Spielend integriert

Der türkischstämmige Mittelfeldspieler Ilkay Gündogan hat einen rasanten Aufstieg im deutschen Fußball hingelegt: Der 21-Jährige wurde mit Borussia Dortmund Deutscher Meister und Pokalsieger und gehört zum deutschen EM-Kader. André Tucic stellt den Ausnahmesportler vor.

Von André Tucic

Als im DFB-Pokalfinale der Schlusspfiff ertönte, kannte der Jubel auf Seiten der Dortmunder keine Grenzen. Mit 5:2 besiegten die Schwarz-Gelben den FC Bayern München. Auch Ilkay Gündogan war völlig aus dem Häuschen. Doch als er im Innenraum des Berliner Olympiastadions Kontakt zu den Fans aufnahm, Hände schüttelte und Schulterklopfer einheimste, hielt er plötzlich inne. Denn ein Fan streckte ihm die türkische Flagge entgegen.

Es ist bei Fußballern Usus, dass sie sich in solchen Momenten in ihre Nationalfarben hüllen und somit ihrer Herkunft Ausdruck verleihen. Doch Gündogan, der sich erst kürzlich entschieden hat, für die deutsche und nicht die türkische Nationalmannschaft aufzulaufen, lehnte das Angebot ab.

Stattdessen lief er zurück zu seinen feiernden Mannschaftskollegen. Doch kurze Zeit später war der weiße Halbmond auf rotem Hintergrund an seinem Körper zu sehen. Sei's drum, wird er sich gedacht haben. Ich habe türkische Wurzeln, die darf ich auch nach außen tragen.

Vom Ruhrpott ins Frankenland und zurück

"Ich bin auf die türkische Herkunft genauso stolz wie auf meine deutsche", findet Ilkay Gündogan. Sein Vater Erfan und Mutter Ayten sind in der Türkei geboren. Doch Ilkay und sein Bruder Ilker sind im Ruhrpott aufgewachsen, in Gelsenkirchen – in der Stadt, die ein gutes Pflaster für deutsch-türkische Fußballer ist.

Ilkay Gündogan beim 1. FC Nürnberg; Foto: dpa
Zielstrebig, torgefährlich: Ilkay Gündogan erkämpfte sich beim 1. FC Nürnberg einen Stammplatz. Seit der Saison 2010/11 war der Deutschtürke der Dreh- und Angelpunkt im Spiel der Franken.

​​Immerhin wurden hier Hamit und Halil Altintop sowie Mesut Özil geboren. Die Altintops spielen für die Türkei und Özil trägt den Bundesadler auf der Brust. "Illy", wie Ilkay Gündogan genannt wird, hätte auch für das Land seiner Eltern spielen können. "Natürlich spielt meine türkische Herkunft eine Rolle. Aber ich bin hier geboren und aufgewachsen und habe die deutsche Mentalität angenommen", sagte er unlängst.

Doch bevor er im Herbst letzten Jahres für die deutsche Nationalelf debütierte, musste er sich auf vielen Fußballplätzen seine Sporen verdienen. Schon als Kleinkind spielte er in einem Verein, als Zehnjähriger sogar ein Jahr für Schalke 04, den großen Klub aus seiner Heimatstadt. Doch er wechselte zum benachbarten VfL Bochum und wurde dort ausgebildet.

Von der zweiten Mannschaft der Bochumer wechselte er zum damaligen Zweitligisten 1. FC Nürnberg. Er brauchte ein halbes Jahr, ehe er zu seinem ersten Einsatz kam. Nürnberg stieg in die Erste Bundesliga auf und Ilkay Gündogan erkämpfte sich einen Stammplatz. Seit der Saison 2010/11 war der Deutschtürke der Dreh- und Angelpunkt im Spiel der Franken. Folgerichtig kam der nächste Karriereschritt: Im Sommer 2011 wechselte er für knapp fünf Millionen Euro zu Borussia Dortmund.

Vor dem Höhenflug kam die Talsohle

In seinem ersten Jahr bei den Dortmundern wurde er Meister und Pokalsieger. In der erfrischend aufspielenden Mannschaft des BVB absolvierte Ilkay Gündogan 28 Spiele in der Bundesliga, zwei in der Champions League, schoss drei Tore und gab drei Torvorlagen. Eine stattliche Quote, die auch Bundestrainer Joachim Löw beeindruckte.

Doch vor dem Höhenflug hatte er zunächst eine Talsohle zu durchschreiten. Die Erwartungen an ihn waren von Beginn an gewaltig, immerhin sollte er in Dortmund in die Fußstapfen des zu Real Madrid gewechselten Nuri Sahin treten. Die ersten sechs Saisonspiele bestritt Ilkay Gündogan von Beginn an, konnte aber nicht überzeugen. Daher fand er sich erst auf der Ersatzbank, dann sogar auf der Tribüne wieder. Es hieß, er verschleppe das Spiel, halte den Ball zu lange.

Ilkay Gündogan nach einem BVB-Spiel; Foto: dapd
Vom Leisetreter zum Anführer: Für den BVB absolvierte Gündogan 28 Spiele in der Bundesliga, zwei in der Champions League, schoss drei Tore und gab drei Torvorlagen.

​​Fortan spielten Sven Bender und Kapitän Sebastian Kehl. Erst durch eine Verletzung von Sven Bender rückte Ilkay Gündogan wieder in die Startelf und vermochte in der Rückrunde sein Potenzial immer häufiger abzurufen. "Das war eine schwierige Situation. Aber jetzt bin ich angekommen", sagte Ilkay Gündogan.

Durchbruch des Hochbegabten

Höhepunkt seiner positiven Entwicklung war der Auftritt im DFB-Pokalhalbfinale gegen die SpVgg Greuther Fürth. Nach 90 Minuten stand es 0:0, das Spiel ging in die Verlängerung. Alles deutete auf ein Elfmeterschießen hin, ehe Ilkay Gündogan in allerletzter Sekunde beherzt auf das Tor schoss, erst den Pfosten, dann den Rücken des Torhüters Jasmin Fejzic traf. Der Ball zappelte im Netz, Dortmund zog ins Finale ein.

Plötzlich war der Leisetreter ein Anführer – auf und neben dem Platz. Er wurde sogar vom Fachmagazin Kicker als notenbester Bundesligaprofi der Rückrunde aufgeführt. Für viele war es ohnehin nur eine Frage der Zeit, ehe Ilkay Gündogan der Durchbruch gelingt. Denn er ist ein feiner Techniker mit einer eleganten Ballbehandlung und der Gabe, messerscharfe Pässe zu spielen. Er ist lauffreudig, ständig präsent, will angespielt werden und auf dem Platz Verantwortung übernehmen. Dazu ist er ausgestattet mit einem harten und präzisen Schuss.

Bundesadler statt Halbmond

Dieses Talent kommt nicht von ungefähr: Ilkay Gündogan hat von der U18 alle deutschen Junioren-Nationalmannschaften durchlaufen. Doch ehe er nicht für die A-Nationalmannschaft von Joachim Löw gespielt hat, war es noch möglich, für die türkische Elf aufzulaufen.

Daher buhlte der türkische Fußballverband um ihn: "Ich habe mich persönlich um ihn bemüht und mehrere Gespräche mit ihm geführt", sagte der damalige Nationaltrainer Guus Hiddink. Doch er wurde im August 2011 zur deutschen A-Nationalmannschaft berufen. Eingesetzt wurde er jedoch nicht, daher hörten die Avancen der Türken nicht auf.

Ilkay Gündogan; Foto: dpa
Bekenntnis zur DFB-Auswahl: "Ich habe alle Jugendteams des DFB durchlaufen. Und es war immer mein Traum, für Deutschland zu spielen", erklärte Gündogan.

​​Ilkay Gündogan schien das nicht sonderlich zu interessieren: "Es stand für mich schon lange fest, dass ich für die deutsche Nationalmannschaft spielen möchte", sagte er im letzten Jahr. Am 11. Oktober 2011 war es dann soweit: Er debütierte beim 3:1 Sieg gegen Belgien in der EM-Qualifikation.

"Das DFB-Trikot mit meinem Namen hinten drauf bekommt bei mir einen Ehrenplatz", schwärmte er. Seinen zweiten Länderspieleinsatz hatte er kürzlich beim Testspiel am 25. Mai bei der 3:5 Niederlage gegen die Schweiz. Einen Tag später wurde der EM-Kader benannt. Mit dabei: Ilkay Gündogan. Für ihn sei ein Traum in Erfüllung gegangen, sagte er.

Integrationspate der Bundesliga-Stiftung

Der Deutsche Fußball Bund setzt nicht nur sportlich auf ihn. Denn mit einigen Bundesligaprofis und Akteuren der U 17- und U 19-Nationalmannschaft spielt Ilkay Gündogan die Hauptrolle in einem TV-Spot des DFB. Integration gelingt spielend heißt die Botschaft, die der Jungnationalspieler in die Kamera ruft.

Ebenso wurde er von der Bundesliga-Stiftung als Integrationspate ernannt. Er soll repräsentative Aufgaben übernehmen und jungen Menschen mit Migrationshintergrund Mut machen. Die Stiftungsprojekte reichen von Sprachförderung über Sozialkompetenz bis hin zur Unterstützung bei der Ausbildungs- und Berufswahl.

Er, der Vorzeige-Migrant, der das Abitur gemacht hat, es zum Bundesligaprofi und Nationalspieler geschafft hat, scheint wie geschaffen für diese Aufgabe.

André Tucic

© Qantara.de 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de