Ost-West-Synthese statt Exotik

Für westliche Hörer war der Klang der Sitar lange Zeit fast schon klischeehaft ein musikalisches Symbol für Indien. Der in Köln lebende Sitarspieler Hindol Deb sucht auf seiner neuen CD nach Wegen, um die Hindustani-Langhalslaute mit Jazz zu verknüpfen. Eine Rezension von Stefan Franzen für Qantara.de

Von Stefan Franzen

Aus einer Wolke aus Orange taucht der Kopf von Sitarspieler Hindol Deb auf, gespiegelt an einer unsichtbaren Achse – so sieht das fantasievolle Cover seiner neuen CD "Essence of Duality“ aus. Das Konzept der Dualität ist im musikalischen wie übertragenen Sinne der Kern des Albums.



"Es hat mit der Dualität zweier Musikstile angefangen“, erklärt Hindol Deb. "Zum einen ist da mein klassischer indischer Background, den ich nach Deutschland mitgebracht habe, zum anderen die auf Harmonien aufgebaute Musik. Jazz ist mir dafür ein zu schwammiger Begriff. Diese beiden Welten wollte ich zusammenbringen, seitdem ich in der zehnten Klasse die Late Night Shows im Radio gehört habe. Doch als ich nach Deutschland kam, merkte ich: Das ist gar nicht so einfach. Etwas musste sich auch in mir verändern, in meinem Kopf, damit ich mich in westliche Lebensvorstellungen hineindenken konnte, von denen die Musik ja nur ein Teil ist.“

Hindol Deb stammt aus einer westbengalischen Familie und wuchs in Delhi auf. Vom eigenen Vater wurde er in der nordindischen Hindustani-Musik auf der Sitar unterwiesen. Spätestens seit Ravi Shankar den Beatle George Harrison in diesem Instrument unterrichtete, ist die Sitar ein Symbol für Exotik geworden und wurde unzählige Male als schmückendes Beiwerk in Jazz und Pop benutzt. Das war Hindol Deb zu wenig, als er 2012 begann, sich mit deutschen Musikern zusammenzuschließen und wenige Jahre später nach Köln übersiedelte.

Cover von Hindol Debs "Essence of Duality" (herausgegeben von CTO music/digital sales: Feiyr.com/CD: ctomusic-shop.de)
Spätestens seit Ravi Shankar den Beatle George Harrison in der Sitar unterrichtete, ist sie ein Symbol für Exotik geworden und wurde unzählige Male als schmückendes Beiwerk in Jazz und Pop benutzt. "Es stimmt, dass die meisten Menschen, die sich auf die Sitar beziehen, einen bestimmten Sound im Kopf haben“, sagt Hindol Deb. "Der Fokus lag immer auf dem Klang und nicht darauf, was wirklich gespielt wurde. Es sollte den westlichen Hörern nur ein Image von Indien vermittelt werden. Aber jetzt sind viele Jahre ins Land gegangen, es gab viel Austausch durch Migration, und es ist an der Zeit, neue Crossover-Wege zu beschreiten.“

Das Klischee von der Sitar

"Es stimmt, dass die meisten Menschen, die sich auf die Sitar beziehen, einen bestimmten Sound im Kopf haben“, bestätigt er. "Der Fokus lag immer auf dem Klang und nicht darauf, was wirklich gespielt wurde.



Es sollte den westlichen Hörern nur ein Image von Indien vermittelt werden. Aber jetzt sind viele Jahre ins Land gegangen, es gab viel Austausch durch Migration, und es ist an der Zeit, neue Crossover-Wege zu beschreiten.“

Seine Ideen hat er in dem Album "Essence Of Duality“ mit einem Jazzquartett umgesetzt, in dem er allen Musikern gleichberechtigten Raum zur Entfaltung gibt.



Sein Ensemble besteht aus dem Indien-erfahrenen Kontrabassisten Christian Ramond, dem Schlagzeuger Jens Düppe und seinem langjährigen Wegbegleiter Clemens Orth am Piano, mit dem er nicht nur viele Stücke arrangiert hat, sondern auch künstlerische und philosophische Überzeugungen teilt.

Vokale Würze erfahren einige Titel durch die Ukrainerin Tamara Lukasheva. Wie sehen die von Hindol Deb beschriebenen neuen Crossover-Wege nun konkret aus? Das Hindustani-Musiksystem setzt sich aus einer großen Zahl von - wir würden sagen – "Tonleitern“ zusammen, den Ragas, die zu bestimmten Tages- oder Jahreszeiten gespielt werden und ganz spezielle Stimmungen in den Hörenden hervorrufen. Hindol Deb verwendet zwar Ragas, sprengt in der Begegnung mit der westlichen Musik aber ihr strenges System.



"Ich verwende Ragas oft außerhalb einer Zuordnung zu bestimmten Tages- oder Jahreszeiten, setze auch mal zwei oder drei Ragas in einer Komposition zueinander in Beziehung. Ich kombiniere sie mit den aus dem europäischen Musiksystem bekannten Kadenzen. Während ich komponiere, verändere ich die Noten der Raga-Skala auch etwas, die Harmonien dahinter ebenso. Dadurch kann ich ganz andere Klangfarben erreichen. Selbst indische Hörer sind je nach Stück nicht mehr in der Lage, die Ragas so ohne weiteres zu erkennen.“



Der Sound der Sitar vom schwarzen Loch verschluckt

Ein Beispiel für so eine Komposition ist "Unknown Voyage“, die auf dem Raga Purvi beruht, den Hindol Deb aber ziemlich durch die Mangel gedreht hat. Die Komposition "Desert Clouds“ dagegen stellt weitestgehend unverändert den Regenzeit-Raga "Miyan ki Malhar“ dar und ist weniger komplex als melodiebetont.



Problemlos verliefen die Sessions für Hindol Debs Album "Essence Of Duality“ nicht. Besonders mit der komplexen Polyrhythmik Indiens, den Talas, hatten die deutschen Musiker so ihre Schwierigkeiten. Hindol Deb berichtet schmunzelnd, wie sie während der Proben immer noch sehr lange "an ihren Beat geglaubt“ hätten.

Auf die Spitze getrieben wird die rhythmische Verwirrung etwa im passend betitelten Stück "Fragmented Within“, in dem die Zählzeiten von Takt zu Takt wechseln und sich verschiedene Metren überlagern. Eines der schönsten Stücke auf dem Album "Essence Of Duality“ ist sicherlich "Journey To Kedarnath“, das eine Reise in den Himalaya nachzeichnet. Hindol Deb hat hier nicht nur den Raga Kedar als Ausgangspunkt genommen, sondern auch eine ganz unerwartete Quelle angezapft, nämlich eine Basslinie des Esbjörn Svensson Trios.



Fünfeinhalb Jahre lebt Hindol Deb nun in Deutschland, hat in fast jedes musikalische Genre hineingeschnuppert. Da stellt sich eigentlich zwangsläufig die Frage, ob er irgendwo einmal einen unüberwindbaren Culture Clash erfahren hat? Er zitiert ein Beispiel aus der Neuen Musik: "Während meines Studiums an der Hochschule für Musik in Köln nahm ich an einem Projekt mit mehr als einem Dutzend Musikern teil, es ging um Musik für das Theater, die in Diagrammen notiert war. Alle spielten gleichzeitig, es gab keine Noten, nur Sound. Ich dachte mir: Oh mein Gott, was mache ich hier? Es gab keine Chance, dass man meine Sitar hören konnte. Es war wie ein schwarzes Loch, das den ganzen Sound meines Instruments aufsaugte!“ Diese Gefahr besteht auf "Essence of Duality“ nicht: Hindol Debs Debüt ist ein ausgewogenes Werk, das alle Instrumentalisten zu Gehör kommen lässt. Gerade dadurch gelingt es, die vielen Gesichter eines neuen Ost-West-Dialogs vorzustellen.



Stefan Franzen

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