"Auf den Westen kann man sich nicht verlassen"

Welche Rolle spielt der Westen im Nahen Osten heute, 20 Jahre nach dem Beginn des "Kriegs gegen den Terror"? Die Menschen in Afghanistan hätten den Westen nie interessiert, sagt der Politologe Hisham A. Hellyer im Interview mit Andrea Backhaus. Ihm die alleinige Schuld an der Lage zu geben, greife aber zu kurz.

Von Andrea Backhaus

Herr Hellyer, vor 20 Jahren marschierten US-Truppen in Afghanistan ein, um die Taliban zu zerschlagen. Die Islamisten gewährten der Terrormiliz Al-Qaida Zuflucht, die im September 2001 die USA attackiert hatte. Nun feiern die Taliban in Afghanistan ihren Sieg. Warum haben sich die Amerikaner so überraschend zurückgezogen?

Hisham A. Hellyer: Der überhastete Rückzug war nicht überraschend. Viele hatten offenbar geglaubt, dass sich die politischen Führungen der USA, Deutschlands oder Großbritanniens aufrichtig um die Menschen kümmern würden, die nach dem Abzug ihrer Truppen in Afghanistan zurückbleiben würden. Aber diese Annahme war fragwürdig. Präsident Emmanuel Macron hat das sehr klargemacht: Als der Abzug der US-Truppen begann, sagte er, man müsse verhindern, dass Flüchtlinge aus Afghanistan nach Europa kämen. Das hätte er sicher nicht gesagt, wenn diese Menschen weiße Christen wären. Der ungarische Präsident Viktor Orbán war noch schlimmer. Es ist nicht so, dass alle westlichen Politiker Monster sind. Aber ungeachtet ihrer Rhetorik war das Schicksal der Menschen in Afghanistan nie ihr Hauptanliegen.

Es scheint, als hätten die westlichen Staaten keine Strategie für ihren Abzug gehabt.

Hellyer: Ich fürchte, es ist noch schlimmer: Die USA hatten eine Strategie, aber die Entscheidungsträger in Washington interessierten sich nicht wirklich für die Folgen. In den USA wuchs der Druck, die Soldaten aus Afghanistan rauszuholen. Viele US-Amerikaner, Bürger wie Politiker, haben schon lange kein Interesse mehr daran, sich in Afghanistan zu engagieren. Als die politische Führung das erkannte und auch verstand, dass es für die USA in Afghanistan kein strategisches Interesse mehr gab, beschlossen sie, den Einsatz zu beenden.

Nach den Terroranschlägen am 11. September 2001 verkündete der damalige US-Präsident George W. Bush, der Westen, allen voran die USA, befinde sich in einem "war on terror". Was hat dieser "Krieg gegen den Terror" in der arabischen Welt hinterlassen?

Hellyer: Zur arabischen Welt gehören 22 Länder. Alle diese Länder kämpfen auf unterschiedliche Weise gegen Gruppen, die aus ihrer Sicht ihre Sicherheit bedrohen. Der Westen hat in einigen dieser Länder in den vergangenen 20 Jahren viel Schaden angerichtet. Im Irak etwa haben viele Menschen sehr gelitten wegen des "war on terror".

Ein Soldat steht Wache am Eingang zur Basis Nineveh rund 280 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bagdad am 11. Februar 2016; Foto: Safin Hamed/AFP/Getty Images
Fadenscheinige Behauptungen: Der Einmarsch der USA in den Irak war illegal und basierte auf falschen Annahmen. Der Irak wurde angegriffen, weil das Regime von Saddam Hussein angeblich über Massenvernichtungswaffen verfügte – eine Behauptung, die sich als unhaltbar erwies. Das hätte nicht passieren dürfen. Die Irakerinnen und Iraker mussten erst jahrzehntelang unter einem brutalen Regime leben, dann jahrelang die Besatzung der Amerikaner ertragen. Die Folgen der Invasion werden für alle Menschen im Irak noch lange zu spüren sein.

Irakkrieg: Weitreichende Folgen bis heute

Im Jahr 2003 marschierten US-Truppen in den Irak ein. Sie stürzten den Diktator Saddam Hussein und etablierten ein Wahlsystem, das Schiiten die Mehrheit sichert; bis heute sind Sunniten aus vielen Schlüsselpositionen ausgeschlossen. Viele Irakerinnen und Iraker sagen, die Besatzung habe die Gesellschaft zerrissen.

Hellyer: Der Einmarsch der USA war illegal und basierte auf falschen Annahmen. Der Irak wurde angegriffen, weil das Regime von Saddam Hussein angeblich über Massenvernichtungswaffen verfügte – eine Behauptung, die sich als unhaltbar erwies. Das hätte nicht passieren dürfen. Die Irakerinnen und Iraker mussten erst jahrzehntelang unter einem brutalen Regime leben, dann jahrelang die Besatzung der Amerikaner ertragen.

Man darf nicht vergessen, dass weder die Schiiten noch die Sunniten im Irak eine einheitliche Gruppe sind, auch die meisten Kurden sind Sunniten. Die Menschen nehmen die politischen Entwicklungen jeweils sehr unterschiedlich wahr. Die Folgen der Invasion werden für alle Menschen im Irak noch lange zu spüren sein. Aber man sollte die Fähigkeit der Iraker nicht unterschätzen, diese Gräben zu überwinden. Trotz aller Schwierigkeiten haben sie schon viel erreicht.

Einige Iraker kämpften mit Milizen gegen die amerikanischen Besatzer, einige radikalisierten sich und schlossen sich später Gruppen wie Al-Qaida und dem IS an. Kann man sagen: Statt den Terror zu bekämpfen, begünstigten die westlichen Interventionen den Aufstieg von Terrorgruppen?

Hellyer: Es gibt verschiedene Gründe, aus denen sich eine Person radikalisiert. Auch Menschen, die nie Folter und Unterdrückung erfahren haben, schließen sich Terrorgruppen an, etwa weil sie deren Ideologie teilen. Andersrum führt eine gefühlte oder reale Unterdrückung nicht per se dazu, dass Menschen Terroristen werden. Einige wenige Iraker und Syrer können aus bestimmten Gründen für radikale Propaganda empfänglich sein. Deutsche oder Franzosen können aus anderen Gründen empfänglich sein, wie der Erfolg der Rekrutierung durch den IS bei einigen europäischen Männern und Frauen gezeigt hat. Man sollte beachten: Die US-Invasion im Irak hat Al-Qaida nicht geschaffen, diese Gruppe existierte vor 2003. Aber Ereignisse wie eine westliche Besetzung machen es Terrorgruppen leichter, ein Narrativ zu etablieren, mit dem dann Menschen rekrutiert werden.

Blumen erinnern an die Opfer am Place de la Bourse nach den Terrorangriffen vom 23. März 2016 in Brüssel, Belgien; Foto: Getty Images/C. Furlong
Keine einfachen Rezepte für Radikalisierung: Es gibt verschiedene Gründe, aus denen sich eine Person radikalisiert. Auch Menschen, die nie Folter und Unterdrückung erfahren haben, schließen sich Terrorgruppen an, etwa weil sie deren Ideologie teilen. Andersrum führt eine gefühlte oder reale Unterdrückung nicht per se dazu, dass Menschen Terroristen werden. Die US-Invasion im Irak hat Al-Qaida nicht geschaffen, diese Gruppe existierte vor 2003. Aber Ereignisse wie eine westliche Besetzung machen es Terrorgruppen leichter, ein Narrativ zu etablieren, mit dem dann Menschen rekrutiert werden.

Terrorbekämpfung funktioniert nur nach rechtsstaatlichen Prinzipien

Welches Narrativ ist das?

Hellyer: Die Erzählung, man befinde sich in einem "Krieg gegen den Terror", lässt sich leicht manipulieren von Akteuren, die damit ihre eigenen Handlungen rechtfertigen. So verbreiten Terrorgruppen die Legende, der Westen wolle alle Muslime und den Islam an sich bekämpfen und jeder richtige Muslim müsse sich ihnen anschließen, um den Islam zu verteidigen.

Rund zehn Jahre später kämpfte eine von den USA angeführte internationale Koalition an der Seite lokaler Partner erneut im Irak und in Nordsyrien, diesmal gegen den IS. Lässt sich Terrorismus überhaupt militärisch bekämpfen?

Hellyer: Es gibt islamistische Terrorgruppen in der Welt. Es gibt Al-Qaida, den IS und andere nichtstaatliche Gruppen, die Gewalt nutzen, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Sie existieren im Libanon, in Syrien, in der Türkei, in den USA, im Grunde überall. Die Bedrohung ist real. Aber die Maßnahmen, um diese Bedrohung einzudämmen, sollten nicht unter dem Label des "Kriegs gegen den Terror" geführt werden. Der Begriff ist irreführend und auch für die Politikgestaltung kontraproduktiv.

Inwiefern?

Hellyer: Die Terrorbekämpfung erfordert umfassende Maßnahmen. Es braucht "harte" Eingriffe seitens der Polizei und des Militärs, aber die müssen immer nach den geltenden rechtlichen Standards erfolgen, unabhängig davon, ob die Einsätze im In- oder Ausland stattfinden. Und die westlichen Gesellschaften haben die Verantwortung, mit den muslimischen Gemeinschaften zusammenzuarbeiten, damit alle gemeinsam diese Bedrohung bekämpfen und nicht die Mitglieder einer Minderheit wie "der Muslime" zu einem Problem gemacht werden. Der Begriff des "Kriegs gegen den Terror" ist aber noch aus einem anderen Grund problematisch.

Es gibt auch Herrscher, die mit Staatsterror gegen das eigene Volk vorgehen und das mit dem Label des "Krieges gegen den Terror" rechtfertigen. Diese Unterdrückung fließt dann wieder in die Rekrutierungsstrategien nichtstaatlicher terroristischer Akteure ein.

Menscshen suchen nach Überlebenden unter den Trümmern in Aleppo, Syrien; Foto: picture-alliance
Freifahrtschein für einen brutalen Diktator: Als den zentralen Entscheidungsträgern in Europa und den USA klar wurde, dass nicht mehr viele syrische Flüchtlinge ins Land kommen würden, der IS territorial zurückgedrängt war und Assad mit der Unterstützung anderer Staaten an der Macht bleiben würde, verloren sie den politischen Willen, sich weiter in Syrien zu engagieren.

Zum Beispiel?

Hellyer: Das Regime von Baschar al-Assad stellt für die Menschen in Syrien eine weitaus größere Gefahr dar als jede nichtstaatliche Terrorgruppe im Land. Assad nutzt das Paradigma des "war on terror" auf eine katastrophale und leider sehr wirksame Weise. Er verunglimpft jede Kritik an seiner Herrschaft als Terror und bestraft unschuldige Zivilisten auf grausame Weise. 



Assad: mehr Morde und Zerstörung als der IS

Assad lässt seine Kritiker seit Jahren foltern und töten. Warum galt nicht sein Regime dem Westen als hauptsächlicher Feind, sondern islamistische Terrorgruppen?

Hellyer: Das Konstrukt des "war on terror" hat bei westlichen Staatsführern dazu geführt, dass sie allein den Kampf gegen nichtstaatliche Terrorgruppen zur Priorität erklärten. Schlussendlich ging es den westlichen Führern vor allem um die Eindämmung der Flüchtlingsströme und die Bekämpfung des IS, obwohl der IS zwar barbarisch vorging, aber einen kleinen Anteil der Morde beging. Das Assad-Regime hingegen war und ist für deutlich mehr Morde und Zerstörung in Syrien verantwortlich. Dennoch hat der Westen keine wirksame Strategie entwickelt, um Assads Regime von seinem grausamen Vorgehen abzuhalten

Viele Kurdinnen und Kurden haben in Nordsyrien stellvertretend für den Westen gegen den IS gekämpft und ihre Häuser, ihre Angehörigen, ihre Gesundheit verloren. Hilfe vom Westen bekommen sie heute kaum: Weder gibt die internationale Gemeinschaft genug Geld für den Wiederaufbau von Städten wie Raqqa noch unterstützt sie die Kurden dabei, eine Lösung für die von ihnen inhaftierten IS-Kämpfer zu finden. Warum lässt der Westen seine Partner immer wieder im Stich?

Hellyer: Bei dem Einsatz in Syrien ging es den amerikanischen und europäischen Staatsführern um zwei Dinge: Sie wollten dafür sorgen, dass nicht noch mehr Flüchtlinge aus Syrien in ihre Länder kommen und sie wollten nichtstaatliche Terrorgruppen eindämmen. Als den zentralen Entscheidungsträgern klar wurde, dass nicht mehr viele syrische Flüchtlinge ins Land kommen würden, der IS territorial zurückgedrängt war und Assad mit der Unterstützung anderer Staaten an der Macht bleiben würde, verloren sie den politischen Willen, sich weiter in Syrien zu engagieren.

Unterstützer des East Turkistan National Awakening Movement versammeln sich vor der britischen Botschaft vor einer Wahl am 22. April im britischen Unterhaus über die Frage, ob in der chinesischen Provinz Xinjiang ein Genozid an den Uiguren vorliegt, 16. April 2021, Washington D.C., Foto: Drew Angerer/Getty Images
Rechtfertigung der Repression: Viele Regime nutzen das Narrativ des "war on terror", um ihre Macht zu stärken und Kritiker zum Schweigen zu bringen, nicht nur in der arabischen Welt. Die chinesische Staatsführung etwa geht mit aller Härte gegen die Uiguren vor, weil sie angeblich Terroristen sind. Dieses drastische Vorgehen gegen Dissidenten gibt es nicht erst seit den Anschlägen vom 11. September. Aber seitdem die USA, die mächtigste Nation der Welt, diese Begriffe benutzen, fühlen sich Autokraten bestärkt.

Was hat das für Konsequenzen für die Menschen, die nach so einem Einsatz zurückbleiben?

Hellyer: Die Folgen für die Menschen sind sehr schlimm. Die Kurden im Nordosten Syriens sind sehr verärgert. Sie wissen nun: Auf den Westen kann man sich nicht verlassen. Der Westen hat ein Versprechen gegeben und viele Menschen haben sich darauf verlassen. Allein aus moralischer Sicht ist so ein außenpolitisches Vorgehen völlig falsch. Und es signalisiert Verbündeten, dass auch künftige Versprechen wenig glaubwürdig sind.

Im Namen des "war on terror" haben westliche Staaten auch Kriegsverbrechen begangen. Die USA setzten etwa das sogenannte Waterboarding als Verhörtaktik ein, eine Foltermethode, bei der das Ertränken simuliert wird. Im Foltergefängnis Guantanamo Bay wurden ohne Rechtsgrundlage Menschen festgehalten und misshandelt, denen keine Verbindung zu islamistischen Gruppen nachgewiesen werden konnte. Auch trafen britische und amerikanische Drohnen im Irak und in Afghanistan immer wieder Unschuldige. Wurden diese Verbrechen genug aufgearbeitet?

Hellyer: Es gab einige Verfahren, aber es ist oft kaum möglich, an Beweismittel aus den jeweiligen Ländern zu kommen und die Verbrechen nachzuweisen. Es ist schwierig, Gerichtsverfahren in Gang zu setzen, wenn hochrangige Staatsführer in kriminelle Handlungen verwickelt sind. George W. Bush hat sich für seine Taten nicht verantworten müssen, auch der damalige britische Premier Tony Blair nicht, der Bushs Kriege im Irak und Afghanistan unterstützt hat.

Der Westen ist nicht an allem schuld

Haben diese Eingriffe westlicher Staaten die arabische Welt weiter destabilisiert?

Hellyer: Das interessengeleitete, oft unethische Vorgehen westlicher Staaten hat die Region sicher negativ geprägt. Allerdings gibt es andere Faktoren, die den Nahen Osten heute vor deutlich größere Probleme stellen, allen voran der Mangel an guter Regierungsführung. In vielen Ländern ist die Führungselite unwillig, ihre Bürgerinnen und Bürger am politischen Prozess teilhaben zu lassen und deren Grundrechte und Grundfreiheiten zu wahren. Dass es keine wirklich pluralistischen, demokratischen Regierungen in den arabischen Ländern gibt, wird auf lange Sicht schlimme Folgen für die Menschen haben. Auch stellt der Klimawandel die Länder vor große Herausforderungen, in Irak und Syrien gibt es immer größere Dürren und eine zunehmende Wasserknappheit. Es gibt in der Region kaum leistungsstarke Wirtschaftssysteme, die die Menschen versorgen und den vielen jungen Leuten eine Perspektive bieten können. Und die Regime selbst destabilisieren die Region enorm.

Inwiefern?

Hellyer: Viele Regime nutzen das Narrativ des "war on terror", um ihre Macht zu stärken und Kritiker zum Schweigen zu bringen, nicht nur in der arabischen Welt. Die chinesische Staatsführung etwa geht mit aller Härte gegen die Uiguren vor, weil sie angeblich Terroristen sind. Dieses drastische Vorgehen gegen Dissidenten gibt es nicht erst seit den Anschlägen vom 11. September. Aber seitdem die USA, die mächtigste Nation der Welt, diese Begriffe benutzen, fühlen sich Autokraten bestärkt. Nach dem Motto: Seht her, selbst der Westen spricht vom "Krieg gegen den Terror" und wir können diese Erzählung nutzen, um alle Formen von Widerstand zu bekämpfen.

Was kann die internationale Gemeinschaft tun, um die arabische Welt zu stabilisieren?

Hellyer: Wenn der Westen auch in autokratisch geführten Ländern wieder stärker auf die Wahrung der Menschenrechte pochen will, wie Joe Biden es ja verkündet hat, ist das positiv. Aber die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass solche Versprechen nicht bedeuten, dass daraus auch Konsequenzen folgen. Bedenken hinsichtlich der Menschenrechte werden zugunsten von Realpolitik zurückgestellt. Aus diesem Grund haben so viele autokratische Regime in der Region guten Kontakt zu westlichen Staaten. Der Westen hat im Nahen Osten zwar noch Einfluss, ist aber lange nicht so wichtig, wie viele glauben. Vieles, was in der Region passiert, entzieht sich der Kontrolle eines einzelnen westlichen Staatschefs und erfordert eher einen multilateralen Einsatz.

Wo sehen Sie das zum Beispiel?

Hellyer: In Tunesien hat die EU vieles unternommen, um den demokratischen Wandel zu unterstützen. Die Demokratie ist jetzt in einem prekären Zustand, seit Präsident Kais Said im Juli den Regierungschef entlassen und die Arbeit des Parlaments ausgesetzt hat. Das ist nicht der Fehler des Westens, das ist eine innere tunesische Angelegenheit. Westliche Staatschefs hätte aufmerksamer sein können, was einige Entwicklungen angeht. Aber die inneren Dynamiken sind hier wichtiger.

Es ist also nicht immer der Westen schuld?

Hellyer: Die Fehler, die westliche Staatsführer im Verlauf des "war on terror" in der Region gemacht haben, sollten benannt werden, auch ihre Verbrechen gehören strafrechtlich verfolgt. Aber genauso müssen wir die Auswirkungen von nationalen und innenpolitischen Kräften anerkennen. Viele Beobachter sagen: Alles, was in den vergangenen 20 Jahren schiefgelaufen ist im Nahen Osten, ist den westlichen Staaten und ihren illegalen Machenschaften nach dem 11. September anzulasten. Das ist falsch. Das überschätzt die Macht des Westens und unterschätzt, was die innenpolitischen Kräfte in der Region dazu beigetragen haben. Es ist nicht so, dass westliche Staaten mit ihren Versäumnissen davonkommen sollten, ganz im Gegenteil. Aber alle Akteure, in der Region und außerhalb, müssen für ihre Handlungen zur Verantwortung gezogen werden.

Andrea Backhaus

© ZEIT ONLINE 2021

Der Politikwissenschaftler und Nahost-Experte Hisham A. Hellyer lehrt an der Cambridge University, außerdem ist er Senior Associate Fellow am Royal United Services Institute in London and Fellow bei der Carnegie-Stiftung in Washington D.C. . Hellyer arbeitet vor allem über Fragen der Sicherheitspolitik und zu Religionen im Westen und in der arabischen Welt.