Ein Fest für alle

In Haifa leben jüdische und palästinensische Israelis im Großen und Ganzen einträchtig miteinander. Unter dem Namen Holiday of Holidays findet jährlich zur Weihnachtszeit ein Fest der Kulturen statt, das Touristen und Israelis von überall her anzieht. Noam Yatsiv hat das Fest besucht.

Von Noam Yatsiv

Seit 1993 begeht die Hafenstadt im Norden Israels mit Holiday of Holidays ein ganz ungewöhnliches Fest. Der Zeitpunkt ist gut gewählt: Das Weihnachtsfest und das jüdische Lichterfest Chanukka liegen nah beieinander. Weihnachten wird etwa von der Hälfte der palästinensisch-arabischen Bevölkerung der Stadt gefeiert, Chanukka von der jüdischen Mehrheit. Manchmal – wenn auch selten – fällt auch der Fastenmonat Ramadan auf den Dezember. Das war zuletzt allerdings vor neunzehn Jahren der Fall.

Neben diesen im Ursprung abrahamitischen Festen begeht zudem die große Zahl der Immigranten aus der ehemaligen Sowjetunion ihr säkulares Neujahrsfest (Novy God). Die sternenbehängten Neujahrsbäume reihen sich perfekt zwischen den üppigen Christschmuck ein.

Das Fest ist sozusagen der Högepunkt der Aktivitäten von Beit Ha’Gefen – dem einzigen Kulturzentrum Israels, das sich speziell dem jüdisch-arabischen Dialog widmet. Nach eigenen Angaben möchten die Veranstalter "Toleranz und gegenseitigen Respekt durch Kultur und Kunst fördern“. Holiday of Holidays begann ursprünglich recht bescheiden in der Aufbruchszeit des Oslo-Friedensprozesses.

Im Laufe der Jahre wurde daraus eine Großveranstaltung, die von der Stadt Haifa unterstützt und beworben wird. 2020 fand Holiday wegen der pandemiebedingten Einschränkungen als reine Online-Veranstaltung statt. Dieses Jahr werden wieder ähnlich viele Besucher erwartet wie im Rekordjahr 2019 – nämlich jedes Wochenende 150.000. Davon gehen zumindest die lokalen Behörden aus.

Werbebanner für Haifas Festival Holiday of Holidays an der Fassade von Beit Hagefen – Israels einzigem Kulturzentrum, das sich speziell dem jüdisch-arabischen Dialog widmet (Foto: Noam Yatsiv)
Das Festival Holiday of Holidays in Haifa: Das Fest ist der Höhepunkt der jährlichen Aktivitäten von Beit Ha’Gefen – dem einzigen Kulturzentrum Israels, das sich speziell dem jüdisch-arabischen Dialog widmet. Nach eigenen Angaben möchten die Veranstalter "Toleranz und gegenseitigen Respekt durch Kultur und Kunst fördern“.

Schneeflocken, rote Strümpfe und Rentiere

 

Die meisten Besucher strömen am Wochenende mit der Erwartung in die Stadt, einen westlich anmutenden Weihnachtsmarkt vorzufinden, ohne dazu eine Flugreise unternehmen zu müssen. Familien freuen sich auf die farbenfrohen Spielmannszüge und auf einen Leckerbissen an den zahllosen Buden mit Essbarem. Teenager lichten sich derweil oft und gerne vor glitzernden Weihnachtsbäumen ab. Zwar sind auch der traditionelle jüdische Leuchter (Menora) und die muslimische Mondsichel (Hilal) zu sehen, aber insgesamt atmet das Fest die Atmosphäre einer konsumfreudigen Weihnachtsfeier. Israelischen Juden und Arabern gefallen Schneeflocken, rote Strümpfe und Rentiere nun einmal ebenso gut wie den meisten Menschen in unserer globalisierten Welt.

Die gesamte Szenerie entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Schließlich findet das Fest an der Wiege der Christenheit statt, dort, wo Christus geboren wurde. Die Vorstellung, dass der Weihnachtsmann aus dem verschneiten Norden auf einem Rentier-Schlitten durch die Lüfte einfährt, setzt etwas mehr Fantasie voraus als etwa im winterlichen Stockholm oder Chicago.

Wer nach einem etwas breiteren Kulturprogramm sucht, kommt dennoch auf seine Kosten: von palästinensischem Kunstgewerbe über Ausstellungen mit politischer Kunst bis hin zu Stadtführungen, Tanzdarbietungen, liturgischer Musik und Kinderbelustigungen wird eine breite Palette von Aktivitäten angeboten.

"Die besondere Lebensqualität in Haifa“

 

Ranin Tabarani betreut Jugendliche, die sich wöchentlich im Arab-Jewish Youth Club von Beit Ha’Gefen treffen. Gemeinsam mit den Familien aus einer bilingualen Schule in Haifa arbeiten die Jugendlichen dieses Jahr an der Dekoration für das Fest mit.

"Jedes Jahr“, so erzählt Ranin Tabarani, "entwickeln die Kids aus der Theatergruppe neue Ideen, wie man unseren Club unter den Besuchern bekannt machen kann. Beim letzten Mal verkleideten sie sich als Astronauten und näherten sich den Besuchern rein pantomimisch. Das kam gut an und machte die Menschen neugierig. Die Kids schlüpften dann hin und wieder aus ihrer Rolle und erzählten den Besuchern von unserem Jugendclub. Das Echo war einfach fantastisch.“

Ranin Tabarani ist Christin und unterrichtet Kunst in einem jüdischen Vorort von Haifa. Wie sie sind viele ihrer Kolleginnen und Kollegen Fans von Holiday of Holidays. "Eine jüdische Kollegin sagte mir: "Das ist ja wie in Europa!“... Das war sicher nett gemeint, doch mich hat diese Äußerung etwas befremdet. Ich hoffe nämlich, dass die Gäste von außerhalb auch etwas von dieser besonderen Lebensqualität in Haifa spüren.“

Festivalbesucher laufen entlang einer vollen Straße bei Haifas Holiday of Holidays (Foto: Noam Yatsiv)
Hillel Kita, ein jüdischer Achtklässler aus Haifa, bringt es auf den Punkt: "Wir feiern hier den wahren Geist von Haifa. Gerade wegen der vielen schrecklichen Dinge, die dieses Jahr passiert sind, fühlt es sich richtig an, hier gemeinsam zu feiern, also unter Christen, Juden, Muslimen, Drusen – gläubigen und nicht gläubigen Menschen. Auch wenn wir meist nur irgendetwas essen. Aber manchmal ist es ja genau das, was Menschen brauchen. Eine bunte Feier, ohne viel Gerede, dafür mit guter Musik, wo jeder willkommen ist.“

Ranin Tabarani lebt in der sogenannten deutschen Kolonie, einem historischen Viertel von Haifa, wo das größte Straßenfest ausgerichtet wird. Mit dem jährlich wachsenden Trubel vor ihrer Haustür ist sie nicht ganz so glücklich: "Einen Monat lang befinden wir uns jedes Wochenende im Ausnahmezustand. Der Verkehr ist brutal. Wir können kaum vor die Tür gehen. Ganz zu schweigen vom Lärm... Wenigstens ist unsere Kirche zu Fuß gut erreichbar.“

Wird die palästinensische Identität genügend gewürdigt?

 

Die christlichen Palästinenser in Israel werden von der jüdischen Mehrheit oft als "israelischer“ als ihre muslimischen Landsleute wahrgenommen. Diese Minderheit in der Minderheit macht etwa zehn Prozent der fast zwei Millionen arabischen Bürger Israels aus. Statistisch gesehen sind sie das erfolgreichste Segment der israelischen Gesellschaft, was höhere Bildung und Einkommensniveau angeht.

Politisch ist diese Bevölkerungsgruppe allerdings alles andere als homogen. Das Spektrum reicht von radikalen Palästinensern, wie dem früheren Knesset-Abgeordneten Basel Ghattas, bis zu patriotischen Hardlinern, wie dem Social Media-Star Yoseph Haddad. Die meisten Menschen dürften sich irgendwo in der Mitte einordnen, auch wenn die patriotischen Ultras in den israelischen Massenmedien üblicherweise stärkere Beachtung finden.

So gesehen könnte hinter dem "weihnachtlichen“ Charakter des Festes in einer Stadt mit jüdischer Mehrheit auch eine versteckte politische Agenda stehen. Die ortsansässige Kriminologin Riham Saraya besucht das Fest seit jeher. In diesem Jahr ging sie mit ihrer Familie zu einer bilingualen Aufführung für Kinder zum Thema Weihnachten und Chanukka. Saraya selbst ist Muslimin.

Auf die Frage, ob Holiday of Holidays sich auch der muslimischen Identität ausreichend widme, meint sie: "Meine Kinder sind noch so klein, dass das keine Rolle spielt. Wir hatten einfach viel Freude an der Aufführung. Ich bin froh, dass wir hingegangen sind, denn für mich ist es wichtig, dass meine Kinder auch andere Kulturen erleben. Ich kann mich allerdings erinnern, dass ich mich als Jugendliche darüber wunderte, dass es so wenige islamische Elemente in den Kulturveranstaltungen gab. Als Teenager gingen meine Freundinnen und ich jedes Wochenende zum Fest. Ich war damals sehr stolz darauf, dass wir in unserer Stadt so etwas überhaupt hatten. Doch wie gesagt, ich habe mich damals schon darüber gewundert, dass mein eigener kultureller Hintergrund bei den Festlichkeiten so wenig Beachtung findet.“

Riham Saraya zieht für sich persönlich eine insgesamt positive Bilanz. Andere sehen das durchaus kritischer: Rolly Rosen, Anthropologin, und Shahira Shalabi, palästinensische Aktivistin und stellvertretende Bürgermeisterin von Haifa, thematisieren den Charakter der Veranstaltung in einem gemeinsamen Essay.

Besucher von Haifas Festival Holiday of Holidays (Foto: Noam Yatsiv)
Gutes Timing, auch aus kommerzieller Sicht: Das Weihnachtsfest und das jüdische Lichterfest Chanukka liegen nah beieinander. Weihnachten wird von etwa der Hälfte der palästinensisch-arabischen Bevölkerung der Stadt gefeiert, Chanukka von der jüdischen Mehrheit. Manchmal fällt auch der Fastenmonat Ramadan auf den Dezember.

Die Vielfalt von Haifa als Marke

 

Rolly Rosen und Shahira Shalabi sehen Holiday of Holidays vor allem als kommerzielle Veranstaltung, die die Vielfalt von Haifa eher als touristische Ressource vermarktet, denn als Plattform für den Dialog zwischen jüdischer und palästinensischer Bevölkerung. Die von der Stadt betriebene Betonung der verschiedenen religiösen Identitäten verdecke die unter der Oberfläche schwelenden nationalen Spannungen.

Im größeren Zusammenhang gesehen geht es allerdings um Gravierenderes als um Verkehrsstaus oder kulturelle Teilhabe. Dem diesjährigen Fest gingen vor wenigen Monaten heftige Gewaltausbrüche in Israels Städten voraus. Als sich die Hamas und die israelischen Streitkräfte im Mai offen bekämpften, wurde Haifa nachts von Schlägertrupps heimgesucht, die mit dem Ruf "Tod den Arabern“ durch die Stadt zogen und arabische Häuser mit Steinen bewarfen. Nur dreizehn Kilometer weiter, in der Altstadt von Akkon, wurden jüdisch geführte oder mitgeführte Geschäfte geplündert und angezündet. Ein Hotelgast kam dabei zu Tode.

Bei einer Befragung von Besuchern des Festes brachte es Hillel Kita, ein jüdischer Achtklässler aus Haifa, auf den Punkt. Hillel besucht das Fest, seit er denken kann. Die Frage zum tieferen Sinn des Festes beantwortete er mit einem Optimismus, der Hoffnung weckt: "Wir feiern hier den wahren Geist von Haifa. Gerade wegen der vielen schrecklichen Dinge, die dieses Jahr passiert sind, fühlt es sich richtig an, hier gemeinsam zu feiern, also unter Christen, Juden, Muslimen, Drusen – gläubigen und nicht gläubigen Menschen. Auch wenn wir meist nur irgendetwas essen. Aber manchmal ist es ja genau das, was Menschen brauchen. Eine bunte Feier ohne viel Gerede, dafür mit guter Musik, wo jeder willkommen ist.“

Noam Yatsiv

© Qantara.de 2021



Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers