Kein Blatt vor den Mund nehmen

Politische Rapper riskieren in Ägypten, vom Regime unterdrückt zu werden. Einige Musiker wurden bereits eingeschüchtert, während andere mit ihren Songs weiterhin die Grenzen der Zensur austesten. Aus Alexandria informiert Mat Nashed.

Von Mat Nashed

"Ägyptische Rap-Schule für Biggienas", für BIG-Fans, steht fett auf der Wand des winzigen Tonstudios in Alexandria. Darüber hängen drei Porträts: die beiden US-amerikanischen Rapper Notorious BIG und Tupac Shakur sowie Reggae-Star Bob Marley. Millionen Fans in der ganzen Welt sind damit aufgewachsen, diesen Ikonen zuzuhören - auch der arabische Rapper, der sich mit seinem Künstlernamen Temraz vorstellt.

Der 29-Jährige hat vor elf Jahren Revolution Records mit aus der Taufe gehoben, ein unabhängiges Musiklabel in Alexandria. "Wir haben uns für den Namen Revolution Records entschieden, weil wir fanden, dass Rap für ägyptische Ohren noch eine sehr irritierende Musikrichtung war", erzählt Temraz. "Wir haben es auch Revolution genannt, weil es bei Rap um Rebellion geht. Für uns heißt Rap, gegen alles zu revoltieren."

Revolution Records hat 14 Künstler und ist eine von vielen Hip-Hop-Bewegungen in Ägypten. Die Hauptstadt Kairo hat eine sehr lebendige Rap-Szene, aber die Hafenstadt Alexandria gilt als Pionierin des ägyptischen Hip-Hop.

Rote Linie überschreiten

Bis zum Arabischen Frühling 2011 haben Rapper aus Alexandria Songs produziert, in denen sie sich über die konservativen gesellschaftlichen Normen und über die politischen Eliten lustig gemacht haben. Weil die ägyptische Öffentlichkeit ihnen nur wenig Aufmerksamkeit schenkte, konnten einige Künstler die Grenzen der Zensur sehr weit austesten. Ihre Musik fand zwar zunehmend Verbreitung, aber sie wurde nicht so populär, dass der Staat sich veranlasst sah durchzugreifen. Im heutigen Ägypten jedoch, in dem tausende junge Menschen in Haft sind, weil sie das Regime kritisiert haben, ist politischer Rap riskanter geworden als je zuvor.

Shakur ist der Künstlername eines 31-jährigen Musikers der GruppeDaCliQue 203. Die meisten Rapper zögern, den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi zu verhöhnen, sagt er. Seine Band gehört zu den wenigen Ausnahmen. Im Februar 2014 veröffentlichte DaCliQue 203 "Ana Malak" - "Ich bin der König" auf Englisch. Das Stück ist der Remix eines Songs, den Shakur ursprünglich 2005 aufgenommen hat. Die neue Version verspottete Al-Sisi, der zu diesem Zeitpunkt seine Macht festigte.

Lockruf des Geldes

"Der Text geht so", sagt Shakur, während er beginnt, Al-Sisi zu imitieren: "Ich bin nicht rechts und ich bin nicht links. Ich bin kein Islamist und kein Anarchist. Ich folge nur dem Geld, also zeig mir das Geld." Der Song ist gewagt. Shakur hat danach drei Jahre lang keinen Rap-Song mehr aufgenommen. Er konnte sich nicht dazu überwinden, erzählt er, vor allem nachdem sein jüngerer Bruder plötzlich starb, kurz bevor "Ana Malak" veröffentlicht wurde. Sein Bruder war Anhänger der verbotenen Muslimbrüder.

"Wir haben uns immer über meine Vorliebe für Hip-Hop gestritten", erinnert sich Shakur. "Mein Bruder dachte, ich verschwende meine Zeit. Er sage, ich solle lieber Artikel über Politik schreiben. Gleichzeitig war er aber auch neugierig. Er wollte immer wissen, was ich für Liedtexte schreibe."

Während Shakur eine künstlerische Pause einlegte, wurden andere Rapper zunehmend politischer. Im April 2016 veröffentlichte Revolution Records auf YouTube den Song "Masahsh Keda" - "Das ist nicht richtig". Die Gruppe verwendete einen Satz von Präsident Al-Sisi, der ihn oft herablassend benutzt, wenn er sich an das ägyptische Volk wendet. Die Band drehte zu dem Song ein Musikvideo und fügte englischeUntertitel ein. "Darin haben wir eine Aufnahme von Al-Sisis Stimme eingebunden", berichtet Temraz. "Das Video lief ganz gut. Wir haben über 200.000 Likes bekommen."

Trotz des Erfolgs fürchtete Temraz, der Song könnte ihnen noch großen Ärger bringen. Nach der Veröffentlichung flogen er und andere Mitglieder von Revolution Records nach Dänemark, um ein Konzert zu geben. Als Temraz wieder in Kairo landete, hatte er große Angst, am Flughafen verhaftet zu werden. Glücklicherweise passierte nichts.

Doch einige Wochen später erfuhr die Band, dass sie mit "Masahsh Keda" eine rote Linie überschritten hatte. Ein Freund, der im Präsidentenpalast arbeitet, warnte sie, dass die Regierung einen zweiten solchen Titel nicht tolerieren würde. "Wir mussten aufhören", sagt Temraz. "Ich habe den Versuch aufgegeben, in diesem Land etwas zu verändern."

Im Abseits

Nicht alle haben die Hoffnung verloren. Einige Rapper versuchen, sensible Themen anzuschneiden, ohne den Staat direkt verantwortlich zu machen. Y-Crew, eine der ersten ägyptischen Hip-Hop-Gruppen, hat vor neun Monaten den Titel "Verblendet" herausgebracht, der von Missbrauch und Gewalt handelt, die ägyptische Straßenkinder erleben. "Ägyptische Mainstream-Musik singt nur von Liebe, nie von wirklichen Problemen", kritisiert Omar Bofolot, eines der Gründungsmitglieder von Y-Crew. "Wir wollen über etwas Echtes reden. Aber wir wollen den Leuten nicht predigen, was sie zu tun haben."

Die Gruppe ist vor einiger Zeit nach Dubai gezogen, um an ihrem neuesten Album zu arbeiten. Langsam verlieren die Rapper die Hoffnung, dass ihre Musik in Ägypten etwas Positives bewirken könne. "Wir haben von Anfang an über soziale und politische Themen gerappt", sagt Shahin, die Nummer zwei bei Y-Crew. "Aber in Ägypten ändert sich nichts und wir haben die Nase inzwischen voll. Unser nächstes Album wird nur Frieden, Liebe und Einheit anpreisen."

Shakur wird jedoch nicht aufhören, über Themen zu rappen, die ihm wichtig sind. Im letzten Januar hat er den ersten Titel nach seiner Rückkehr veröffentlicht. Und derzeit schreibt er Songs über Migranten in Ägypten und Europa. Tausende Flüchtlinge sind gestorben, als sie versucht haben, von Alexandria aus übers Mittelmeer nach Europa zu kommen. Shakur kennt ihre Geschichten aus erster Hand, er setzt sich seit Jahren für sie ein und hat auch mit geflüchteten Rappern in Ägypten zusammengearbeitet.

Die politische Unterdrückung hält ihn dabei nicht von seinem Vorhaben ab. Selbst wenn ägyptischer Rap kommerzieller werde, schwört er, werde er sich niemals selbst zensieren. "Ich muss ehrlich bleiben", sagt er. "Der Preis mag höher sein. Aber Ägypter zahlen gegenwärtig ohnehin einen ziemlich hohen Preis."

Mat Nashed

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