Mangel an Geld, Führung und Profil

Das "Institut du monde arabe" wird zwanzig, ist aber noch lang nicht erwachsen. Ausser an Geldmangel leidet das Haus an inadäquaten Führungsstrukturen und am Fehlen einer kulturpolitischen Vision. Von Marc Zitzmann

Institut du monde arabe; Foto: Arian Fariborz
Chronisch unterfinanziert - das "Institut du monde arabe" in Paris

​​Die Kapitäne kommen und gehen, aber das Schiff schlingert unverändert ohne festen Kurs vor sich hin. Im Februar wurde Yves Guéna als Präsident des Pariser Institut du monde arabe (IMA) von Dominique Baudis abgelöst, aber die Probleme des Ende 1987 eröffneten franko-arabischen Kulturzentrums sind fast seit Anbeginn dieselben.

In erster Linie fehlt es an Geld. Um die chronische Finanznot des IMA zu verstehen, ist ein Blick zurück auf seine Entstehungsgeschichte nötig.

Lanciert wurde das Projekt nach der ersten Ölkrise: Den Franzosen ging es darum, ihren Einfluss in der arabischen Welt zu verstärken, den Arabern, ihr im Westen angekratztes Ansehen aufzupolieren. So wurde 1980 in Paris eine Privatstiftung gegründet, die gemeinschaftlich von Frankreich und von 19 arabischen Staaten (zu denen später Ägypten, Libyen und Palästina hinzukamen) getragen wurde.

Ein erstes Bauvorhaben gedieh unweit des Eiffelturms nur bis zu den Erdarbeiten, dann kam der sozialistische Wahlsieg von 1981, und der neue Kulturminister, Jack Lang, liess den Architekten Jean Nouvel das ursprünglich geplante maurische Pasticcio in eine Ikone der zeitgenössischen Metall- und Glasarchitektur verwandeln und die Baustelle ans andere Ende der Stadt verpflanzen.

Als das IMA vierzehn Jahre nach Planungsbeginn endlich eröffnet wurde, waren die Gelder der arabischen Staaten, die grossteils in einen Fonds hätten fliessen sollen, aufgebraucht. So wurden die Araber erneut zur Kasse gebeten, um 40 Prozent der Jahressubventionen der Institution zu finanzieren - ein Überrumpelungsversuch der Franzosen: In den Statuten ist von regelmässigen Beitragszahlungen nirgends die Rede.

Die Zahler blieben dementsprechend unmotiviert und äusserst saumselig. So wurde 1996 der ursprüngliche Finanzierungsplan wieder ausgegraben: Jene arabischen Staaten, so der damalige Vorschlag, die ihre gesamten Rückstände in einen "fonds de dotation" einzahlen würden, wären von weiteren Zahlungen dispensiert.

Subventionen vom französischen Staat

Bis heute wurden freilich nur etwas mehr als die Hälfte der ausstehenden Summen eingetrieben; die 39 Millionen Euro des "fonds de dotation" werfen jährlich bloss 1,5 Millionen Euro Zinsen ab.

Mit 8,7 Millionen Euro Subventionen trägt Frankreich also fast sechsmal so viel zum Jahreshaushalt des IMA bei wie die 22 arabischen Partner zusammen. Doch die Finanzierung des für eine Institution mit 150 Mitarbeitern knapp bemessenen Budgets von 23 Millionen Euro weist jedes Jahr ein Defizit von rund 3 Millionen Euro auf.

Stopft nicht der französische Staat mit Sonderzuschüssen das Loch, muss ein Kredit aufgenommen werden: Die Schulden belaufen sich inzwischen auf 14 Millionen Euro. Das Haus ist also strukturell unterdotiert: Das französische Aussenministerium hat seine Subventionen seit 17 Jahren nicht mehr erhöht, habe jedoch, so Philippe Cardinal, der PR-Chef des IMA, die Bereitschaft signalisiert, diese mittels einer Erhöhung um 3 Millionen Euro wieder auf den realen Stand von 1990 zu bringen.

Die Araber schulden ihrerseits dem IMA noch insgesamt 35 Millionen Euro - Hauptschuldner sind der Irak (13,2 Millionen Euro) und Libyen (14,7 Millionen Euro). Letzterer Staat hatte 2002 die Begleichung seiner gesamten Zahlungsrückstände in Aussicht gestellt, wenn Seif al-Islam Ghadhafi, dem Sohn des Diktators, eine Ausstellung gewidmet würde.

Also hängte das IMA rund zwanzig Gemälde des Sonntagsmalers an die Wand, darunter eines, auf dem zu sehen ist, wie die Kreuze in den Händen von drei Mönchen unter dem sengenden Blick des Revolutionsführers dahinschmelzen. Auf das Geld wartet das IMA noch heute . . .

Fehlen einer kulturpolitischen Vision

Neben dem Geldmangel bilden auch die Führungsstrukturen ein Problem. Der Präsident des Instituts wird offiziös vom französischen Staatspräsidenten ernannt, der Generaldirektor von arabischer Seite. Fast immer handelt es sich bei den jeweiligen Amtsinhabern um zweitrangige Politiker, visionslose Apparatschiks, die nicht aufgrund ihrer Kompetenzen ausgewählt wurden, sondern als Dank für geleistete Dienste.

Nicht nur führt die doppelköpfige Direktion zur Bildung von Clans im Institut, die mangelnde Qualifikation der meisten Amtsinhaber und ihr - höflich ausgedrückt - übertriebener Respekt vor den sechs arabischen Botschaftern im zwölfköpfigen Verwaltungsrat verhindern auch die Durchführung dringender Reformen und die Formulierung einer klaren Kulturpolitik.

So tut sich das IMA seit je schwer, die politische und soziale Aktualität zu reflektieren. Unter den wöchentlichen Diskussionsrunden finden sich heuer zwar welche über den Schiismus, über Reformversuche in den Golfmonarchien und über die Frage "Muss man mit den Islamisten regieren?".

Institut du monde arabe; Foto: Arian Fariborz
Die Publikumsnachfrage im Institut du monde arabe ist trotz struktureller Unterfinanzierung groß

​​Aber die brennendsten französischen Debatten des letzten Jahrs über den Kolonialismus, die Mohammed-Karikaturen und die Todesdrohungen gegen den Islam-Kritiker Robert Redeker wurden konsequent ausgeblendet.

Desgleichen weisen die grossen Wechselausstellungen einen durch und durch patrimonialen Ansatz auf: Gezeigt wird ausschliesslich Vergangenes, und zwar nach dem Motto "je toter, desto schöner".

Bezüge zur Jetztzeit, Fragestellungen zur Art und Weise, wie heute in arabischen Staaten Geschichte "gemacht" wird, kehren die - im Übrigen wissenschaftlich fundierten und oft publikumsattraktiven - Ausstellungen zugunsten eines konservativ-konservatorischen Diskurses resolut unter den Teppich.

Ganz gestrig ist auch das Museum. Das ursprünglich geplante grosse Museum der arabo-islamischen Künste und Zivilisationen wurde nie verwirklicht, das Ersatzprojekt eines "musée des musées" mit Leihgaben aus den grossen arabischen Häusern harrt noch immer einer Finanzierung.

Der heutige Parcours, der über drei Etagen hinweg von der vorislamischen Zeit bis zur Hochblüte der arabo-islamischen Wissenschaften und Künste führt, ist nicht eben entehrend, wirkt aber überholt.

Die für 2009 geplante Eröffnung einer 4000 Quadratmeter grossen Abteilung für islamische Künste im Louvre wird von der IMA-Führung bis jetzt ebenso wenig antizipiert wie der für dasselbe Jahr angesetzte Umzug der "Bibliothek des Institut national des langues et civilisation orientales" (Inalco) in einen grossräumigen Neubau im neuen Tolbiac-Viertel.

Grosse Publikumsnachfrage

Dannzumal werden innerhalb weniger hundert Meter nicht weniger als drei Institutionen mit bedeutenden arabischen Bücherfonds zu finden sein: die Nationalbibliothek, das Inalco und die Bibliothek des IMA.

Wie Letztere, deren knapper Reserveraum bereits Anfang der 1990er Jahre Anlass für ergebnislose Sitzungen war, gegenüber der verstärkten Konkurrenz bestehen wird, steht in den Sternen.

Eine Reflexion über Zukunftsstrategien wie die Bildung von Referenzgebieten, in denen das IMA unumgänglich wäre, findet jedenfalls nicht statt. Anlässlich einer ökonomisch bedingten Reduktion des Personalbestands wurde im Dezember ein Teil der Belegschaft der Bibliothek entlassen.

Fazit: das "Institut du monde arabe" wird heuer zwanzig - ist aber noch längst nicht erwachsen. Dazu täten drei Dinge not: eine ausreichende Finanzierung, eine standfeste Führung mit einer klaren kulturpolitischen Vision und Projektleiter, die sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen vermöchten.

Dass das Haus in der Pariser Kulturlandschaft einen chronischen Problemfall bildet, ist umso bedauerlicher, als die Publikumsnachfrage gross ist - und intern durchaus Ressourcen vorhanden sind. Aber ohne grundlegende Reformen kann das reiche Potenzial des Instituts allenfalls partiell erschlossen werden.

Marc Zitzmann

© Neue Zürcher Zeitung 2007

Qantara.de

Ausstellung: "Venedig und der Orient" in Paris
Sieg des Pragmatismus
In der Ausstellung "Venise et l´Orient" spürt das "Institut du Monde Arabe" in Paris den Beziehungen Venedigs mit dem "Orient" nach. Susan Javad hat sich die Ausstellung angeschaut.

www

Institut du monde arabe