Die „funky“ Staatskapelle vom Roten Meer

Das kleine ostafrikanische Djibouti hat sich bislang der musikalischen Entdeckung durch den Westen entzogen. Nun kommt die aktuelle Staatsband des Landes, Groupe RTD, zu internationalen Ehren – mit der Musik, die sie nach Dienstschluss spielt. Mit ihrem Produzenten Janto Djassi sprach Stefan Franzen.

Von Stefan Franzen

Herr Djassi, Sie sind in Hamburg Foto- und Videograf: Wie sind Sie dazu gekommen, eine Band aus Djibouti aufzunehmen?

Janto Djassi: Als Senegaldeutscher hatte ich tatsächlich keinen Bezug zu Djibouti oder Ostafrika, das sind ja wirklich zwei unterschiedliche Welten. Doch über einen Freund kam ich zu Ostinato Records, mit ihnen habe ich Kompilationen mit alter somalischer und sudanesischer Popmusik erstellt. Der Labelinhaber Vik Sohonie und ich, wir sind dann auch zusammen nach Djibouti gereist, um über die dortige Musik zu recherchieren. Die Groupe RTD haben wir dort 2016 kennengelernt. Ursprünglich war der Plan, die Archive des Rundfunks zu sichten und auch von dort alte Aufnahmen zu veröffentlichen. Doch der Direktor des nationalen Radios hat uns zum Studio gebracht, wo uns die Band ein kleines Konzert geboten hat. Wir waren sofort hin und weg von der Energie, die da auf uns zukam. Und uns war schnell klar, dass wir lieber diese leibhaftige Band aufnehmen wollen.

Kann man die Groupe RTD mit anderen ikonischen Bands Afrikas, etwa der Rail Band oder dem Orchestra Baobab vergleichen?

Djassi: Ich würde Groupe RTD nicht mit beispielsweise dem Orchestra Baobab vergleichen, denn die Musiker sind tatsächlich vom Staat angestellt, es ist die nationale Radioband. In ihrer alltäglichen Arbeit spielen sie für Staatsempfänge, Events, die vom präsidialen Palast ausgerichtet werden. Da ist dann oft auch Propagandamusik, auch sehr nationalistische Musik dabei – „nationalistisch“ natürlich im Kontext eines ostafrikanischen Staates, der gerade mal 40 Jahre unabhängig ist und Ambitionen für die Zukunft hat.

Die Musik, die wir aufgenommen haben, ist die Musik, die sie nach Feierabend spielen, Musik, die sie alle lieben, aus ihrer Kindheit kennen, alte Songs, die sie reinterpretiert haben. Das ist das zweite Gesicht der Band. Ein bisschen wie bei der Bundeswehrkapelle, die ja auch sowohl staatstragende wie auch unterhaltende Musik spielt!

Djiboutis Musikkultur ist ein Knotenpunkt zwischen dem Sudan, Äthiopien und dem arabischen Raum. Wie äußert sich das in der Musik der Groupe RTD?

Djassi: Es gab immer schon historische Handels- und Kulturverbindungen zwischen Indien, dem Nahen Osten und Ostafrika. Den djiboutischen Staat gab es bis vor 40 Jahren noch gar nicht, Somalis leben in Ogaden in Äthiopien, Äthiopier in Somalia. Alle diese Kulturen sind miteinander verbunden, und deshalb sind es auch die Musikstile. Es gibt klassische 70er / 80er-Jahre Popmusik aus Somalia, in der man aber indische und arabische Einflüsse heraushört, und was sich für unsere Ohren nach Reggae anhören mag, geht auf den äthiopischen Danto-Stil zurück.

Zugleich hat die amerikanische Musikindustrie alles penetriert, das Radio hat dabei einen großen Einfluss gespielt. So kommt es, dass man neben den ganzen afrikanischen Einflüssen in der Musik von Groupe RTD auch den Funk eines James Brown ahnt. Und Mohammed Abdi Alto, der Saxophonist, hat sehr viel Charlie Parker und Harlem Jazz gehört. Was dagegen wirklich aus Djibouti kommt in ihrem Repertoire, das ist der Tadjoura-Rhythmus vom gleichnamigen Golf.

Welches sind die prägenden Musiker in der Groupe RTD?

Djassi: Im Zentrum steht zum einen die junge Sängerin Asma Omar. Sie wurde in einer Talentshow gecastet, die vom nationalen TV ausgerichtet wurde. Der Grandseigneur ist „Alto“, ein unglaublicher Saxofonist, aber auch Songwriter, Arrangeur, wirklich ein Vollblutmusiker. In dieser Zusammensetzung existiert die Band erst seit 2013, aber es gab Vorläufergruppen.

Wie kommt es, dass Djibouti bis heute eigentlich ein weißer Fleck auf der musikalischen Landkarte war und keine westlichen Produktionsteams ins Land gelassen wurden? Liegt das an der autokratischen Struktur?

Djassi: Hier würde man das wohl Diktatur nennen. Ich habe aber vor Ort nicht das Gefühl gehabt, dass irgendjemand ein Problem mit der Regierungsform oder dem Präsidenten hatte. Natürlich gibt es da Interna, aber zu denen kann ich nicht wirklich viel sagen. Ich habe jedenfalls nicht mit Leuten gesprochen, die sich negativ über den Präsidenten äußerten, habe aber auch nicht das Gefühl gehabt, dass es da irgendwie so einen unglaublichen Druck auf die Bevölkerung gibt wie in Eritrea.

Was die Abschottung betrifft: Die Djiboutier haben ein ganz klares Bewusstsein für ihr kulturelles Erbe, und natürlich sind sie darauf bedacht zu gucken: Wer hat Zugang zu diesem Erbe? Die Probleme, die durch die Anbindung mit Europa entstanden sind während der Kolonialzeit machen eben misstrauisch.

Wie haben Sie es geschafft, das Vertrauen der Verantwortlichen und der Musiker zu gewinnen?

Djassi: Wir entsprechen nicht dem altbekannten Bild vom weißen Mann, der Ressourcen extrahiert und sich dann wieder vom Acker macht. Ich bin Senegaldeutscher, Vik ist Inder. Uns geht es darum, die Musik dieses Landes zu präsentieren, aber gleichzeitig wollen wir etwas zurückzulassen, in diesem Fall war das eine Bandmaschine und ein Interface zur Digitalisierung. Wir nehmen auch keine Bänder oder Fotos mit. Wir sagen von Anfang an: Das gehört nicht nach Europa.

Es geht um Geben und Nehmen auf beiden Seiten. Ich habe immer schon gesagt, dass es bei Ostinato Records auch darum gehen sollte, kontemporäre Musik aufzunehmen, mit lebenden Künstlern zu arbeiten, weil das einfach eine andere Form von Dignity hat. Wir wollen das Narrativ vom armen, kriegsgebeutelten Afrika verändern. Wir halten das für extrem wichtig, um Machtillusionen, seltsame Vorstellungen von Geschichte zu revidieren.

Das Gespräch führte Stefan Franzen.

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