"Wir sind postmodern"

In Kabul fand im Juni das zweite Internationale Dokumentar- und Kurzfilmfestival statt. Gezeigt wurden über 40 Produktionen aus Afghanistan, Pakistan, Iran und Tadschikistan sowie Filme des deutsch-französischen Fernsehsenders ARTE. Von Martin Gerner

In Kabul fand im Juni das zweite Internationale Dokumentar- und Kurzfilmfestival statt. Gezeigt wurden über 40 Produktionen aus Afghanistan, Pakistan, Iran und Tadschikistan sowie Filme des deutsch-französischen Fernsehsenders ARTE. Ausrichter des Festivals waren unter anderem das Kabuler Französische Kulturinstitut und das Goethe-Institut. Erklärtes Ziel ist vor allem die Förderung des afghanischen Filmnachwuchses. Von Martin Gerner

​​"Nur wenn die afghanischen Filmemacher ihre Lebensverhältnisse selbst darstellen, gibt es eine Chance, dass die afghanische Wirklichkeit auch richtig abgebildet wird", lobt der deutsche Botschafter in Afghanistan zum Auftakt der Filmschau die erstaunliche Kreativität der Nachwuchsautoren:

Tatsächlich sind viele der internationalen Produktionen über Afghanistan gespickt mit Stereotypen: Burka, edle Wildheit, Exotik – so lautet der Kanon der scheinbar undurchdringbaren Andersartigkeit.

Die afghanischen Autoren dagegen müssen den Schleier nicht lüften, sie sind unter ihm groß geworden. So etwa Dil Afroz Zirak, studierte Mathematikerin, die jetzt als Regisseurin arbeitet.

In "Young Wishes" portraitiert sie ein 13-jähriges Mädchen, das sich auf den Berghängen von Kabul abschuftet, um Wasser in schweren Kanistern zu schleppen und sich dabei ein paar Rupien Unterhalt verdient. Nie verliert sie dabei ihr Lachen. Elend und Würde sind hier eins. Das irritiert den Zuschauer aus dem Westen. Zugleich ist es Alltag am Hindukusch.

Schwieriger Aufbruch

Die jungen afghanischen Filmemacher erzählen durchweg kritische Geschichten: über Zwangsheirat, den Kampf um Bildung, fehlenden Strom und das Versprechen auf Solar-Energie. Happy Ends sind nicht die Regel. Und wenn, dann weiß man nie, wie lange sie andauern.

​​Am zweiten Tag des Festivals explodiert eine Bombe unweit des Französischen Kulturzentrums, wo die Filme gezeigt werden. Es gibt viele Tote. Trotzdem ist dieser Ort sicherer als das halbe Dutzend Kinos, das es in Kabul mittlerweile wieder gibt.

"Früher, in den 60er und 70er Jahren, bestand das Publikum aus gebildeten Familien, es gab Abendvorstellungen. Heute tummeln sich junge Arbeitslose, Halbstarke, Drogenabhängige oder Kriminelle in den Kinosälen", so Jawanshir Haidary von der "Filmakers Union".

Herat, die zweitgrößte Stadt des Landes, hat noch keine neuen Lichtspielsäle. "Ich bin jetzt 27 Jahre alt. Noch nie war ich in meiner Heimatstadt im Kino", sagt der Filmemacher Fahim Hashimy, "die Taliban hatten das alte Kino als Moschee zweckentfremdet und in den Jahren des Bürgerkriegs liefen dort keine Filme."

Abhängig von Geldgebern

Der Krieg gegen die Taliban und die Heerscharen internationaler Helfer spielen in den afghanischen Streifen so gut wie keine Rolle. "Es ist nicht die Zeit, sich die Regierung oder die NATO zum Feind zu machen", versucht Ali Karimi, der ein Filmmagazin herausgibt, eine Erklärung. "Außerdem profitieren unsere Filmemacher von Aufträgen aus den Geberländern."

So lässt die ISAF Werbefilme drehen, die ihre Soldaten einträchtig Schulter an Schulter mit der afghanischen Polizei und Armee zeigen. Nicht immer beschreibt das die Wirklichkeit.

​​Einer der wenigen Filme, in dem die ausländische Präsenz in Afghanistan thematisiert wird, zeigt ausgerechnet einen unbarmherzigen Deutschen. In weitem Mantel und mit hanseatischer Mütze wird er Zeuge eines Mordes und nähert sich dem Opfer. Aber nicht um zu helfen, sondern um das Opfer zu fotografieren und sich davonzumachen.

Das Geld der Geberländer macht allerdings einige der Filme in Afghanistan erst möglich. Das Beispiel Internationale Menschenrechtskommission zeigt jedoch auch den Fluch dieser Praxis:

"Bei einem der Filme gab es die Auflage, mindestens drei Artikel der Internationalen Menschenrechtskonvention im Skript unterzubringen und den Schauspielern Wort für Wort in den Mund zu legen. Das beschneidet natürlich die künstlerische Freiheit enorm", so Ali Karimi.

Konkurrenz Bollywood

Ein gelungenes Beispiel der Förderung ist das Projekt der "Ateliers Varan", einer französischen Initiative für Dokumentarfilm in Entwicklungsländern. Zum zweiten Mal erhalten afghanische Nachwuchsfilmer dieses Jahr eine zweimonatige Ausbildung in Drehbuch, Kamera und Schnitt.

Initiatoren sind das Goethe-Institut Kabul und sein französisches Pendant. Einige der dabei entstandenen Dokumentarfilme sollen in Kürze auch in Europa auf Festivals und im Fernsehen gezeigt werden.

Das Kabuler Filmfestival vermittelt eine gute Portion Hoffnung. Die afghanischen Filmemacher zum Beispiel sagen, es sei heute leichter als vor zwei Jahren, erwachsene Frauen als Schauspielerinnen vor die Kamera zu bekommen.

Aber die Regisseure kämpfen gegen den Strom: Die afghanischen Massen schauen am liebsten indische Bollywood-Filme, wenn nicht im Kino, dann auf DVD.

Suche nach gemeinsamer Sprache

Malek Shafii, Organisator des Festivals, hat andere Ziele: "Ich wünsche mir, dass das Festival international bekannt wird. Wir haben Filme aus Pakistan, Iran und Tadschikistan hier. Und wir nutzen die neue Freiheit, probieren vieles aus."

​​"Shelter", der erste Zeichentrickfilm in der afghanischen Filmgeschichte, ist ein Ergebnis davon. Kurzfilme wie "We are postmodernism" von Alka Sadat oder "Rah/The Way" von Fahim Hashimi treffen am ehesten westliche Erwartungen an das Arthouse-Genre.

Andererseits sucht man noch nach einer gemeinsamen Sprache. In der Diskussion mit Vertretern des deutsch-französischen Fernsehsenders ARTE äußert der Leiter der staatlichen afghanischen Filmgesellschaft den Wunsch, ARTE möge zwei bis drei Filme pro Jahr aus Afghanistan einkaufen.

Die Antwort ist ein diplomatisches, aber leichtes Kopfschütteln. Zu unterschiedlich sind die Erwartungen an Dramaturgie, Ästhetik und Schnitt, zumindest für das Fernsehen und für A-Filmfestivals.

Eine etablierte Größe unter den afghanischen Filmemachern im Westen ist vor allem Siddiq Barmak, der mit seinem Spielfilm "Osama" dem afghanischen Kino nach den Taliban wieder einen Namen gegeben hat. Er dreht zurzeit in der afghanischen Provinz seinen neuen Spielfilm "Opium War" - eine Satire auf die Drogenproblematik und das US-Militär.

Martin Gerner

© Qantara.de 2007

Qantara.de

Interview Siddiq Barmak
Leidenserfahrung aus afghanischer Perspektive
"Osama" ist der erste afghanische Langfilm nach dem Zusammenbruch des Talibanregimes – keine beschwingte Beziehungskomödie, sondern vor allem Geschichtsaufarbeitung. Mit "Osama" gewann Regisseur Siddiq Barmak jetzt den "Golden Globe". Mit dem Filmemacher hat sich Amin Farzanefar unterhalten.

Interview Roya Sadat
"Uns fehlte fast alles"
Roya Sadat ist die jüngste Filmemacherin Afghanistans. Im Gespräch mit Fahimeh Farsaie berichtet sie über die Dreharbeiten zu ihrem ersten Film "Three Dots" und die Probleme, mit denen weibliche Regisseure und Schauspieler in Afghanistan zu kämpfen haben.

Erstes Afghanistan-Filmfestival
Zeigen und inszenieren
Das erste afghanische Filmfestival in Köln gab einen Überblick über das Filmschaffen in der Ära nach den Taliban, zeigte aber auch Produktionen aus den achtziger Jahren. Über die neue afghanische Bildsprache und die schwierigen Bedingungen des Filmemachens in Afghanistan berichtet Fahimeh Farsaie.