Deutschtürken wollen Doppelpass

Das deutsche Recht erlaubt eine doppelte Staatsangehörigkeit nur im Ausnahmefall. Vor allem Deutschtürken bringt das Probleme. Jeder von ihnen geht damit aber anders um. Manche fühlen sich ausgegrenzt. Wolfgang Dick informiert.

Von Wolfgang Dick

Levent Bayram ist 39 Jahre alt. Geboren wurde er in Berlin. Damals, in den 1970er Jahren erhielten in Deutschland Kinder von Einwanderern nur die Staatsangehörigkeit ihrer Eltern, völlig unabhängig vom eigenen Geburtsort. Damals zählte für die Nationalität nur die Abstammung.

Levent Bayram hat bis heute nur einen türkischen Pass, weil er sich nie in Deutschland einbürgern ließ. Um doch noch deutscher Staatsbürger zu werden, müsste Bayram seinen türkischen Pass abgeben. Das bringt er nicht übers Herz. "Ich habe eine hohe emotionale Bindung an die Heimat meiner Eltern."

Ein paar Jahre hat der für das "Deutsch-Türkische Journal" tätige Social-Media-Manager in der Türkei als Buch- und Telefonverkäufer gearbeitet. Mit seiner Familie lebt Bayram aber wieder in Berlin. Doch die Verbindung zur türkischen Kultur soll nicht abreißen. Der türkische Pass soll Zugehörigkeit dokumentieren.

Doppelte Staatsbürgerschaft ausgeschlossen

Levent Bayram versteht nicht, warum er nach deutschen Gesetzen vor die Wahl gestellt wird, sich zwischen zwei Nationalitäten entscheiden zu müssen. Bei Einwanderern aus der Europäischen Union werde die doppelte Staatsbürgerschaft anerkannt. "Warum nicht bei uns Türken?", fragt Bayram und fühlt sich benachteiligt. "Ich verstehe das nicht."

Gleichzeitig betont er, dass er sich in Deutschland stets sehr wohl gefühlt habe. Nie habe er Probleme gehabt oder sei schlecht behandelt worden.

Bei Einwanderern aus der Europäischen Union werde die doppelte Staatsbürgerschaft anerkannt. "Warum nicht bei uns Türken?", fragt Levent Bayram und fühlt sich benachteiligt.

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Bayram liebt Deutschland, empfindet aber auch die Türkei als seine Heimat. Deshalb hätte er am liebsten beide Staatsangehörigkeiten. Gerne würde sich Levent Bayram auch in Berlin politisch betätigen. "Ich habe so viele Ideen, aber ich kann hier nichts machen."

Um das zu ändern, müsste er die deutsche Staatsangehörigkeit annehmen. "Aber nicht zum Preis der Aufgabe meiner türkischen Staatsangehörigkeit", sagt er fest entschlossen.

Das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht zerreißt seine gesamte Familie. Heute ist nämlich der Ort der Geburt entscheidend für die Zuteilung einer Nationalität. Damit ist Levent Bayrams Bruder Türke. Seine Schwester ist Deutsche. Seine Frau ist Türkin. Die Tochter des Paars, geboren vor vier Jahren in Berlin, ist Deutsche. Der Sohn, vor 15 Jahren in der Türkei zur Welt gekommen, ist Türke.

Er geht in Schöneberg auf ein Gymnasium und wird wohl denselben Weg wählen wie sein Vater. In drei Jahren muss er sich entscheiden, ob er Deutscher werden will. Doch er will "Nein" sagen. Allerdings nicht aus Verbundenheit zur Türkei, sondern weil er sich in Deutschland nicht wohl fühlt. Was solle er dann mit einem deutschen Pass, fragt er.

Kinder des "Optionsmodells"

"Optionskind" Merve Gül: Bislang werden hier geborene Kinder von Ausländern zwar zu Deutschen und behalten zunächst die Staatsangehörigkeit der Eltern. Zwischen ihrem 18. und 23. Lebensjahr müssen sie aber eine ihrer Staatsangehörigkeiten aufgeben.

​​Merve Gül ist 21 und hat ein anderes Problem. Sie studiert im fünften Semester Rechtswissenschaften. Gül, in Deutschland geboren und aufgewachsen, ist ein so genanntes "Optionskind".

Die Reform des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts aus dem Jahr 2000 schreibt Merve Gül vor, dass sie sich bis zu ihrem 23. Geburtstag entscheiden muss, ob sie ihren deutschen Pass behalten möchte. Dazu müsste sie die türkische Staatsangehörigkeit zurückgeben, die sie aufgrund ihrer Abstammung von Geburt an ebenfalls erhielt.

Das möchte die Jura-Studentin Gül aber nicht. "Es gibt eine Regelung, die besagt, dass eine juristische Tätigkeit in der Türkei ohne türkische Staatsangehörigkeit nicht möglich ist."

Merve Gül möchte sich die Möglichkeit zur beruflichen Mobilität nicht nehmen lassen: "Ich will auf jeden Fall ein paar Jahre auch in der Türkei arbeiten."

Also stellte Gül einen so genannten "Antrag zur Beibehaltung". Sie ist optimistisch, dass sie künftig beide Nationalitäten behalten darf. "Das geht, wenn man nachweisen kann, dass man erhebliche, wirtschaftliche Nachteile befürchten muss, wenn man eine Nationalität aufgibt."

Wichtig sei bei einem solchen Antrag, dass man auf jeden Fall neutral bleibe und nur Fakten sprechen lasse, erläutert Gül das Verfahren. Sie hätte mit ihrem Sachbearbeiter Glück gehabt, meint Merve Gül, der habe sich sehr um eine Lösung bemüht. "Aber deutsche Behörden sind nicht immer so kooperativ", weiß die 21-Jährige aus Erzählungen von Freunden in ähnlicher Situation.

Zerrissen zwischen zwei Nationen

Sevda Adiguezel beklagt eine Situation, die viele junge Deutschtürken kennen: "In der Türkei bin ich die Deutsche, die eigentlich Türkin ist. In Deutschland die Türkin, die eigentlich Deutsche ist." Überall habe sie das Gefühl gehabt, nicht wirklich dazuzugehören. Die 26-Jährige studiert in Köln General Management, spricht perfekt Deutsch und fühlt sich in der Gesellschaft gut aufgenommen.

Sevda Adiguezel:"In der Türkei bin ich die Deutsche, die eigentlich Türkin ist. In Deutschland die Türkin, die eigentlich Deutsche ist."

​​Dass sie erst mit einem deutschen Pass offiziell als wirklich integriert gilt, empfindet sie als Angehörige der dritten Generation von Bürgern mit türkischen Wurzeln als skandalös.

Dennoch hat sie sich für die deutsche Staatsangehörigkeit entschieden, weil sie politisch für die Rechte junger Deutschtürken eintreten möchte. "Wenn wir den Mund halten, werden unsere Enkel noch nicht die Rechte haben, die uns zustehen."

Sevda Adiguezel engagiert sich in der akademischen Vereinigung "Dein Köln e.V." zusammen mit Arzu Badak, 28, einer Studentin für Bauingenieurwesen. Auch Badak hat sich für den deutschen Pass entschieden, weil sie darin für ihren beruflichen Werdegang Vorteile sieht und sie damit auch das Recht zum politischen Engagement erhält.

Andere junge Einwanderer ebenfalls für die Politik zu gewinnen, daran wolle sie aktiv mitwirken. Doch erst kürzlich hat es Arzu Badak fast die Sprache verschlagen: "Da hat jemand zu mir gesagt, ich sei zwar deutsche Staatsbürgerin, aber nicht deutsch. Das schmerzt."

Es gebe noch eine Menge zu tun, um das Durcheinander und die Unentschlossenheit deutscher Einwanderungspolitik in klare und gerechte Verhältnisse für alle zu verwandeln.

Wolfgang Dick

© Deutsche Welle 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de