Der Bushido unter den Islamkritikern

"Der islamische Faschismus" von Hamed Abdel-Samad ist keine Analyse, sondern eine Polemik gegen den politischen Islam. Dabei ist der Autor denjenigen, die er so scharf kritisiert, weitaus ähnlicher, als ihm bewusst ist. Von Daniel Bax

Von Daniel Bax

Von Islamisten bedroht zu werden kann gefährlich sein. Das weiß die westliche Öffentlichkeit, seit der britische Schriftsteller Salman Rushdie jahrelang untertauchen musste, weil der greise Revolutionsführer Ayatollah Khomeini im Mai 1989 im Iran eine Todes-Fatwa gegen ihn aussprach. Seitdem hat das Wort "Fatwa", eigentlich der islamische Fachbegriff für ein religiöses Rechtsgutachten, einen absolut mörderischen Beiklang.

Doch nicht jede Bedrohung ist gleich. Und manche tragen die Tatsache, schon mal von irgendwelchen Islamisten bedroht worden zu sein, sogar wie ein Gütesiegel vor sich her – vergleichbar mit breitbeinigen Rappern, die auf ihren CDs voller Stolz den Hinweis führen: Achtung, Explicit Lyrics!

Der deutsch-ägyptische Publizist Hamed-Abdel Samad ist, so gesehen, der Bushido unter den Islamkritikern: Vieles an ihm wirkt etwas dick aufgetragen, großspurig und unseriös. Doch viele deutsche Journalisten schauen bei ihm selbst über offensichtliche Widersprüche und Ungereimtheiten gnädig hinweg, lassen sich gerne blenden oder mildernde Umstände walten, nach dem Motto: die Orientalen sind halt so, die neigen eben zu Übertreibungen. Anders ist nicht zu erklären, warum der Publizist in deutschen Medien als Islam-Experte, obwohl ihn dafür wenig mehr als seine ägyptische Herkunft qualifiziert.

Dass es mit seiner "Todes-Fatwa" nicht so weit her sein kann, zeigte sich im November 2013, als der 42-Jährige trotz angeblicher Lebensgefahr nach Ägypten reiste. Als er dort entführt wurde, glaubten viele, es müssten Islamisten dahinter stecken. Am Ende stellte sich heraus, dass es nur um einen banalen Geldstreit ging.

Die Affäre warf viele Fragen auf: Warum reist jemand freiwillig in das Land, aus dem heraus er angeblich mit dem Leben bedroht wird? Und warum lässt er bewusst seine Bodyguards zurück, um sich mitten in der Stadt, in einem belebten Ort mit Unbekannten zu treffen, und lässt sogar engste Angehörige darüber im Unklaren? Sagen wir es mal so: Salman Rushdie hätte das wohl nicht gemacht.

Historischer Rundumschlag

Bis heute hat Hamed Abdel Samad noch keine überzeugende Erklärung für sein Verhalten geliefert. Aber es fragt ja auch keiner so genau nach. Dabei gibt der Autor derzeit ausgiebig Interviews zu seinem neuen Buch. Es trägt den Titel "der islamische Faschismus", und auf dem Umschlag darf die Behauptung nicht fehlen, der brisante Inhalt hätte dem Autor eine "Todes-Fatwa" eingebracht.

Buchcover "Der islamische Faschismus" von Hamed Abdel-Samad im Droemer-Verlag
"'Der islamische Faschismus' ist ein schlampig zusammengeschriebenes Buch, das eine wilde Mischung aus Wikipedia-Wissen, persönlichen Anekdoten und Kommentaren des Autors enthält und großzügig den Stand der Forschung ignoriert, etwa zum Antisemitismus in arabischen Ländern", moniert Daniel Bax.

Tatsächlich hat Abdel Samad seine Kernthese, der Faschismus sei schon in der Frühzeit des Islams selbst angelegt gewesen – die Eroberung von Mekka durch die Anhänger des Propheten Muhammed habe dafür die Saat gelegt –, schon im Juni 2013 bei einem Vortrag im kleinen Kreis in Kairo vertreten.

Nachdem ein Video der Veranstaltung im Netz landete, starteten Islamisten dort eine Hetzkampagne gegen ihn. Das war umso bemerkenswerter, als Abdel-Samad bis zu diesem Zeitpunkt in Ägypten weitgehend unbekannt war. Seit der ägyptische Präsident Mohammed Mursi im Juli 2013 vom Militär gestürzt wurde, hat sich der Wind dort allerdings gedreht. Der Hassprediger Assem Abdel Magad etwa, der auf einem Islamisten-Sender Abdel-Samad und viele andere, darunter prominente Politiker, Schauspieler und Christen, bedroht hatte, flüchtete ins Ausland. Derzeit soll er sich in Qatar aufhalten, die ägyptischen Behörden verlangen seine Auslieferung.

In seinem Buch hat Abdel Samad seine Grundthese nun etwas ausgebaut, um eine Linie von Abraham bis zum modernen Islamismus von heute zu ziehen. Dabei unterscheidet er nicht groß zwischen den ägyptischen Muslimbrüdern, Salafisten, dem Mullah-Regime im Iran und den Wahhabiten Saudi-Arabiens – alles religiöse Faschisten, irgendwie.

Dass sich schiitische und sunnitische Islamisten im Irak und Syrien bis aufs Blut bekämpfen und dass Saudi-Arabien den Putsch des ägyptischen Militärs gegen die Muslimbrüder unterstützt hat, weil es deren demokratische Konkurrenz fürchtet, solche Feinheiten unterschlägt der Autor, weil sie nicht in sein grobes Schwarz-Weiß-Raster passen.

"Der islamische Faschismus" ist ein schlampig zusammengeschriebenes Buch, das eine wilde Mischung aus Wikipedia-Wissen, persönlichen Anekdoten und Kommentaren des Autors enthält und großzügig den Stand der Forschung ignoriert, etwa zum Antisemitismus in arabischen Ländern.

Platte Polemik und alter Hut

Was der Autor eine "Analyse" nennt, ist in Wirklichkeit eine platte Polemik und ein alter Hut. Denn die Gleichsetzung von Islamismus und Faschismus ist nicht neu. Schon US-Präsident George W. Bush behauptete, sein Land bekämpfe den "Islamfaschismus", um seinen Einmarsch im Irak und seine rigorosen Anti-Terror-Gesetze zu rechtfertigen. Und Israel zog den Faschismus-Vorwurf heran, um seine Kriege gegen die Hisbollah im Libanon 2006, die Hamas im Gazastreifen 2009 und seine Angriffsdrohungen gegen den Iran zu begründen. Meist dient der Vergleich also kriegerischen oder zumindest undemokratischen Zwecken.

Abdel-Samad verbindet das Schlagwort vom "islamischen Faschismus" nun mit der These vom Gewaltpotential, die allen monotheistischen Religionen inne sei. Die hat der Kulturwissenschaftler Jan Assmann schon vor zehn Jahren vertreten – er vermochte schon damals aber nicht zu erklären, warum es dann auch unter Hindus in Indien oder in Japan starke faschistische Strömungen gab und gibt.

Und das europäische Beispiel zeigt, dass sich auch monotheistische Religionen befrieden lassen. Warum sollte das im Nahen Osten nicht auch gelingen? Auch dort ging die meiste Gewalt im 20. Jahrhundert übrigens nicht von der Religion, sondern von einem übersteigerten Nationalismus und autoritären Regimes aus. Und so sympathisch sein Plädoyer für den Säkularismus in westlichen Ohren klingen mag: Eine echte Trennung von Staat und Religion hat es weder in Ägypten noch einem anderen Land der Region je gegeben – und wird es auch unter Ägyptens neuem starken Mann, General al-Sisi, nicht geben, der schon heute nicht weniger Koranverse im Mund führt als seine Gegner.

Bild Abdelfattah al-Sisis in der Innenstadt von Kairo; Foto: DW
Ikonografie der autoritären Macht: Eine ausgeprägte Freund-Feind-Rhetorik, die Entmenschlichung des Gegners, der Rückgriff auf Verschwörungstheorien und ein bizarrer Führerkult – all das kennzeichnet das aktuelle Ägypten unter dessen neuen starken Mann, General Abdel Fattah al-Sisi.

Wenn dort derzeit jemand um sein Leben fürchten muss, dann sind es vor allem die Anhänger der Muslimbrüder, die in Ägypten derzeit zu Hunderten im Gefängnis schmachten. Mitleid mit ihnen kennt Abdel-Samad aber nicht, ganz im Gegenteil. Den Putsch gegen Mursi – immerhin des ersten Zivilisten, der in der Geschichte Ägyptens an die Spitze des Staates gewählt wurde – begrüßte er im Juli 2013 in der Bild-Zeitung sogar als "Sieg der Hoffnung", und auf seiner Facebook-Seite betätigt er sich seither ausgiebig als inoffizieller Sprecher der ägyptischen Armee. Zynisch schrieb er nach dem Massaker der Armee an Hunderten von Muslimbrüdern, die für die Wiedereinsetzung ihres Präsidenten demonstriert hatten: "Der Faschismus wurde auch nicht durch die Politik besiegt".

Entmenschlichung des politischen Gegners

Auch die Verhaftung der Führungsriege der Muslimbrüder sei "kein Verstoß gegen die Menschenrechte", sondern bloße Terror-Prävention, meinte er kurz darauf. Und selbst angesichts des Skandal-Schnellverfahrens gegen 500 Muslimbrüder Ende März 2014 konnte er sich zu keiner klaren moralischen Verurteilung der Todesurteile durchringen – er kritisierte sie lediglich als ungeeignetes Mittel: "So schreckt man Terroristen nicht ab", befand er in einem Interview knapp. Denn was immer passiert, Abdel-Samad bleibt dabei: Die Muslimbrüder seien "keine Opfer", sondern würden selbst "am meisten" von den Todesurteilen profitieren, weil sie dadurch zu Märytrern kämen. So macht man Opfer zu Täter.

Dabei entgeht Abdel-Samad die Ironie, dass seine eigene Faschismus-Definition viel eher auf das aktuelle Militärregime in Ägypten als auf die Muslimbrüder zutrifft. Eine ausgeprägte Freund-Feind-Rhetorik, die Entmenschlichung des Gegners, der Rückgriff auf Verschwörungstheorien und ein bizarrer Führerkult – all das kennzeichnet das aktuelle Ägypten unter dessen neuen starken Mann, General Abdel Fattah al-Sisi. Doch bis heute hat man von Abdel-Samad noch kein echtes Wort der Kritik an Ägyptens neuen Machthabern geäußert.

Das ist kein Wunder. Denn wie sie ist Hamed Abdel-Samad davon überzeugt, der politische Islam müsse militärisch besiegt werden – so, wie der europäische Faschismus im 20. Jahrhundert. Das allerdings ist ein Rezept für ein Desaster.

Fast alle autoritären Herrscher der Region haben darauf gesetzt, und sind damit gescheitert. Doch das ficht Abdel-Samad nicht an. Man stehe "vor einer Schlacht mit apokalyptischer Dimension", schwadronierte er kürzlich in einem Interview mit der eisigen Schärfe eines Extremisten. Denn seine Stimme mag sanft sein, seine Sprache und seine Botschaft sind hart und militärisch. Sein Beispiel zeigt, dass manche Kritiker des politischen Islam mit den Fundamentalisten, die sie kritisieren, viel mehr gemein haben, als ihnen bewusst ist.

Daniel Bax

© Qantara.de 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

Daniel Bax ist Inlandsredakteur der taz. Zu seinen Schwerpunkten zählen u.a. Integration und Migration, Staat und Religion, Minderheiten und Rassismus, Türkei und Naher Osten sowie Musik und Popkultur.