Hybride Existenzen

"Limbo Beirut" ist Hilal Choumans dritter Roman, doch der erste, der in der schönen Übersetzung von Anna Ziajka den Sprung auf den englischsprachigen Markt geschafft hat. Das illustrierte Werk ist das fünfteilige Porträt mehrerer miteinander verflochtener Lebensgeschichten, die sprachlich sehr unterschiedlich gestaltet sind. Von Marcia Lynx Qualey

Von Marcia Lynx Qualey

"Limbo Beirut" spielt größtenteils in der libanesischen Hauptstadt, und zwar im Mai 2008, als die Hisbollah und sunnitische Kämpfer sich Straßenkämpfe lieferten – ein beängstigender Nachhall des fünfzehn Jahre währenden Bürgerkriegs.

Doch dieser Roman handelt nicht vom Krieg. Wie Stanton in einem Drei-Städte-Gespräch über Skype sagte: In "Limbo Beirut" wird der Leser aufgefordert, "sich in dem unbequemen Zwischenreich zwischen Voyeurismus und Anteilnahme zu bewegen, und dies tut der Roman, indem er unser Bedürfnis befriedigt, die Gedanken des Fremden zu lesen, dem wir auf der Straße begegnen ... und uns gleichzeitig mit der Einsicht überrascht, dass man nie ein unbeteiligter Zeuge sein kann, sondern immer, ob man will oder nicht, in das Leben der anderen hineingezogen wird."

Homosexualität im Fokus

Im Laufe der Handlung prallen die fünf Geschichten aufeinander, sie beeinflussen sich gegenseitig – mal mehr, mal weniger, und wie das geschieht, erschließt sich zum Teil erst auf den letzten Seiten.

Der erste Teil, illustriert von Fadi Adeh, konzentriert sich auf Walid und seinen Liebhaber Alfred. Die Straßenkämpfe sind hier für die Handlung nicht ausschlaggebend, wir erleben zunächst, welche Zugeständnisse Walid und Alfred an die Gesamtgesellschaft machen. "Limbo Beirut" reiht sich damit in die wachsende Zahl arabischer Romane ein, in denen homosexuelle Männer als ganz normale, sympathische Menschen dargestellt werden, wie beispielsweise auch in Muhammad Abdelnabys "In the Spider Room" oder, mehr im Hintergrund, in Iman Humaydans "Andere Leben".

Im Gespräch mit Qantara.de betont Chouman, dass er nicht schreibt, um Probleme zu thematisieren oder Tabus zu brechen. Er hat etwas dagegen, wenn schwule Charaktere "in einer Blase, als Bewohner einer Welt, die nicht mit anderen Welten verbunden ist" dargestellt werden. Stattdessen möchte er "diese Figuren in die vertraute Szenerie des Alltags integrieren". Gegenwärtig arbeitet Chouman, der momentan in Dubai lebt, an einem Roman, in dessen Zentrum schwule Charaktere stehen: „Ich versuche einfach nur, diese Figuren zu verstehen, zu zeigen, wie Homosexualität in der libanesischen Gesellschaft behandelt wird und wie die libanesische Gesellschaft Homosexuelle manchmal ausgrenzt. Für mich ist es interessanter, diese Figuren in die Textur der Geschichte einzuweben als sie als isolierte Einzelkämpfer darzustellen."

Cover of Hilal Chouman's "Limbo Beirut" (published by the Center for Middle Eastern Studies, University of Texas)
Zwischen Voyeurismus und Anteilnahme: Hilal Choumans Roman „Limbo Beirut“ ursprünglich als Short-Story-Sammlung geplant. Er wollte für jede der Geschichte einen anderen Sprachstil, eine andere Stadt und einen anderen Illustrator finden.

Eindringliche monochrome Illustrationen

Doch die Geschichte beginnt nicht mir Choumans Erzählprosa. Noch vor dem ersten Satz sieht der Leser in eindrucksvollem Schwarzweiß das Bild eines Mannes mit einem Kamelkopf. Immer wieder erscheinen im ersten Kapitel Bilder von verletzlichen oder verängstigten Menschen, Tiergesichter, Landschaften mit Raketen und "Talking Heads", die an einem armlosen Frauenkörper vorbei zu streiten scheinen. Keines der Bilder ist direkt auf die Handlung bezogen, sie sind eine Art visueller Track, der mit der Erzählung mitläuft.

"Denken Sie an Nagib Machfus' Bücher mit Umschlägen von Gamal Qotb, auf denen man eine Illustration und ein Zitat sieht – das war mein Ausgangspunkt", erklärt Chouman. "Doch ich wollte das weiterentwickeln." Chouman gab jedem der Illustratoren eine frühe Version des Romans, und es stand den Künstlern frei, ihr Kapitel zu interpretieren, wie es ihnen passend erschien.

Die fünf Geschichten sind auf vielfältige Weise miteinander verknüpft. Walid und Alfred zum Beispiel tauchen für eine Weile nicht mehr auf. Tatsächlich hatte Chouman "Limbo Beirut" ursprünglich als Short-Story-Sammlung geplant. Er wollte für jede der Geschichte einen anderen Sprachstil, eine andere Stadt und einen anderen Illustrator finden. Seit seiner Teilnahme an einer der renommierten Schreibwerkstätten von Najwa Barakat darf ein Element bei ihm nie fehlen: "Ich versuche bei meinem Schreiben immer, auf irgend eine Weise mit anderen zusammenzuarbeiten."

Chouman erhielt schon früh ein Stipendium der "Arab Foundation for Arts and Culture", mit dem er die Illustratoren bezahlen konnte. Doch dann stellte sich das Problem, einen Verlag zu finden. "Und sie sagten: 'Nein, Short-Story-Bände veröffentlichen wir nicht.'"

Doch Chouman ließ sich nicht entmutigen, sondern beschloss, sein Projekt in einem Roman umzuwandeln. Dieser sollte zunächst bei Dar al-Adab erscheinen, doch der Verlag war besorgt wegen der Illustrationen, in denen Nacktheit gezeigt wird. Schließlich erschien das Buch bei Dar al-Tanweer und zwar, wie Chouman sagte, ohne jeden Eingriff der Zensur. Seitdem erreichte der Roman gute Verkaufszahlen – was Chouman überraschte, denn seiner Erfahrung nach haben es Midlist-Bücher der arabischen Erzählliteratur oft schwer, ihr Lesepublikum zu finden.

Doppelter Anreiz

"Ein Detail wirkte sich zu unseren Gunsten aus: wir sprachen zwei Zielgruppen an", sagte Chouman. Die erste besteht aus Lesern arabischer Literatur, die zweite aus Personen, die sich für Illustrationen interessieren. "In Beirut gibt es eine Szene für Grafikdesigner und Illustratoren. Mein Buch war für sie ein Prototyp."

Einige wenige Kritiker bemängelten laut Chouman, "Limbo Beirut" sei "kein Roman". Der Grund dafür sei, so Chouman, dass zwar in anderen Sprachen bereits Hybridformen des Romans existieren, doch in arabischer Sprache sei dies etwas Neues.

Das letzte Kapitel des Buches ist das intimste und das einzige, in dem ein Ich-Erzähler spricht. Der (in Gedanken verfasste) Brief an eine unbekannte Frau führt uns in ein Krankenhaus, in dem die verschiedenen Erzählstränge zusammengeführt werden. Sowohl Stanton wie auch Chouman nannten das letzte ihr Lieblingskapitel.

"Ich mag Schlussszenen", sagte Chouman. "Es ist, als würde man einen Punkt erreichen, an dem alles einen Sinn ergibt und besondere Spannung entsteht."

Das letzte Kapitel, das von Mohamed Gaber illustriert wurde, endet passenderweise mit einem riesigen, von Arabesken verzierten Pause-Knopf. Entsprechend macht die Handlung des letzten Kapitels eine Pause, bevor sie zum ersten Kapitel zurückkehrt – und dem Wunsch, mit der Lektüre noch einmal von vorne anzufangen.

Marcia Lynx Qualey

© Qantara.de 2016

Übersetzt aus dem Englischen von Maja Ueberle-Pfaff