Nur Mittel zum Zweck

Ausgerechnet die AfD, die mit Antisemitismus Schlagzeilen macht, soll für Juden attraktiv sein? Juden in Deutschland sollten auf keinen Fall die Nähe der Rechtspopulisten suchen, sondern sich um ein Bündnis mit anderen bedrohten Minderheiten bemühen, meint der Publizist Armin Langer in seinem Kommentar.

Von Armin Langer

Juden in der AfD? Das hört sich zunächst einmal absurd an - beweist die Partei doch immer und immer wieder, dass sie ein Antisemitismus-Problem hat: Die AfD ist die Partei, die laut ihrem Grundsatzprogramm ein Schächtverbot einführen und damit das Leben vieler Juden schwerer machen will.

Sie ist die Partei, deren Fraktionsvize in der Bezirksverordnetenversammlung von Berlin-Marzahn "die kluge Politik des Reichsprotektors Reinhard Heydrich", dem Organisator der Wannseekonferenz zur "Endlösung der Judenfrage" lobt. Oder deren Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag, Björn Höcke, das Holocaust-Mahnmal in Berlin als "Denkmal der Schande" bezeichnet und eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" fordert - womit nur einige der antisemitischen Skandale der vergangenen Jahre genannt sind.

Und trotzdem bietet sich ausgerechnet diese AfD als Wahloption für Juden an: Weil sie den antisemitischen Gewalttaten von arabischstämmigen Jugendlichen besondere Aufmerksamkeit schenkt und sich für die Einschränkung der Zuwanderung aus dem islamischen Kulturraum einsetzt.

Zweifelhafte Verbündete

Das Phänomen der rechtspopulistischen Parteien, die sich als Verbündete der jüdischen Gemeinden inszenieren, ist nicht neu, sondern überall in Europa zu beobachten. Marine Le Pen, Chefin des französischen "Rassemblement National", der bis Juni 2018 "Front National" hieß, drückt ihre Sympathie mit Benjamin Netanjahus Likud aus, Geert Wilders von der niederländischen "Partei für die Freiheit" nutzt seine Israel-Reisen für den selben Zweck.

Laut dem österreichischen FPÖ-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache tritt seine Partei dem Judenhass entschieden entgegen. Und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán begründet seine migrationsgegnerische Agenda unter anderem mit seinem angeblichen Kampf gegen den Judenhass. Einer ähnlichen Strategie folgen auch andere rechte Parteien wie die Schwedendemokraten, die belgische "Vlaams Belang" oder die italienische "Lega Nord".

Proteste in Frankfurt am Main gegen die Gründung der Vereinigung "Juden in der AfD"; Foto: picture-alliance/dpa
Proteste gegen Gründung der Vereinigung "Juden in der AfD": Nach Darstellung der früheren Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, stelle die AfD eine Gefahr für das jüdische Leben dar. Der am Sonntag in Wiesbaden gegründete Zusammenschluss der "Juden in der AfD" diene lediglich als Feigenblatt. Die AfD-Mitglieder jüdischen Glaubens würden "von der AfD missbraucht".

Doch die Maske fällt überall früher oder später: Orbán führt seit Jahren eine Kampagne gegen den amerikanisch-jüdischen Investor George Soros, der diverse Menschenrechtsorganisationen finanziert, und wirft ihm vor, Europa durch die Förderung einer Islamisierung "entchristianisieren" zu wollen.

Diese Verschwörungstheorie operiert mit dem Klischee des jüdischen Marionettenspielers, der die Weltpolitik aus dem Hintergrund bestimmt. Auch der Wiener FPÖ-Fraktionsvorsitzenden Johann Gudenus glaubt daran, dass Soros "mit viel Kapitalmacht versucht habe, alle möglichen Umwälzungstendenzen zu finanzieren". Diese antisemitische Verschwörungstheorie wird auch vom Portal "Die Freie Welt" verbreitet, das zum Netzwerk "Zivile Koalition" gehört, das wiederum von der stellvertretenden AfD-Fraktionschefin Beatrix von Storch betrieben wird.

Eine Allianz zwischen Juden und Rechtspopulisten kann langfristig gar nicht funktionieren. Denn Rechtspopulisten setzen sich gegen den Antisemitismus nur dann ein, wenn sie dadurch für ihre migrationsfeindliche Agenda werben können. Um Juden geht es schon gar nicht. Die AfD gründet eine jüdische Gruppe auch nicht aus dem Grund, weil ihr Juden als Wählergruppe wichtig wären. Die Zahl der Juden in Deutschland ist viel zu gering dafür.

In Wirklichkeit geht es allein um Nichtjuden, die ihre Angst vor einer vermeintlichen islamischen Landnahme mit der Angst der Juden vor dem muslimischen Antisemitismus rechtfertigen wollen. Juden sind hier lediglich Mittel zum Zweck.

Bündnis mit anderen Minderheiten suchen

Ginge es der AfD tatsächlich um die Abwehr von Judenfeindlichkeit, müsste sie auch den Antisemitismus innerhalb der Partei und unter angestammten Deutschen anprangern. Sie fokussiert aber allein auf antisemitische Straftaten, die von Zuwanderern begangen werden. Gleichzeitig haben in der Partei alle natürlichen Gegner der Juden ein Zuhause: von antisemitischen Verschwörungstheoretikern über Relativierer bis hin sogar zu Leugnern der Shoa.

Juden in Deutschland und Europa sollten deswegen auf keinen Fall die Nähe der Rechtspopulisten suchen, sondern sich um ein Bündnis mit anderen marginalisierten und von Rechtspopulisten bedrohten Minderheiten bemühen - nicht zuletzt auch mit Muslimen.

Denn Initiativen, welche die Religionsfreiheit der Minderheiten bedrohen - wie zum Beispiel die von der AfD geforderte Einschränkung des koscheren und Halal-Schächtens - könnten die jüdischen und muslimischen Gemeinschaften sehr bald schon gemeinsam herausfordern.

Armin Langer

© Deutsche Welle 2018

Armin Langer, Jahrgang 1990, studierte Philosophie und jüdische Theologie. Er ist Autor des Buches "Ein Jude in Neukölln - Mein Weg zum Miteinander der Religionen" und Herausgeber des Sammelbandes "Fremdgemacht & Reorientiert".