"Captains of Zaatari": Unerschütterliche Macht der Träume

Ausschnitt aus dem Film "Captains of Zaatari"; Foto: Inga Gerke
Ausschnitt aus dem Film "Captains of Zaatari"; Foto: Inga Gerke

Bis zum 25. September läuft in Berlin noch das Human Rights Film Festival. Einer der Festivalbeiträge ist der Dokumentarfilm "Captains of Zaatari". Der ägyptische Regisseur Ali El Arabi erzählt darin von den Träumen jugendlicher Geflüchteter aus Syrien, dem trostlosen Leben im Flüchtlingscamp von Zaatari mithilfe von Fußball zu entkommen. René Wildangel hat den Film für Qantara.de gesehen.

Von René Wildangel

Zaatari ist ein Symbol für das Schicksal syrischer Flüchtlinge. Das Flüchtlingslager in Jordanien wuchs bereits kurz nach Ausbruch des Syrienkrieges rasant an. Bald wurde es kaum noch als Lager, viel mehr als Stadt angesehen. Zu Hochzeiten lebten dort 150.000 Menschen, heute sind es noch immer knapp 80.000 syrische Flüchtlinge – die Hälfte von ihnen Kinder. Hier gibt es allein 32 Schulen und acht Krankenhäuser. 

Für das Flüchtlingshilfswerk UNHCR und die zahlreichen vor Ort tätigen humanitären Organisationen war das Lager lange Zeit eine Art interessantes Experimentierfeld. Wie kann eine solche, rasant und chaotisch gewachsene Flüchtlingsstadt besser verwaltet werden? Welche Strategien kann man einsetzen, um ein Stück Normalität zu etablieren? So bezeichnete sich der deutsche UNHCR-Leiter Kilian Kleinschmidt lieber als "Bürgermeister“ von Zaatari, denn als Leiter des Flüchtlingslagers.



Aber all diese vermeintlich innovativen Ansätze und neuen Ideen änderten wenig an einer simplen Wahrheit: Die meisten Menschen hier haben in ihrem Heimatland Syrien alles verloren, nicht nur ihre Häuser, ihren Besitz, ihre Arbeit, ihre Zukunft, sondern auch viele Verwandte und Freunde. Und Zaatari ist der trostlose Ort, an dem sie nun aller Hoffnungen beraubt ihre gesamte Zeit verbringen müssen: Staubig, überfüllt, öde und ohne Aussicht auf Arbeit.

So ist das Thema vieler Flüchtlingsfilme dieser Tage geprägt von diesem Gefühl festzustecken, physisch und psychisch. Eine Weiterreise ist nicht möglich, die Stimmung in Gastländern wie Jordanien, der Türkei oder dem Libanon ist zunehmend feindselig, nicht zuletzt angesichts der prekären wirtschaftlichen und politischen Lage in den Ländern.

Das "Syrian Dream Team"

In dieser Situation sind auch die beiden Freunde Fawzi und Mahmoud, die der Dokumentarfilm "Captains of Zaatari“ des ägyptischen Regisseurs Ali El Arabi portraitiert. Sie haben nur ein Thema im Lager, das sie begeistert und das ihnen die Hoffnung gibt, das Lager eines Tages erhobenen Hauptes verlassen zu können: Fußball. Sie sind die Kapitäne eines "Syrian Dream Team“, einer Auswahlmannschaft in Zaatari. Ihre Eltern sind zwar stolz auf sie, drängen aber dennoch ihre Kinder, die Schule fortzusetzen. "Warum soll ich eine Ausbildung machen?“, fragt dagegen Mahmoud. "Ich bin ein Flüchtling. Wenn ich einen Abschluss habe, bin ich halt ein Flüchtling mit Abschluss.“

Ausschnitt aus dem Film "Caiptains of Zaatari"; Foto: Inga Gerke
Kicken im staubigen, überfüllten und öden Flüchtlingscamp Zaatari in Jordanien: Der ägyptische Regisseur Ali El Arabi porträtiert in seinem Dokumentarfilm "Captains of Zaatari“ zwei jugendliche Geflüchtete aus Syrien, die im Fußball eine Chance sehen, dem trostlosen Leben im Flüchtlingslager zu entkommen. Der Film sei durchaus ein Beispiel für die unerschütterliche Macht der Träume, schreibt René Wildangel. "Allerdings zeigt er auch deren Grenzen deutlich auf: Mahmouds und Fawzis Heimat ist zerstört, ihre Familien leben weiterhin unter unwürdigen Bedingungen im Lager. Fawzis Vater stirbt an Krebs, auch wegen der schlechten Gesundheitsversorgung.“

Im Gegensatz zur Schule sehen die beiden im Fußball eine Chance, das Lager hinter sich zu lassen. Überall im Lager wird gekickt, Talente gibt es viele. Und es existieren einige internationale Projekte, die den Allerbesten unter ihnen tatsächlich Auswege aus der Einöde des Lagers bieten. So existiert eine Kooperation mit der brasilianischen Pérolas Negras Soccer Academy aus dem Bundesstaat Rio, die in einem komplexen Auswahlprozess einige Talente nach Brasilien einlädt.

Alle drei Monate kommen Scouts der katarischen "Aspire Academy“ und suchen nach Talenten in Zaatari. Auch Fawzi und Mahmoud sind auf ihrem Radar. Und zumindest Mahmouds Traum geht in Erfüllung, als das "Syrian Dream Team“ aus Zaatari 2017 als Ehrengast zum internationalen U17 Al-Kaas Cup in Katar eingeladen wird und er die Mannschaft anführen soll. Ausgerechnet sein Freund, der hochtalentierte Fawzi, wird zunächst aus Altersgründen abgelehnt, darf dann aber doch teilnehmen und nach Katar reisen. Im Gegensatz zu den staubigen Plätzen des Camps wirken die gepflegten Plätze der "Aspire Academy“ mit ihrem satten Grün wie eine Traumwelt.

Hoffnungsschimmer ausgerechnet in Katar

Die mit viel Geld und Aufwand betriebenen Fußballakademie soll seit 2004 im Vorfeld der Weltmeisterschaft in Katar den Ruf des von Korruption und Menschenrechtsverletzungen gebeutelten Gastgebers aufpolieren. Hier trainieren junge Talente und jeden Winter sind europäische Spitzenmannschaften zu Gast – seit 2011 ist auch jährlich der FC Bayern hier im Winter-Trainingslager. Dabei hat Amnesty International auch der Aspire Foundation die Beteiligung an schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen.



In dem Bericht "The Ugly Side of the Beautiful Game“ von 2016 hieß es unter anderem: "99 Arbeitsmigranten, die sich um die Grünanlagen des Aspire Zone Sportkomplexes kümmern, waren hier unter elenden und beengten Zuständen untergebracht. Sie haben allesamt berichtet, dass ihnen weniger Geld bezahlt wurde, als  ursprünglich in den Heimatländern versprochen worden war. Ihr Pässe wurden ihnen bei Ankunft in Katar weggenommen.“

Zwar hat der WM-Gastgeber sich seitdem bemüht, Reformen durchzuführen; aber die Zustände sind weiterhin prekär. Auch wenn der Film das gar nicht thematisiert: Es ist paradox, dass den geflüchteten Syrern ausgerechnet ein Ort als Hoffnungsschimmer dient, an dem Migranten vorwiegend aus Süd- und Südostasien ausgebeutet werden. Aber für Fawzi und Mahmoud ist es die Verwirklichung ihres ganz persönlichen Traumes.

Dort begegnen sie und ihre Mitspieler einigen ihrer Helden, den Spielern des FC Bayern, dem spanischen Topspieler Xavi Hernandez oder dem Franzosen David Trezeguet – auch wenn manch einer noch lieber Superstar Christiano Ronaldo getroffen hätte. Die Leistungen in den Trainingsspielen sind durchwachsen, Fawzi verletzt sich. Aber beim Auftritt gegen die Jugend der saudischen Erstligamannschaft Al-Ahly FC kommt es zu einem hart erkämpften Sieg. Zu Hause in Zaatari verfolgen stolze Freunde und Verwandte die Übertragung im Satellitenfernsehen.

 

 

Wenig Chancen zur Flucht aus der Flucht

Die Freude über die außergewöhnlichen Tage in der Fußballakademie gehen bei Fawzi und Mahmoud einher mit dem Wunsch, auch anderen Jugendlichen eine derartige Chance zu ermöglichen. Nach dem Turnier kehren sie zurück nach Zaatari und engagieren sich als Nachwuchstrainer. Mit Blick auf die Schule hat sich ihre Haltung geändert. Schließlich haben sie in Katar gesehen, dass auch ein erfolgreicher Fußballer ohne Englisch nicht weit kommt.

Der Dokumentarfilm Captains of Zaatari wurde 2021 schon auf dem renommierten Sundance Festival gezeigt und als Beispiel für die unerschütterliche Macht der Träume gelobt. Allerdings zeigt er auch deren Grenzen deutlich auf: Mahmouds und Fawzis Heimat ist zerstört, ihre Familien leben weiterhin unter unwürdigen Bedingungen im Lager. Fawzis Vater stirbt an Krebs, auch wegen der schlechten Gesundheitsversorgung. Und schließlich ist die Hoffnung, es über den Fußball aus dem Lager heraus zu schaffen, eine rein männliche, die den jungen Mädchen im Camp nicht offensteht. Dabei sind gerade die jungen Frauen im Lager besonders verwundbar.

Ohne Frage hat der Fußball ein riesiges Potential, zur Integration von Geflüchteten beizutragen. In Europa sind insbesondere seit 2015 unzählige Projekte in diesem Bereich entstanden. Diese Möglichkeiten stehen aber nur jenen offen, die es in eine zunehmend abgeschottete EU geschafft haben. Für die meisten Geflüchteten dagegen gibt es kaum eine Chance zur Flucht aus der Flucht. Der Film macht deutlich, wie wichtig Hoffnungsanker sind – allerdings auch, dass nachhaltige Lösungen anders aussehen müssen.

René Wildangel

© Qantara.de 2021

Das Human Rights Film Festival in Berlin läuft noch bis zum 25. September.