Rechtfertigung für diese Verbrechen! Es waren kriminelle Akte der Ungerechtigkeit und wir würden alles dafür tun, dass so etwas niemals wieder geschehen kann.

Interview: Arian Fariborz

© Qantara.de 2005

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www

The Muslim Council of Britain (engl.)