Psychogramm eines Diktators

Der amerikanische Journalist Sam Dagher beschreibt in seinem Werk "Assad or We Burn the Country" die Welt von Syriens Diktator Baschar al-Assad - dank einer exquisiten Quelle. Moritz Baumstieger hat das Buch gelesen.

Von Moritz Baumstieger

Widmungen, die Büchern vorangestellt sind, verraten viel über die Autoren. Wegen wem sie ein schlechtes Gewissen haben (Partner), wem sie dankbar sind (leiblichen Eltern oder geistigen Ziehvätern und -müttern). Bei Sam Daghers Werk "Assad or We Burn the Country", das vom Aufstieg der syrischen Präsidentenfamilie bis tief in die Wirren des Bürgerkriegs erzählt, ist das nicht anders - auch wenn der US-Journalist hier seine Beziehung zum Sujet in den Vordergrund stellt: Das Buch ist "all den Syrern, die aufgestanden sind, um Freiheit und Würde zu fordern" gewidmet.

Somit ist von der ersten Seite an klar, aus welcher Perspektive der Autor auf den Konflikt blickt, der so unterschiedlich wahrgenommen und bewertet wird: Er steht auf Seiten jener Syrer, die im März 2011 begannen, auf die Straßen zu gehen, um nach 30 Jahren Assad-Herrschaft für Reformen zu demonstrieren. Der zweite Satz der Widmung weist auf ein weiteres Motiv hin, das sich durch die fast 500 Seiten ziehen wird: Jenseits der Kämpfe in Syrien selbst tobt eine in diesem Ausmaß ungekannte Informationsschlacht über die Deutungshoheit - und Dagher sieht sein Werk durchaus als Munition gegen die Desinformationskampagnen des Regimes.

Akribisch recherchiert

Um seine fast 50 Jahre der syrischen Geschichte umfassende Großerzählung vor Gegenangriffen zu schützen, belegt Dagher seine Recherchen akribisch, nahezu manisch. Der Abschnitt mit den Quellen nimmt fast 70 Seiten eng bedruckte Seiten ein. Darin sehr oft zu lesen: "... in discussion with the author". Daghers Quellen sind es, was "Assad or we Burn the Country" aus der anderen Literatur zum Syrienkonflikt herausstechen lässt. Der US-Bürger mit libanesischen Wurzeln lebte von 2012 an als einziger westlicher Journalist in Damaskus.

Buchcover Sam Dagher: "Assad or We Burn the Country. How One Family's Lust for Power Destroyed Syria" im Verlag "Little, Brown and Co."
Durch den Zugang zu einem Akteur im Machtapparat von Assad und dessen Indiskretion gelingt es Dagher, das Psychogramm eines Diktators zu zeichnen, der anfangs von Komplexen und Ticks gehemmt ist, dann aber versucht, diese Handicaps durch übertriebene Männlichkeit, Härte und Zynismus zu kompensieren.

Bis er im August 2014 des Landes verwiesen wurde, beobachtete er als Korrespondent des Wall Street Journal, wie der Assad-Clan alles für sein Überleben tat.

Die Teile des Buches, in denen Dagher beschreibt, wie Assads Vater ein System errichtete, das die syrische Gesellschaft in Angst erstarren ließ und das sein Sohn Baschar erbte, lassen manche aus westlicher Sicht irrationale, in ihrer perfiden Kalkulation aber effektive Handlungen des Regimes verstehen.

Die Abschnitte, die nachzeichnen, wie Assad den zunächst friedlichen Protesten von Beginn an Gewalt entgegensetzte und schließlich ganze Orte, Viertel und Städte belagern und bombardieren ließ, sind genau recherchiert und im typischen Ton amerikanischer Großreporter aufgeschrieben: immer nah dran, dennoch mit dem nötigen Überblick, um im richtigen Moment einen Szenenwechsel zu vollziehen.

Mit kaltem Lächeln über sämtliche "rote Linien"

Die syrische Katastrophe entfesselt sich so fast wie im Zusammenschnitt eines Spielfilms. In den Absätzen, in denen Dagher analysiert, wie das Zaudern des Westens dazu führte, dass Assad mit kaltem Lächeln über sämtliche "rote Linien" spazierte und sogar Chemiewaffen gegen das Volk einsetzte, zieht er die richtigen Schlüsse. Doch all das ist nicht das, was das Buch besonders macht.

Seine wertvollste Quelle erschloss sich Dagher erst, nachdem er Syrien verlassen hatte müssen. In Paris kam er über Jahre immer wieder mit einem Exilanten zusammen, den Medien wegen seines Aussehens und seiner Eitelkeit einst "Alain Delon Syriens" nannten.

Einblicke in den innersten Machtzirkel

Auch wenn er gerne zum Film gegangen wäre, machte er beim Militär Karriere - und lieferte Dagher nach seiner Flucht Einblicke in den sonst abgeschirmten "Palast des Volkes", der in brutalistischer Klobigkeit über Damaskus thront. Manaf Tlass ist Sohn des langjährigen Verteidigungsministers von Baschars Vater Hafis, später wurde er selbst General der Nationalgarde.

Vor allem aber war er ein enger Begleiter von Baschars Bruder Bassel, der eigentlich als Thronerbe vorgesehen war, aber 1994 bei einem Autounfall starb. Baschar übernahm nicht nur dessen Position, sondern auch den Freundeskreis - über Jahrzehnte stand Manaf Tlass dem Diktator so nahe wie kaum ein anderer.

Nachdem sich die beiden wegen des Umgangs mit den 2011 beginnenden Protesten immer weiter entfremdet hatten, konnte Tlass mithilfe des französischen Geheimdienstes Syrien verlassen. Dagher erzählte er bereitwillig über seine Zeit in den innersten Machtzirkeln. Natürlich hat Tlass eine Agenda, natürlich wird er nicht immer alles erzählt haben, schon um sich selbst nicht zu belasten. Das, was er jedoch erzählt hat, will der Autor gegenrecherchiert und verifiziert haben.

Regieren mit dem Schuh über den Köpfen der Menschen

Durch den Zugang zu Tlass und dessen großer Lust zur Indiskretionen gelingt es Dagher, das Psychogramm eines Diktators zu zeichnen, der anfangs von Komplexen und Ticks gehemmt ist, dann aber versucht, diese Handicaps durch übertriebene Männlichkeit, Härte und Zynismus zu kompensieren.

So räumt Dagher mit dem Zerrbild auf, das Assad so gerne von sich zeichnen ließ: das eines modern denkenden und fortschrittlich eingestellten Mediziners, der versehentlich in der Politik landete und nun nur ein wenig Zeit bräuchte, um Syrien zu öffnen und zu reformieren.

"Es gibt keinen anderen Weg, unsere Gesellschaft zu regieren, als mit dem Schuh über den Köpfen der Menschen", sagte Assad laut Tlass im Gegenteil bereits immer wieder, bevor er Präsident wurde. Und in diesem Geiste sollte er auch reagieren, als seine Herrschaft infrage gestellt wurde.

Zu diesem Zeitpunkt ist aus dem schlaksigen jungen Mann, der lispelt und schnell einen roten Kopf bekommt, ein kühl kalkulierender Diktator geworden, der lieber sein Land zerstört, als die Macht zu verlieren. "Assad oder wir brennen das Land nieder" sollten seine Milizen deshalb auch immer wieder in den zurückeroberten Vierteln auf die Ruinen sprühen - in manchen Fällen verraten Widmungen auch viel über ihre Adressaten.

Moritz Baumstieger

© Süddeutsche Zeitung 2019

Sam Dagher: "Assad or We Burn the Country. How One Family's Lust for Power Destroyed Syria", Verlag Little, Brown and Co, Boston 2019