
Hanif Kureishis Theaterstück "Das schwarze Album"Verinnerlichte Fatwa
Kureishi verfügte schon immer über die Gabe, seiner Zeit voraus zu sein, und so war es ihm auch im "Schwarzen Album" gelungen, Trends und Zeitfragen aufzuzeigen, die bis heute von Bedeutung sind. Als er zu Beginn der 1990er Jahre in Hochschulen und Moscheen mit jungen muslimischen Radikalen über den Roman sprach, waren diese noch nicht so zurückhaltend in ihren Äußerungen. Er hörte dort, wie sie sich über "Homosexuelle, Israel, Lippenstifte und anderes ausließen - es war ein unglaubliches Theater!" Das Stück beginnt mit Shahid, einem jungen Briten pakistanischer Herkunft, der seinen ruhigen Heimatort Sevenoaks in Kent verlässt, um in London eine Hochschule zu besuchen.
Er wird gespielt vom schmächtigen Jonathan Bonnici, der ihn mit einer anziehenden Aura eifriger Unschuld darstellt. Shahid besitzt einen Computer, den sein verstorbener Vater ihm vermacht hatte und strebt danach, Autor zu werden. Schon bald wird er in den Kreis des muslimischen Aktivisten Riaz Alexander Andreou) gezogen, der aus Lahore stammt, sowie dessen Gefolgsleuten Chad, Hat und Tahira. Abgesehen von seinen neuen muslimischen Freunden fühlt sich Shahid jedoch auch von seiner Dozentin Deedee Osgood (Tanya Franks) angezogen, die einige Jahre älter ist als er. Recht freizügig gekleidet nimmt sie ihn mit zu Techno-Parties und führt in ein in die Welt von Drogen, Alkohol und Sex. Sie überzeugt ihn, sich der Popkultur als ernstzunehmender Wissenschaft anzunehmen und überredet ihn dazu, über den Musiker Prince zu schreiben.
Gefangen zwischen zwei Weltsichten
Nach einer langen Clubnacht und starkem Drogenkonsum mit Deedee wird Shahid von starken Krämpfen geplagt und es ist Riaz, der ihm zu Hilfe kommt. Shahid meint, dass Riaz ihm damit das Leben gerettet habe. Seine Verbundenheit zu ihm wird dadurch gestärkt. Riaz bittet ihn, dessen Gedichtsammlung "The Martyr's Imagination" (Die Vorstellungskraft des Märtyrers) auf seinem Computer abzutippen.

Nun ist Shahid gefangen zwischen zwei Weltsichten, die jeweils von Riaz und Deedee repräsentiert werden. Das politische Engagement von Riaz und seinen Anhängern ist zunächst eine Reaktion auf den virulenten anti-asiatischen Rassismus der späten 1980er Jahre. Sie helfen einer muslimischen Familie, die von Rassisten schikaniert wird. Doch als Riaz' Wut sich mehr und mehr gegen den "Schriftsteller" richtet (auch wenn er nicht namentlich genannt wird, ist dieser leicht als Salman Rushdie zu identifizieren), werden Shahids Überzeugungen auf die Probe gestellt. Als jemand, der selbst danach strebt, Schriftsteller zu werden, gewinnt nun sein Glauben an die Meinungsfreiheit die Oberhand. Er ist entsetzt darüber, als Riaz' Gruppe ein Exemplar der "Satanischen Verse" verbrennt. Shahids Bruder Chili kommt in der Geschichte die Rolle des Spitzbuben zu - eines gewitzten, wild mit dem Messer fuchtelnden Charakters, der den großen Auftritt liebt, in rosafarbenem Anzug und Sonnenbrille, um mit seinem neuen BMW anzugeben. Zu seinen kriminellen Aktivitäten zählt auch der Handel mit Drogen. So versteckt er einmal Drogen in einem Exemplar der "Satanischen Verse". Chilis Handlanger Strapper (Glyn Pritchard) ist ein weißer Drogendealer mit gewalttätigen und rassistischen Neigungen. Mit seiner glamourösen Frau Zulma (Shereen Martineau, die auch die Rolle der Tahira spielt) hat sich Chili auseinandergelebt. Tahira wiederum, ehemalige Klassenkameradin von Benazir Bhutto, ist eine stattliche Erscheinung in High Heels und Mantel aus Leopardenfell.
Desillusionierte Linke und islamistische Ideologen
Die Allianz zwischen einigen linken und bestimmten islamistischen Gruppen ist in den letzten Jahren zu einem kontroversen Thema innerhalb der politischen Szene Großbritanniens geworden. Kureishi zeichnet dieses Verhältnis mittels Deedees Ehemann, dem marxistischen und Pferdeschwanz tragenden Dozenten Brownlow (Sean Gallagher). "Das Schwarze Album" ist von hohem Tempo, komisch und unterhaltsam; ständig kommen und gehen Charaktere durch die Türen des Bühnenbildes. Zuweilen wirkt dies etwas chaotisch und manchmal verliert die Handlung dadurch auch an Fahrt. Ganze Passagen des Dialogs sind wörtlich aus dem Roman übernommen. Einige Kritiker fanden, dass dem Stück die "Panorama-Sicht" auf London fehlt, mit ihrer Vielzahl an Ereignissen und Charakteren. Gegenüber dem Time-Magazine gab Kureishi zu, dass die Rezensionen ein bisschen "gemein" gewesen wären, aber so sei nun mal das Leben als Schriftsteller. "Man muss eben Risiken eingehen, und auch mal seltsame Dinge tun."
Doch im allgemeinen schien das Stück beim Publikum gut angekommen zu sein, wofür auch die ausverkauften Vorstellungen sprechen. "Die Reaktionen des Publikums haben das widergespiegelt haben, was wir uns vor der Produktionen davon versprochen hatten", erklärte Verma in einem Gespräch mit Qantara.de. "Die Zuschauer haben sich gern von uns in Hanif Kureishis geistreiche Adaption entführen lassen und hatten Spaß daran, wie hier die schwierigen Themen Zensur und Terror behandelt wurden."
Verlorene Siege
Er fügte auch hinzu: "Nach rund zwanzig Vorstellungen, die es inzwischen gegeben hat, habe ich auch den Eindruck gewonnen, dass das Publikum es durchaus goutierte, einmal eine Gruppe asiatischer Charaktere und Lebensstile auf der Bühne zu erleben, die dort ansonsten nur selten zu sehen sind. Es sind Charaktere von urbaner Lebendigkeit - genauso liebenswert und leidenschaftlich wie jeder andere moderne Brite auch." Zeitgleich hierzu hielt die Debatte um die Rushdie-Affäre in Großbritannien weiter an.
In der renommierten, wöchentlich ausgestrahlten BBC-Kultursendung Newsnight Review folgte auf die Rezension von "Das Schwarze Album" eine erregte Studiodiskussion. Einer der Teilnehmer war der Schriftsteller, Dozent und Rundfunksprecher Kenan Malik, Autor des kürzlich erschienenen Buches "From Fatwa to Jihad: The Rushdie Affair and its Legacy". Malik argumentierte, dass die Kritiker Rushdies die "Schlacht verloren hätten", indem es ihnen nicht gelungen sei, die "Satanischen Verse" verbieten zu lassen und das Buch noch immer verlegt werde.
Andererseits aber "haben sie den Krieg gewonnen, da ihr Hauptanliegen, dass es moralisch verwerflich sei, andere Kulturen und Glauben zu beleidigen, in unserer Gesellschaft sehr viel verbreiteter ist als früher und unser Denken weit mehr bestimmt. In diesem Sinn lässt sich durchaus behaupten, dass die Fatwa von uns verinnerlicht wurde."
Susannah Tarbush
© Qantara.de 2009
Übersetzung aus dem Englischen von Daniel Kiecol Susannah Tarbush lebt in London und schreibt als freie Journalistin über islamspezifische Themen u.a. für die Tageszeitung "Al-Hayat", die "Saudi Gazette" und das Magazin "Banipal".