Schnittstelle der Musikkulturen

Die Geschichte des Jazz im Iran ist eng verknüpft mit der Zunahme ausländischer Musikeinflüsse in den 1960er Jahren. Später verhalf der iranische Rundfunk dem Jazz zu überschaubarer Popularität – bis zur Islamischen Revolution, in deren Folge nichtreligiöse Musik geächtet wurde. Von Bernd G. Schmitz

Von Bernd G. Schmitz

Wer es sich heutzutage im Café des Museums für zeitgenössische Kunst in Teheran bei Tee und Gebäck gut gehen lässt, wird dazu häufig Musik von Duke Ellington oder Ella Fitzgerald im Hintergrund hören. Die "First Lady of Swing" galt schon bei den iranischen Bildungsbürgern Ende der 1960er Jahre als schick. In den Sommerfrischen der Reichen in Mazandaran am Kaspischen Meer wurde deshalb auch viel Jazz gespielt, zum Beispiel im berühmten Hotel "Motel Qoo" in Salmanshahr.

Allerdings gab es anfangs ein Missverständnis, was den Begriff Jazz betraf – von Iranern übrigens wie "Jaaz" ausgesprochen. "Weil man im Schlagzeug das wesentliche Instrument dieser für Iraner neuen Musikrichtung sah, nannte man eine Zeitlang jede Musik, in der ein solches vorkam, Jazz", berichtet Ramin Sadighi, Musikproduzent in Teheran. "So wurde zum Beispiel Vigen, einer der größten iranischen Popstars jener Zeit, in der Wahrnehmung vieler seiner Landsleute als 'Sultan of Jazz' verklärt, nur weil in seiner Band ein Schlagzeuger mitspielte."

Ölboom und erste Jazzclubs

Für Sadighi beginnt die Geschichte der im Iran gespielten Jazzmusik in den frühen 1960er Jahren: "Damals boomte die Ölindustrie im Land, vor allem in der Provinz Chuzestan im Südwesten Irans. Die Förderung wurde überwiegend von britischen und US-amerikanischen Firmen betrieben. Für deren Arbeiter gab es eigene Clubs – z.B. in Ahwas, Chorramshahr und Abadan, in denen auch Jazzmusik gespielt wurde."

Die in London lehrende Musikwissenschaftlerin Laudan Nooshin beschreibt in ihrem Beitrag für das 2017 erschienene Buch "Jazz World/World Jazz" das Genre Jazz zwar als Randerscheinung der iranischen Musikszene, im Vergleich zur Popmusik, attestiert aber, dass dessen damals zunehmende Verbreitung ins Kalkül von Schah Mohammad Reza Pahlavi passte, aus dem Iran einen säkularen Staat westlich-kapitalistischer Prägung zu machen.

In dieser Phase waren Gastspiele internationaler Musikstars natürlich gern gesehen. Für diese schien eine Reise in den Iran andererseits auch Inspiration zu sein. Einer von Ihnen war der US-amerikanische Schlagzeuger Max Roach, der dort mit traditionellen iranischen Perkussionisten zusammenarbeitete und 1969 beim renommierten Shiraz-Kunstfestival auftrat.

Duke Ellington in Isfahan

Bereits 1963 gab Duke Ellington im Rahmen einer vom US-Außenministerium gesponserten Asien-Tournee auch Konzerte in Abadan und Isfahan. Drei Jahre später erschien sein Album "Far East Suite", in dessen Musik sich die auf der Konzertreise gesammelten Eindrücke wiederfinden, unter anderem im Stück "Isfahan".

Doch was bedeuteten die Besuche solcher Musikerpersönlichkeiten für die Entwicklung einer eigenen iranischen Jazzszene? Gab es überhaupt iranische Jazzmusiker in jener Zeit? Dazu Ramin Sadighi: "Doch, die gab es. Allerdings waren das Coverbands, die Stücke wie 'Take Five' von Dave Brubeck spielten. So etwas kam damals gut an. In den 1970er Jahren orientierten sich viele dieser Gruppen neu. Manche wandten sich dem Rock'n Roll zu, andere blieben beim Jazz, bewegten sich aber überwiegend im Bereich der Standards, wozu auch Big-Band-Jazz gehörte."

Kurosh Ali Khan und das iranische Fernsehen

Dass sich der musikalische Horizont vieler dieser Künstler weitete, ist letztlich wohl auch Lloyd Miller zu verdanken, einer Schlüsselfigur in der iranischen Jazzgeschichte. Der 1938 in Glendale (USA) geborene amerikanische Musikethnologe, Komponist und Multiinstrumentalist forschte ab 1970 sieben Jahre lang im Iran und gestaltete eine eigene Jazz-Sendung im staatlichen iranischen Fernsehsender NIRT.

Unter dem Pseudonym "Kurosh Ali Khan" lotete er darin die Grenzen traditioneller iranischer und moderner westlicher Musik aus, spielte selbst Klavier, Klarinette und unterschiedlichste persische Perkussions- und Saiteninstrumente, improvisierte lustvoll mit iranischen und nichtiranischen Kollegen und machte auf diese Weise das Verbindende scheinbar gegensätzlicher Musikkulturen sicht- und hörbar.

Auch wenn es seither weitere Facetten des von Iranern gespielten Jazz gibt, mag Ramin Sadighi nicht von einer speziellen akustische Handschrift persischer Jazzmusiker sprechen, zumal nichtreligiöse Musik nach der Islamischen Revolution von 1979 mehr als ein Jahrzehnt gänzlich verboten war.

"Erst in den 1990er Jahren, als sich die Regeln lockerten, CD-Importe aus dem Ausland erlaubt wurden und man Tonträger von Keith Jarrett und Jan Garbarek kaufen konnte, änderte sich das. Zu behaupten, dass es heute einen für den Iran typischen Jazz gäbe, wäre aber falsch. Allerdings gibt es Elemente aus der traditionellen persischen Musik und deren Modalsystem, die in den im Iran gespielten Jazz einfließen können. Auch im Rhythmus finden sich gelegentlich Spuren persischer Musik wieder."

Zwischen Jazz und Chanson

Eine Band, deren Alben von Ramin Sadighi produziert werden, heißt "Quartet Diminished". Sadighi zählt sie zum Genre des "Progressive Jazz". Aber auch bei iranischen Gruppen, die sich nicht originär als Jazzbands verstehen, finden sich heute vielfach Spuren von Gypsy Swing, Klezmer und anderer dem Jazz verwandten Musik, wie bei der im Iran und unter Exiliranern populären "Palett Band" aus Teheran.

Dieser Austausch zwischen der Musikszene Irans und den exil-iranischen Communities Amerikas und Europas ist auch bei anderen Künstlern und Künstlerinnen zu beobachten. Die Jazz- und Blues-Sängerin Rana Farhan zum Beispiel, lebt zwar in New York, ihre Texte weisen aber überwiegend Bezüge zur alten Heimat und der persischen Dichtkunst auf.

Und mit der Band "Paaz", ein von der Sängerin Maryam Akhondy in Köln geformtes internationales Musikerkollektiv, schließt sich der Kreis: Die Band spielt Neubearbeitungen bekannter Kompositionen aus der Frühzeit des iranischen Radios, musikalisch angesiedelt an der Schnittstelle zwischen Jazz und Chanson.

Anders als ihre männlichen Kollegen dürfen allerdings weder Farhan noch Akhondy im Iran auftreten – dort ist nämlich solistischer Frauengesang auch 29 Jahre nach der Islamischen Revolution immer noch verboten.

Bernd G. Schmitz

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