Saudi-Arabiens verwundbarste Stelle

Nach den Drohnenangriffen auf zwei Ölanlagen in Saudi-Arabien hatte US-Präsident Trump gewarnt, die USA stünden mit "geladener" Waffe bereit, um auf die Attacken zu reagieren. Doch gegen wen richtet sich seine Warnung? Von Karim El-Gawhary

Von Karim El-Gawhary

Bedurfte es eines Beweises, wie verwundbar die saudische Ölindustrie und damit der globale Ölmarkt ist – so wurde er wohl spätestens dieses Wochenende angetreten. Denn mit den Drohnenangriffen auf zwei saudische Ölanlangen des Staatskonzerns Aramco in Abqaiq und Khurais wurde ein neuralgischer Punkt der Weltwirtschaft getroffen, von dem man bisher in den Nachrichten kaum gehört hat und der außerhalb der Ölindustrie nur wenig bekannt ist.

Nachdem von saudischer Seite zunächst das Ausmaß des Angriffs heruntergespielt wurde mit dem Verweis, man habe die ausgebrochenen Feuer schnell unter Kontrolle gebracht und es gäbe weder Todesopfer noch Verletzte, war es der Energieminister des Landes, der am Samstagabend das wahre Ausmaß der Auswirkungen des Angriffes enthüllte.

Ein Schlag ins Herz der Ölindustrie

Der Schaden in den Ölanlagen führt dazu, dass Saudi-Arabien seine Ölproduktion um 5,7 Millionen Tonnen täglich herunterfahren muss, erklärte er. Das ist die Hälfte der saudischen Ölproduktion. Aufgrund der Tatsache, dass Saudi-Arabien zehn Prozent des weltweit vermarkteten Öls produziert, bedeutet das, dass der globale Ölmarkt mit diesem Angriff auf die saudischen Ölanlagen auf einen Schlag fünf Prozent der Versorgung mit "schwarzem Gold" verliert.

Für die Märkte noch bedeutender: Saudi-Arabien ist weltweit mit Abstand das wichtigste Land mit einer "spare capacity", also einem Puffer bei der Ölproduktion, das es dem Königreich ermöglicht, über Nacht den Ölhahn aufzudrehen und damit den Ölpreis zu gestalten, aber auch Verknappungen beim Ölnachschub in anderen Teilen der Welt auszugleichen.

Nun ist dieser globale "Krisen-Ölpuffer" selbst angeschlagen. Unklar ist bisher, wie lange es wohl dauern wird, bis die Schäden an den Ölanlangen repariert und die saudische Ölproduktion wieder hochgefahren werden kann. Im Moment ist von mehreren Tagen die Rede. Inzwischen hat ein regelrechter Ölpreis-Schock an den Finanzmärkten eingesetzt: Nach den Drohnenangriffen in Saudi-Arabien stiegen die Ölpreise so sprunghaft an wie seit Jahrzehnten nicht.

Huthi-Armee-Sprecher Jihja Sari; Foto: Reuters
Drohende Eskalation: Nach der Bombardierung saudischer Ölanlagen haben Jemens Huthi-Rebellen dem Nachbarland mit weiteren Angriffen gedroht. "Wir versichern dem saudischen Regime, dass unser langer Arm jeden von uns gewünschten Ort zum von uns bestimmten Zeitpunkt erreichen kann", erklärte Huthi-Sprecher Jihja Sari.

Huthi-Rebellen in Angriffsstellung

Unklar ist bisher, wer genau für den koordinierten Angriff verantwortlich ist. Im Jemen nehmen die vom Iran unterstützen schiitischen Huthi-Rebellen für sich in Anspruch, zehn Drohnen im Rahmen ihrer bisher größten Operation gegen Saudi-Arabien eingesetzt zu haben. Wenn das tatsächlich der Fall ist, dann haben die Huthis abermals bewiesen, dass sie hunderte von Kilometer tief ins saudische Territorium vordringen und zuschlagen können – und das selbst an strategisch äußerst sensiblen Orten. Die Huthis hatten bereits immer wieder zuvor mit Raketen und Drohnen Flughäfen, aber auch Ölpipelines angegriffen.

In ihrem Fernsehsender Al-Masirah TV kündigten sie weitere militärische Schläge innerhalb Saudi-Arabiens an. Aufhorchen lassen dürfte das saudische Könighaus noch ein weiterer Hinweis des Huthi-Senders. Nämlich, dass die Operation mit Hilfe "ehrenhafter Menschen" innerhalb Saudi-Arabiens durchgeführt worden sei. Fast die gesamte Ölproduktion befindet sich im Osten Saudi-Arabiens.

Dort lebt die schiitische Minderheit des Landes, die von der saudisch-sunnitischen Autokratie ohnehin schon misstrauisch beäugt wird, die als Bürger zweiter Klasse angesehen und deren Menschenrechte immer wieder massiv von den saudischen Sicherheitskräften verletzt werden. Eine militärische und geheimdienstliche Kooperation zwischen ihnen, den Huthis und dem Iran wäre ein Albtraum für den saudischen Sicherheitsapparates.

US-Außenminister Mike Pompeo; Foto: picture-alliance/AP
Samstag auf Twitter geschrieben: "Inmitten der Rufe nach Deeskalation hat der Iran jetzt einen beispiellosen Angriff auf die Welt-Energieversorgung verübt. Es gibt keinen Beweis, dass die Angriffe vom Jemen kamen."

Woher kamen die Drohnen?

In einem Tweet bezweifelte US-Außenminister Mike Pompeo allerdings die Darstellung der Huthi-Rebellen. Er beschrieb den Angriff als einen beispiellosen Angriff auf die weltweite Energieversorgung. Und: Es gäbe keinerlei Beweise, dass die Drohnen aus dem Jemen kamen, twitterte er. Experten untersuchten gegenwärtig die Möglichkeit, ob die Angriffe aus dem Norden kamen, möglicherweise aus dem Iran oder von dessen verbündeten schiitischen Milizen im Irak. Auch wird noch geklärt, ob Drohnen oder Raketen im Einsatz waren, berichtet die US-amerikanische Tageszeitung Wall Street Journal.

Wer immer hinter den Angriffen steckt, für die USA und seine saudischen Verbündeten sind sie in militärtechnischer Hinsicht peinlich. Denn weder die USA als Saudi-Arabiens militärische Schutzmacht, noch die Waffen, die Saudi-Arabien für milliardenschwere Deals vor allem in den USA eingekauft hat, konnten diese Angriffe mit ihrer relativ einfachen Technologie verhindern.

Ob nun mit dem Iran verbündete Huthi-Rebellen, schiitische Milizen, Schiiten in Saudi-Arabien oder der Iran selbst diese Angriffe durchgeführt hat, sicher ist, dass Saudi-Arabien und die USA mit dem Finger auf Teheran zeigen, wie bereits zuvor bei den Angriffen auf Öltanker im Golf.

Sicher ist auch, dass diese Angriffe die Spannungen mit dem Iran in der Region und weltweit erhöhen werden, ohne dass es automatisch zu einem Gegenschlag kommen muss. Der Angriff auf die saudischen Ölanlagen kann auch als eine Abschreckungsbotschaft verstanden werden, wie vielfältig der Iran reagieren könnte, wenn er selbst militärisch angegriffen wird.

Karim El-Gawhary

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