Palästina driftet weiter auseinander

Die Rivalität zwischen der säkularen Fatah und der fundamentalistischen Hamas, die in der gewaltsamen Machtübernahme der Islamisten Anfang Juni im Gazastreifen gipfelte, uferte in den letzten Wochen weiter aus. Joseph Croitoru berichtet.

Beide Seiten sind intensiv damit befasst, den Gegner im eigenen Herrschaftsgebiet auszuschalten. Die Hamas scheint dieses Ziel systematischer und brutaler zu verfolgen. Fast täglich finden sich in der säkularen Presse der Westbank Horrormeldungen über Entführungen, Folter und Tötungen von Fatah-Aktivisten im Gazastreifen.

Für Fatah-Funktionäre im Gazastreifen ist es mittlerweile nahezu unmöglich geworden, politische Aktivitäten zu entfalten. Aus Protest schloss deshalb Aschraf Dschuma, einer der prominenten Fatah-Abgeordneten sein Büro in Gaza.

Ohnehin ist längst keine Rede mehr von einem funktionierenden palästinensischen Parlament. Resigniert erklärte sich Dschuma angesichts der Umstände für überfordert, auch wenn sich die Not der Bevölkerung im Gazastreifen zusehends verschlimmere.

Fatah-Ratten und Hamas-Löwen

Dass der Ära der Fatah im Gazastreifen, dem Stammgebiet der Hamas, jetzt endgültig ein Ende gesetzt werden soll, zeigte sich einmal mehr, als vor wenigen Tagen Polizisten der Hamas die Büros von Präsident Mahmud Abbas und des Exekutivkomitees der Fatah in Gaza plünderten. Offenbar sollen die säkularen Rivalen sukzessive aus dem Bewusstsein der Bewohner des kleinen Hamas-Staates verdrängt werden.

Der Umgang der Kontrahenten miteinander wird härter. Diffamierungen wie zum Beispiel ein von der Hamas produzierter propagandistischer Zeichentrickfilm kennzeichnet die Säkularen von der Fatah als Ratten, die es zu eliminieren gilt.

Der Satellitensender "Al-Aqsa" strahlt den Streifen, in dem fromme palästinensische Frauen von den Ekeltieren in Moscheen angegriffen werden, seit einigen Wochen aus. Und nur der Löwe, der die Hamas symbolisiert, kann dem verabscheuten Getier Einhalt gebieten.

Die Fatah kontert in den eigenen Medien mit der Darstellung der Hamas als Gesetzesbrecher. Die Islamisten sind aus ihrer Sicht Putschisten und verkörpern den Staatsfeind schlechthin. Kürzlich hat selbst Präsident Abbas seinem Unmut Luft gemacht, als er öffentlich beklagte, dass im Gazastreifen ein "Zeitalter der Finsternis" angebrochen sei. Inzwischen spricht die Fatah laut von den Feinden des wahren Islam, wenn die Islamisten gemeint sind.

Der Kampf um politische Macht und Positionen erschöpft sich nicht nur im Rhetorischen. Seit Wochen verhaften Abbas' Polizisten in der Westbank Mitglieder der Hamas und führen Razzien in den sozialen Einrichtungen der Islamisten durch.

Zweidrittel gegen gewaltsame Hamas-Machtübernahme

Die faktisch bislang nicht belegte Begründung für dieses Vorgehen lautet, die Fundamentalisten beabsichtigten, auch in der Westbank die Macht gewaltsam an sich zu reißen.

Denn was ihren Einfluss im Gazasteifen anbelangt, gibt sich die Fatah noch längst nicht geschlagen, auch wenn ihre Protestaktionen, wie etwa der jüngst ausgerufene, aber nur zum Teil befolgte Generalstreik, eher symbolische Wirkung hatten. Die voranschreitende Zwangs-Islamisierung des Gazastreifens haben sie jedenfalls nicht verhindert.

Wie die dortige Bevölkerung auf diese Entwicklung reagiert, ist auch deshalb schwer zu beurteilen, weil die Hamas eine kritische Berichterstattung verhindert. Die Umfrage eines unabhängigen Meinungsforschungsinstituts aus Ramallah hat jetzt immerhin ergeben, dass 73 Prozent der knapp 1300 Befragten aus der Westbank wie aus dem Gazastreifen der gewaltsamen Machtübernahme der Hamas ablehnend gegenüberstehen.

Jedoch äußerten etwa 40 Prozent der Interviewten aus Gaza gleichzeitig ihre Zufriedenheit darüber, dass nun für ihre persönliche Sicherheit besser gesorgt sei. Und gut ein Drittel der Befragten zeigte sich mit der Arbeit der Hamas durchaus zufrieden.

Besorgnis erregend für die zukünftige Entwicklung der palästinensischen Politik scheinen jene 22 Prozent, die beide palästinensischen Regime für gleichermaßen legitim halten. Denn das zeigt, dass sich erschreckend viele schon mit einem geteilten Palästina arrangiert haben.

Joseph Croitoru

© Qantara.de 2007

Qantara.de

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