Sultan ohne Sohn

Unverheiratet und kinderlos: Qaboos bin Said Al-Said ist eine Ausnahme in der arabischen Welt. Seit 45 Jahren steht er an der Spitze seines Staates. Doch wer dem Monarchen einmal nachfolgen wird, ist unbekannt. Nur soviel ist klar: Der Auserwählte wird es nicht leicht haben. Von Anne Allmeling

Von Anne Allmeling

Ohne die Nationalfahne läuft in diesen Tagen so gut wie gar nichts im Sultanat Oman. Auf Plakaten, auf T-Shirts, auf Kuchen - überall prangt die Flagge in rot-weiß-grün. Junge Männer liefern sich einen Wettbewerb, wer sein Auto am schönsten schmückt; die Hauptstadt Maskat erstrahlt in Zehntausenden Lichtern: Oman feiert das 45. Thronjubiläum von Sultan Qaboos bin Said Al-Said.

Auch nach mehr als vier Jahrzehnten an der Macht genießt der Monarch viel Respekt bei seinen Untertanen. "Der Sultan ist ein großartiger Mensch", sagt Mansoor al-Shabibi. Der Bibliothekar mit dem lockigen Bart strahlt über das ganze Gesicht, wenn er den absoluten Herrscher beschreibt – den Mann, der das Sultanat vom Mittelalter in die Moderne geführt hat. "Er liebt dieses Land", sagt Mansoor. "Er liebt die Leute. Er ist einzigartig."

Als Mansoor geboren wurde, gehörte Oman noch zu den rückständigsten Ländern der arabischen Welt. In den 1960er Jahren gab es im ganzen Sultanat nur eine Handvoll Schulen; Strom und fließend Wasser waren eine Seltenheit. Allein in der Hauptstadt Maskat waren ein paar Kilometer Straße asphaltiert. "Wir haben nur sehr selten ein Auto gesehen", erinnert sich Mansoor. "Es war sehr ruhig, vor allem in der Nacht."

Mansoors Vater bewirtschaftete eine Farm, die zehn Kinder halfen beim Anbau von Datteln und Mangos. Eine Schule gab es nicht, aber ein Lehrer aus der Nachbarschaft brachte Mansoor und seinen Geschwistern den Koran bei. "Er lehrte uns auch das Alphabet", erzählt Mansoor. "Wir haben die Buchstaben auf Kamelknochen geschrieben. Im Wald haben wir schwarze Kohle gesammelt, das war unser Stift."

Sturz des Vaters

Der beschwerliche Alltag brachte viele Omaner dazu, ihr Land zu verlassen und sich in den reicheren Nachbarstaaten eine Arbeit zu suchen. Zwar wurde in den 1960er Jahren auch in Oman mit der Erdölförderung begonnen. Doch davon spürte die Bevölkerung zunächst wenig. Sultan Said bin Taimur, der seit 1938 das Land regierte, fürchtete den Fortschritt. Sogar Sonnenbrillen und Radios soll er verboten haben. Sein Sohn Qaboos verabscheute diese Rückwärtsgewandtheit. 1970 stürzte der 29-Jährige mit Hilfe der Briten den Vater vom Thron.

Fanartikel zum 45. Thronjubiläum von Sultan Qabus auf dem Souk in Mattrah; Foto: DW/Anne Allmeling
45 Jahre Sultan Qaboos: Das Konterfei des Monarchen schmückt Fahnen, T-Shirts und Anhänger auf dem Souk von Mattrah.

Von Beginn seiner Herrschaft an setzte Sultan Qaboos auf Fortschritt. Mit den Einnahmen aus der Erdölförderung entwickelte er das Land, behielt aber auch die Tradition im Blick. Anders als in den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es in Oman keine Hochhäuser, und weite Teile der 1.700 Kilometer langen Küste sind frei zugänglich.

Dafür wurden neue Straßen, Schulen und Krankenhäuser gebaut, und schon bald gab es eine Wasser- und Stromversorgung, die bis in den letzten Winkel reicht. Laut Entwicklungsbericht der Vereinten Nationen gehört Oman zu den Staaten, die in den vergangenen vier Jahrzehnten die meisten Fortschritte gemacht haben.

Fortschritte, die Murtadha Hassan Ali zu schätzen weiß. Der 67-Jährige kann sich noch gut an das entbehrungsreiche Leben erinnern, das er als Kind führte. Trotzdem hält es der Unternehmer aus Maskat für falsch, mit Blick auf die Herrschaft von Sultan Qaboos nur von Errungenschaften zu sprechen. "Die wirklichen Herausforderungen kommen erst heute auf uns zu", sagt Murtadha. "Unsere Wirtschaft basiert immer noch auf Öl, aber die Reserven reichen nicht ewig."

Begrenzte Ressourcen

Verglichen mit den benachbarten Emiraten Abu Dhabi und Qatar hat Oman nur bescheidene Ölvorkommen. Trotzdem machen die Einnahmen aus der Erdölförderung noch immer fast 80 Prozent der Staatseinnahmen aus. Jahrzehnte lang konnte die Regierung viele Bürger mit Stellen in Ministerien oder in staatlichen Einrichtungen versorgen. Doch mittlerweile, meint Murtadha, funktioniere das nicht mehr: "Die öffentliche Verwaltung ist so sehr gewachsen, dass sie keine weiteren Leute mehr aufnehmen kann."

Jedes Jahr strömen Zehntausende junge Omaner auf den Arbeitsmarkt, viele von ihnen mit einem Universitätsabschluss. Aber längst nicht alle Absolventen finden eine Stelle. Die Arbeitslosigkeit ist hoch – vor allem unter Jugendlichen. "Weil unser Bildungssystem Schwächen hat, eignen sie sich nicht für den Arbeitsmarkt", sagt Murtadha. "Es gibt durchaus freie Stellen, aber die werden mit Ausländern besetzt."

Palast Sultan Qaboos bin Said Al-Saids in Maskat; Foto: Anne Allmeling
Thronnachfolge ungeklärt: Der 74-jährige Sultan Qaboos bin Said Al-Said sitzt seit dem 23. Juli 1970 auf dem Thron, nachdem er seinen Vater abgesetzt hatte, dem er vorwarf, nichts gegen die Rückständigkeit seines Lands zu unternehmen. Gleich nach seinem Amtsantritt begann Qaboos, das kleine Sultanat, das gemeinsam mit dem Iran die strategisch wichtige Straße von Hormus kontrolliert, zu modernisieren. Seine Gesundheit lässt inzwischen deutlich nach, einen designierten Erben hat er aber nicht.

Vor allem im IT-Bereich und im Finanzwesen, aber auch in anderen Bereichen der omanischen Wirtschaft arbeiten überproportional viele Nicht-Omaner. Die meisten stammen aus Indien, Bangladesch und Pakistan. Sie machen weit mehr als ein Drittel der Gesamtbevölkerung von knapp vier Millionen Menschen aus.

Als im Zuge des Arabischen Frühlings 2001 die Menschen in Tunesien, Ägypten und Syrien gegen ihre Regierung demonstrierten, gingen auch zahlreiche Omaner auf die Straße. Sie forderten bessere Lebensbedingungen und protestierten gegen die weit verbreitete Korruption im Land.

Schnelle Reaktion

Anders als andere arabische Herrscher reagierte der Sultan sofort. Er versprach allen, die eine Arbeit suchen, einen Betrag von umgerechnet knapp 300 Euro im Monat, stellte zusätzliche Stipendien für Studenten zur Verfügung und kündigte an, 50.000 neue Jobs zu schaffen. Damit gelang es Sultan Qaboos, die Lage wieder zu beruhigen – doch der klamme Staatshaushalt wird seitdem noch stärker belastet.

Jürgen Werner, promovierter Arabist und akademischer Prorektor der Deutschen Universität in Oman, sieht in der Reaktion des Sultans ein falsches Signal. "Er hätte auch sagen können: 'So ist das nun einmal. Die Zeiten werden härter'. Aber er hat anders reagiert. Und so etwas zurückzuschrauben ist sehr schwer."

Hinzu kommt, dass der Ölpreis stark eingebrochen ist. Die Einnahmen aus der Erdölförderung bleiben deutlich hinter den Erwartungen zurück. Um Oman unabhängiger von den Georessourcen zu machen, hat die Regierung zwar schon vor geraumer Zeit auf die Entwicklung des Tourismus gesetzt. Aber auch der kann die Lücke im Staatshaushalt nicht so schnell stopfen: Der Tourismus trägt gerade einmal sechs Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei.

Omanische Schuljungen in Nizwa; Foto:
Vage Zukunftsperspektiven: Jedes Jahr strömen Zehntausende junge Omaner auf den Arbeitsmarkt, viele von ihnen mit einem Universitätsabschluss. Doch längst nicht alle Absolventen finden eine Stelle, die Arbeitslosigkeit ist hoch – vor allem unter Jugendlichen.

Vielen jungen Omanern, die nie einen anderen Herrscher erlebt haben als Sultan Qaboos, geht die Entwicklung inzwischen nicht mehr schnell genug. Sie wollen ihre Zukunft selbst in die Hand nehmen und mitbestimmen. Doch ihre Möglichkeiten im Sultanat sind begrenzt.

Suche nach einem Nachfolger

Zwar dürfen alle Omaner, die älter als 21 Jahre sind, die Mitglieder des Konsultativrats wählen. Aber der Einfluss des Majlis al-Shura, der den Sultan und seine Regierung berät, sei nicht besonders groß, meint Murtadha Hassan Ali, der selbst einige Jahre als Abgeordneter im Unterhaus saß. "Die Frage ist, ob die Mitglieder des Majlis al-Shura tatsächlich die Rolle spielen, die sie spielen sollten", sagt der Unternehmer. "Den meisten Abgeordneten wird vorgeworfen, sie seien eher Teil des Problems als Teil der Lösung."

Viele Wähler fühlen sich ihrer Familie oder ihrem Stamm verpflichtet – und wählen deshalb ihren jeweiligen Repräsentanten, unabhängig von dessen Kompetenz. Bei der Wahl zum Majlis al-Shura im Oktober lag die Wahlbeteiligung mit 57 Prozent außerdem deutlich niedriger als vor vier Jahren, als sich noch 75 Prozent an der Wahl beteiligten. Einer Umfrage der Online-Zeitung "Al-Balad Oman" zufolge glauben nur wenige Omaner, dass der Konsultativrat bei der Regierung Gehör findet.

Viele Regierungsämter bekleidet Sultan Qaboos persönlich. Doch in der Öffentlichkeit lässt er sich mittlerweile nur noch selten blicken. Am 18. November feierte er seinen 75. Geburtstag. Wer dem Sultan einmal nachfolgen und sich der zahlreichen Herausforderungen im Land annehmen wird, ist unbekannt. Vielleicht, so munkeln manche, damit niemand dem Monarchen gefährlich werden kann.

In einem geheimen Brief soll Sultan Qaboos notiert haben, wer sein Nachfolger wird – für den Fall, dass sich die Herrscherfamilie nicht innerhalb von drei Tagen nach seinem Tod auf einen Kandidaten einigen kann. "Mir ist zwar nicht ganz klar, wie das funktioniert", meint Mansoor al-Shabibi. Trotzdem ist er voller Zuversicht. "Ich bin mir sicher, dass der Sultan uns nicht im Stich lassen wird. Er hat irgendetwas vorbereitet. Vielleicht ist es ein Geheimnis zwischen ihm und wem auch immer, aber ich bin mir sicher: Der Sultan hat auch dafür einen sehr, sehr guten Plan."

Anne Allmeling

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