Im Patriarchat gibt es leider Wichtigeres zu tun

Haifaa Al-Mansour knüpft mit ihrem neuen Film an ihren Debüt-Erfolg "Wajda" an. Einmal mehr widmet sich die talentierte saudische Filmemacherin in "Die perfekte Kandidatin" dem Thema Gleichberechtigung. Es ist ihr bislang bestes Werk, meint Schayan Riaz.

Von Schayan Riaz

Der saudische Film entwickelt sich langsam aber sicher. Maßgeblichen Anteil daran hat die Regisseurin Haifaa Al-Mansour. Vor acht Jahren gelang ihr mit "Wadja" der internationale Durchbruch; es war der erste Film überhaupt, der vollständig in Saudi-Arabien gedreht wurde, mit einer komplett saudischen Besetzung.

Somit wurde der Weg frei für weitere Filmemacher, die noch sehr junge saudische Filmindustrie am Leben zu halten. Wie zum Beispiel Mahmoud Sabbagh: Seine Komödie "Barakah Yoqabil Baraka" wurde 2016 nach Berlin eingeladen und dadurch der erste saudische Film, der auf einem großen, international Filmfestival gezeigt wurde. Inzwischen leitet Sabbagh das "Red Sea Film Festival" in Jeddah, das erste seiner Art.

Was Al-Mansour angeht, so hatte sie nach 2012 nicht mehr in ihrer Heimat gearbeitet, sondern einen "Abstecher" in Richtung Westen versucht. Ihre nachfolgenden beiden Produktionen "Mary Shelley" oder der für Netflix hergestellte "Nappily Ever After" waren eher mäßig erfolgreich, doch Al-Mansour konnte ihre unverkennbar feministische Handschrift, die sie mit "Wadja" etablierte, in diesen zwei Spielfilmen fortführen. Umso erfreulicher ist es, dass ihre sogenannte Heimkehr, ihr vierter und erneut in Saudi-Arabien spielender Film "Die perfekte Kandidatin", am Erfolg ihres Debüts anknüpft.

Feministisches Statement

Sätze wie "Wer sich von Frauen führen lässt, der wird scheitern" oder "Bring mich zu einem richtigen Arzt, einen Mann" sind für die junge Ärztin Maryam (Mila Al Zahrani) an der Tagesordnung. In ihrer Klinik in einem Vorort von Riad - der einzigen Klinik mit einer Notaufnahme - wird sie ständig von Männern bevormundet.

Kinoplakat Haifaa Al-Mansours Film "Die perfekte Kandidatin"
Humoresk, unterhaltsam, anspruchsvoll: Eine stille Ärztin aus Saudi-Arabien kandidiert eher unfreiwillig für den Gemeinderat und nimmt den Kampf gegen ihre konservativen Rivalen auf, weil sie die Straße vor ihrem Krankenhaus asphaltieren lassen will. Die emanzipative Komödie folgt den Auseinandersetzungen der Medizinerin, die sich gegen viele Widerstände behauptet, und verbindet dies mit aufschlussreichen Beobachtungen zu den Widersprüchen eines islamischen Landes, das in der Öffentlichkeit auf strikt konservativen Regeln besteht, in privaten Räumen aber durchaus mehr Freiheit kennt.

Mal wollen sich Patienten nicht von ihr behandeln lassen, mal haben ranghöhere Kollegen keine Zeit oder finanzielle Mittel für ihre berechtigten Beschwerden: Die Zufahrtsstraße zur Klinik ist nicht asphaltiert und es ist wirklich schwierig, Patienten ohne Hindernisse ins Krankenhaus zu bringen. Der Eingang ist dreckig, weil der Schlamm von der unfertigen Straße permanent mit hineingetragen wird. Und ein geplatztes Wasserrohr verschlechtert die Lage. Doch Maryam stößt überall auf taube Ohren. Im Patriarchat gibt es leider Wichtigeres zu tun - die Frau muss irgendwie selbst zurecht kommen.

Für Maryam heißt das konkret, dass sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen muss. Prompt stellt sie sich zur Wahl für den Gemeinderat auf, um die Missstände zu beseitigen, von denen sie umgeben ist. Natürlich steht ihr ein harter Kampf bevor, sie tritt gegen eine allseits beliebte und vertraute Persönlichkeit an, die das Amt schon lange innehat.

Und darüber hinaus wird ihre Kandidatur so oder so nicht ernst genommen. Bei einem Fernsehinterview möchte der Moderator ausschließlich über vermeintliche "Frauenthemen" wie etwa Grünanlagen oder Spielplätze sprechen. Und ein missglücktes, virales Video à la Basil Marceaux bringt ihr weiteren Spott ein.

Eine Gesellschaft im Wandel

Wäre "Die perfekte Kandidatin" eine Hollywood-Produktion, dann wäre Maryams Vater möglicherweise ein Tyrann, der ihr alles verbieten würde. Al-Mansour zeigt indes einen resignierten, nach dem Tod seiner Ehefrau leicht deprimierten Mann (Khalid Abdulraheem), der zwar keineswegs begeistert von den politischen Ambitionen seiner Tochter ist, sie aber trotzdem machen lässt. Vielleicht, weil er selbst gar nicht daran glaubt, dass sie die Wahl gewinnen wird? Jedenfalls ist er als reisender Musiker ohnehin zu selten zuhause und hat seine eigenen Probleme.

Keine Hilfe von chauvinistischen Männern

Maryams Schwestern Selma und Sara sind mal mehr, mal weniger hilfsbereit. Sie sind vor allem genervt vom ganzen Trubel, doch schnell wird auch ihnen klar, dass diese Kampagne sie alle etwas angeht. Nur wenn sie zusammenhalten, können sie alle Frauen ihrer Gemeinde dazu bringen, tatsächlich wählen zu gehen. Von den älteren, chauvinistischen Männern kann sich Maryam keine Stimmen erhoffen.

Al-Mansour gewährt uns wertvolle Einblicke in eine Gesellschaft im Wandel. Das von ihr präsentierte Bild ist um einiges authentischer als das Bild von Saudi-Arabien, dass man vielleicht aus den Nachrichten kennt. Saudische Frauen sind keine hilflosen, unterdrückten Wesen. Sie singen, sie tanzen, sie retten Menschenleben und sie kandidieren eben für den Gemeinderat.

Klar, auch nach einer Reform - wie etwa der Fahrerlaubnis für Frauen - leben sie weiterhin in einem patriarchalischen System, das ihnen mehr Nachteile als Vorteile einbringt. Doch das intelligente Drehbuch, das Haifaa Al-Mansour gemeinsam mit Brad Niemann geschrieben hat, bringt uns dazu, die Sachen allgemein differenzierter zu betrachten und auf Maryams Seite zu stehen.

Eine Welt in Aufruhr

Schließlich geht diese Handlung auch weit über die Grenzen seines Landes hinaus. Denn in den letzten paar Jahren hat sich weltweit immer wieder die Frage gestellt, was einen perfekten Kandidaten eigentlich ausmacht? Sei es nach Brexit, Trump, nach Wahlen in Ungarn, Brasilien, oder auch hierzulande in Thüringen: Wie perfekt kann ein Kandidat schon sein, wenn er sich an rechtspopulistischen und rassistischen Methoden bedient?

Halten wir für immer fest: Ein Wahlsieg gilt nicht als Gradmesser für Perfektion. Genau diesen Gedanken nimmt sich Al-Mansour zu Herzen. Mit "Die perfekte Kandidatin" gelingt ihr ein hochaktueller, brillanter Kommentar über eine Welt in Aufruhr. Ein sowohl unterhaltsamer als auch aufschlussreicher Film.

Schayan Riaz

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