Wer Modi ablehnt, wird "antinational“ genannt

Indien: Behörden tolerieren und fördern teilweise den Hindu-Chauvinismus von Premierminister Narendra Modi. Wer dagegen Regierungskritik wagt, muss mit Einschüchterung, Schikanen und Unterdrückung rechnen.
Indien: Behörden tolerieren und fördern teilweise den Hindu-Chauvinismus von Premierminister Narendra Modi. Wer dagegen Regierungskritik wagt, muss mit Einschüchterung, Schikanen und Unterdrückung rechnen.

Aggressive Propaganda verzerrt die öffentliche Debatte in Indien immer stärker. Behörden tolerieren und fördern teilweise den Hindu-Chauvinismus von Premierminister Narendra Modi. Wer dagegen Regierungskritik wagt, muss mit Einschüchterung und Schikanen rechnen. Von Arfa Khanum Sherwani

Essay von Arfa Khanum Sherwani

Im Dezember letzten Jahres gab es ein dreitägiges Spitzentreffen hinduchauvinistischer Kräfte im nordindischen Haridwar. Unter anderem wurde gefordert, die muslimische Gemeinschaft in Indien so zu behandeln wie die Rohingya in Myanmar. Das war ein Aufruf zum Völkermord, denn die muslimischen Rohingya wurden in Pogromen ermordet und vertrieben. Dörfer wurden niedergebrannt. In Haridwar wurde solches Blutvergießen für nötig befunden, um hinduistisches Leben in Indien zu schützen. Diese Hassrhetorik ist ernst zu nehmen. Indien hat eine lange Geschichte anti-islamischer Gewalt.

Deshalb ist es verboten, Unfrieden zwischen Religionsgemeinschaften zu säen. Dennoch griffen staatliche Stellen nicht ein, selbst als bekannt war, was in Haridwar besprochen wurde. Als die Empörung landesweit wuchs, nahm die Polizei zwar ein paar Teilnehmer fest, aber die dürften eher nicht bestraft werden. Hauptveranstalter Yati Narsinghanand Saraswati wurde im Februar auf Kaution freigelassen.

Dagegen verbleiben gewaltfreie Regierungskritiker oft jahrelang in Haft, bis ihr Prozess überhaupt beginnt. Ein aktuelles Beispiel ist Umar Khalid. Der Student wurde 2019/2020 zu einem der Gesichter des Protests gegen die diskriminierende Reform des Staatsbürgerschaftsrechts. In dieser sozialen Bewegung spielten muslimische Frauen eine wichtige Rolle.

Khalid ist seit September 2020 in Haft. Ihm wird die Anstiftung von Krawallen in Delhi vorgeworfen. Das ist absurd, denn die Krawalle waren ein antiislamisches Pogrom. Dutzende starben; Moscheen wurden in Brand gesetzt. Zwei Drittel der Toten waren muslimisch. Hinduistische Fanatiker rechnen nach Gewalttaten mit Straffreiheit, aber gegen Oppositionelle geht der Staat hart vor.  Wie Khalid wird ihnen häufig vorgeworfen, gegen das drakonische Antiterrorgesetz UAPA (Unlawful Activities Prevention Act) verstoßen zu haben.

Nach Ausschreitungen gegen Muslime in Neu Delhi; Foto: DW/T.Godbole
Wer Hass sät, erntet Gewalt: Im Februar 2020 gab es Ausschreitungen gegen Muslime in Neu Delhi, bei denen Dutzende Menschen starben und Hunderte verletzt wurden. Indien hat eine lange Geschichte anti-islamischer Gewalt. Deshalb ist es verboten, Unfrieden zwischen Religionsgemeinschaften zu säen. Dennoch greifen die Behörden nicht ein, wenn radikale Hindu-Nationalisten Hasspropaganda verbreiten. Im Dezember letzten Jahres gab es ein dreitägiges Spitzentreffen hinduchauvinistischer Kräfte im nordindischen Haridwar. Dabei wurde unter anderem gefordert, die muslimische Gemeinschaft in Indien so zu behandeln wie die Rohingya in Myanmar. Das war ein Aufruf zum Völkermord, denn die muslimischen Rohingya wurden dort in Pogromen ermordet und vertrieben.

Verfassungswidrige Ideologie

Modis Partei, die BJP, gehört zu einem Netzwerk von Organisationen, aus deren Sicht Indien eine hinduistische Nation ist. Im Zentrum steht der RSS, eine Kaderorganisation, die ursprünglich von den italienischen Faschisten in den zwanziger Jahren inspiriert wurde. Internationale Beobachter unterschätzen meist das totalitäre Potenzial von Hindutva, wie die RSS-Ideologie heißt.

Der RSS duldet kein Weltbild außer seinem eigenen. Das gesamte Netzwerk definiert die Nation mit dem Hinduismus, meint aber eigentlich nur die oberen Kasten. Minderheiten gelten nichts und sollen die Gesellschaftsordnung akzeptieren, die dem RSS vorschwebt. Diese Haltung ist undemokratisch und tendenziell autoritär. Die Hindutva-Rechte sehnt sich nach voller Kontrolle aller Institutionen. Sie reagiert aggressiv auf Gegenstimmen, wie sie etwa die Bauernbewegung oder die Proteste gegen die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts artikulierten. BJP-kontrollierte Behörden äußern immer wieder Terrorismusverdacht und reichen entsprechende UAPA-Klagen ein.

Hindutva widerspricht grundsätzlich der säkularen Verfassung Indiens, welche die Benachteiligung religiöser Minderheiten verbietet. Modi ist für autoritäres Gebaren bekannt – aber nicht für Distanzierung von Gewalttaten aus seinem ideologischen Umfeld.

Die Massenmedien halten dem politischen Druck nicht stand. Vor allem private Fernsehsender verbreiten aggressive Propaganda. Sie tun wenig, um Fakten zu prüfen, und akzeptieren alles, was eine Regierungsstelle verlautbart.

Indien Protest gegen die umstrittene Reform des Staatsbürgerschaftsrechts; Foto Reuters/A. Abidi
Umstrittene Reform des Staatsbürgerschaftsrechts: Wer gegen die Reform protestiert, muss mit harten Sanktionen der Staatsmacht rechnen, so wie der Student Umar Khalid, eines der Gesichter des Protests gegen die Muslime diskriminierende Reform, in der auch muslimische Frauen eine wichtige Rolle spielten. Khalid ist seit September 2020 in Haft. Ihm wird die Anstiftung von Krawallen in Delhi vorgeworfen. Das ist absurd, denn die Krawalle waren ein antiislamisches Pogrom. Dutzende starben; Moscheen wurden in Brand gesetzt. Zwei Drittel der Toten waren muslimisch. Während hinduistische Fanatiker nach Gewalttaten mit Straffreiheit rechnen können, geht der Staat hart gegen Kritiker vor. 

Manipulation in den sozialen Medien

Unterdessen schüren Hindutva-Trolle in den sozialen Medien Hass. Wer es wagt, die Regierungspolitik in Frage zu stellen, wird "antinational“ genannt und des Verrats oder Terrorismus bezichtigt. The Wire, die unabhängige Netzzeitung, für die ich arbeite, hat kürzlich berichtet, dass die Trolle eine App nutzen, um sich zu koordinieren und Desinformation viral zu beschleunigen. Sie heißt Tek Fog und manipuliert auch digitale Programme. Die Multis, denen die Plattformen gehören, stört das kaum. Sie haben schon mehrfach gezeigt, dass es ihnen wichtiger ist, der Regierung zu gefallen, als den demokratischen Diskurs zu fördern. Andere Sprachen als Englisch interessieren sie eher nicht.

Folglich erscheint der Hindu-Chauvinismus im Internet stärker zu sein als er in der Gesellschaft wirklich ist. Facebook und Twitter lassen sich als Hassmaschinen missbrauchen, mit denen Andersdenkende eingeschüchtert werden.

Gezielt angegriffen werden politisch engagierte Personen, Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen und Opposi­tionsparteien sowie professionell in Rechtswesen oder Journalismus tätige Menschen. Ich selbst erlebe das schon lange. Mittlerweile stehe ich auf der Liste der zehn am häufigsten in sozialen Medien attackierten Inderinnen. Ständig gibt es Mord- und Vergewaltigungsdrohungen.

Voriges Jahr lancierten Hindu-Chauvinisten die App Bully Bai, mit der sie fiktiv muslimische Frauen versteigern, dabei aber echte Namen und Bilder verwendeten. Wegen breiter öffentlicher Empörung wurde das beendet. Zeitweilig war diese Form von Einschüchterung und Belästigung der religiösen Minderheit aber wirkungsvoll.

 

 

Bedrängte Minderheiten

Im Alltag stehen Minderheiten unter Druck. Ende Februar wurde muslimischen Schülerinnen und Studentinnen, wenn sie das muslimische Kopftuch trugen, im südindischen Bundesstaat Karnataka der Zutritt zu ihren Bildungseinrichtungen verwehrt. Ein Gericht hatte vorläufig entschieden, Institutionen dürften bereits bestehende Kleidungsordnungen durchsetzen. Das wurde missverstanden, so dass sich plötzlich junge Muslimas im ganzen Bundesstaat zwischen Kopftuch und Lehrveranstaltung entscheiden mussten. Der Ministerpräsident von Karnataka, Basavaraj Somappa Bommai, ist BJP-Mitglied.

Hindutva-Demos haben in jüngster Zeit auch immer wieder Freitagsgebete in Gurgaon gestört. Diese Stadt liegt im Großraum Delhi und heißt mittlerweile offiziell Gurugram. Die Störenfriede forderten, muslimische Gemeinden sollten drinnen beten. Dabei ist allgemein bekannt, dass es zu wenig Moscheen gibt und diese zu klein sind. Zu Weihnachten wurden in Südindien christliche Gemeinden auf ähnliche Weise angegriffen.

Am schlimmsten ist die Lage vermutlich in Kaschmir. Diese Region war früher Indiens einziger Bundesstaat mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, aber die Modi-Regierung beendete 2019 die relative Autonomie Kaschmirs und unterstellte das Gebiet der Zentralregierung. Die Unterdrückung ist hart. Im Februar berichteten Zeitungen weltweit von der Verhaftung Fahad Shahs, des Chefredakteurs der unabhängigen Website The Kashmir Walla. Die New York Times berichtete über "Schikanen und Einschüchterung“. Der Guardian warnte, die Unterdrückung der Presse eskaliere. Mehr Aufmerksamkeit dieser Art täte unserer Demokratie gut.

Arfa Khanum Sherwani

© Entwicklung und Zusammenarbeit 2022

Arfa Khanum Sherwani ist leitende Redakteurin der unabhängigen Netzzeitung The Wire.