Pressefreiheit unter Beschuss

Der Journalist Levent Uysal überlebte einen heimtückischen Mordanschlag. Der Fall zeigt: Das Umfeld für türkische Pressevertreter war selten so gefährlich. Dennoch unternimmt die Regierung wenig, um sie zu schützen. Deger Akal informiert.

Von Deger Akal

Drohungen, Körperverletzungen oder sogar bewaffnete Angriffe - die Zahl der türkischen Journalisten, die das erleben müssen, steigt. Einer der jüngsten Fälle ereignete sich Ende August in der westtürkischen Großstadt Balıkesir: Levent Uysal, Herausgeber der Nachrichtenseite Yenigün, hatte gerade sein Haus verlassen, als zwei Männer mit Helmen auf einem Motorrad das Feuer auf ihn eröffneten: Sechs Schüsse gaben sie ab, bevor sie davonrasten, berichtete Uysal. Offenbar hatten sie ihm aufgelauert.

Uysal hatte Glück im Unglück: Nur eine Kugel erreichte ihr Ziel und verletzte ihn am Fuß. Sein Gesundheitszustand habe sich schnell wieder verbessert, berichtet der Journalist. Schlimmer sei für ihn: Er fühlt sich von der Stadtverwaltung alleine gelassen. Zwar hätten die verantwortlichen Polizisten Tag und Nacht versucht, das Attentat aufzuklären, doch der Gouverneur der Stadt habe sich kaum um den Fall gekümmert, sagt Uysal. "Er hat mich nicht einmal angerufen, um mir seine Genesungswünsche auszurichten. Das hätte ich schon erwartet. Ich habe so einen Verdacht und hoffe, dass er sich nicht bewahrheitet."

Kritische Berichterstattung wird zum Verhängnis

Uysal hat darüber geschrieben, wie Vertreter der Stadtverwaltung von Balıkesir ihren Verwandten saftige Renten zuschanzten. Deshalb geht er davon aus, dass seine Arbeit der Hauptgrund für den Mordanschlag war: "Meine Artikel in den letzten Monaten waren unbequem, das hat sie sicherlich gestört. Aber unangenehme Fragen zu stellen, Lügen aufzudecken und zu informieren, ist meine Pflicht als Journalist."

Auch Harlem Désir, Beauftragter für Medienfreiheit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), hat die türkischen Behörden aufgefordert, den Angriff auf Uysal aufzuklären und die Verantwortlichen schnellstmöglich vor Gericht zu stellen. "Gewalttaten gegen Journalisten nehmen in der Türkei eine besorgniserregende Entwicklung", sagt Désir. Allein seit Mai habe es sechs Angriffe auf Journalisten gegeben. "Wir müssen diesen Trend stoppen und ein sicheres Umfeld für Journalisten gewährleisten, sodass sie ihrer Arbeit wieder ungestört nachgehen können."

Erol Önderoglu, Vertreter von Reporter ohne Grenzen in der Türkei, Foto: Getty Images/AFP
"In der Türkei befindet sich zurzeit der Schutz des Lebens von Journalisten auf einem Minimum", warnt Erol Önderoglu, Vertreter von Reporter ohne Grenzen in der Türkei. Gegen ihn hat die türkische Staatsanwaltschaft inzwischen Berufung gegen seinen Freispruch vom 17. Juli 2019 eingelegt. Önderoglu wird die Teilnahme an einer Solidaritätskampagne für die inzwischen geschlossene pro-kurdische Tageszeitung "Özgür Gündem" vorgeworfen.

Laut BIA Media Monitoring Report wurden im ersten Halbjahr zehn Journalisten angegriffen, drei von ihnen wurden getötet. Letzte Woche dann erregte der Fall von Ümit Uzun - Journalist bei der Demirören-Nachrichtenagentur (DHA) - in der türkischen Öffentlichkeit Aufmerksamkeit: Polizisten verprügelten ihn und legten ihm anschließend Handschellen an, als er einen Verkehrsunfall melden wollte. Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen verweist darauf, dass die Türkei weltweit eines der unfreisten Länder für Pressevertreter ist. Die NGO führt die Türkei in ihrem 2019 erschienenen "World Press Freedom Index" auf Rang 157 von 180 Ländern.

Die gefährlichen Bedingungen und zunehmenden Angriffe auf Journalisten alarmieren auch internationale Medienorganisationen. 20 internationale Medienhäuser, die sich auf internationaler Ebene für Pressefreiheit einsetzen - darunter auch Reporter ohne Grenzen und das International Press Institute (IPI) - haben sich mit einem Schreiben an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gewandt. In dem gemeinsamen Brief verurteilen sie die zunehmenden Angriffe auf Journalisten und fordern die türkische Politik auf, Verantwortliche vor Gericht zu stellen.

Doch der Aufruf sei von dem Regierungsbündnis aus der nationalistischen MHP und der islamisch-konservativen AKP nicht beachtet worden, sagt der Türkei-Berichterstatter von Reporter ohne Grenzen, Erol Önderoglu: "Die Haltung der Regierung und der Behörden ist verantwortungslos. Denn gerade seit den Kommunalwahlen am 31.März 2019 gibt es eine sich ausbreitende Gewalt gegen Journalisten. Es sieht für mich danach aus, dass eine angemessene Aufarbeitung nicht gerade gewünscht ist." Auch die Gewalt der Polizei habe ein gefährliches Klima geschaffen. "In der Türkei befindet sich zurzeit der Schutz des Lebens von Journalisten auf einem Minimum", warnt Önderoglu.

Arbeitslosigkeit als zusätzliches Problem

Neben physischer Gewalt belastet ein weiteres existenzielles Problem Journalisten in der Türkei. Wie Tausende seiner Kollegen hat auch Uysal mit wirtschaftlichen Engpässen zu kämpfen. Als seine Zeitung kurz vor dem Bankrott stand, entschied er, nur noch online zu publizieren. "Es gibt kaum Unterstützung von meiner Gemeinde, deswegen können wir uns kaum über Wasser halten", klagt er.

Laut Zahlen des Türkischen Statistikinstituts (TÜIK) waren Journalisten 2018 nach Sozialarbeitern die Berufsgruppe, die am zweithäufigsten von Arbeitslosigkeit betroffen waren. In nur einem Jahr ist die Zahl der arbeitslosen Journalisten um 4,7 Prozentpunkte auf 23,8 Prozent angestiegen. Die Branche wird von stetig wachsenden Medienkartellen beherrscht.

Die Pluralität bleibt dabei auf der Strecke. Im Juli 2016 führte der Putschversuch zu massenhaften Schließungen von Medien- und Pressehäusern. Die Schwächung der Gewerkschaften in der Türkei hat das Problem weiter verschärft.

Deger Akal

© Deutsche Welle 2019