Muslime und die Trauer nach dem Anschlag in Nizza

In Nizza verurteilen Muslime das Attentat auf die Basilika Notre-Dame. Gleichzeitig ist der Frust groß, dass manche den Täter mit gläubigen Menschen gleichsetzen, die genauso trauern wie alle Franzosen. Marina Strauß berichtet aus Nizza.

Von Marina Strauß

"Schwarz oder mit Zucker?", fragt Khalid und verschwindet um die Ecke. Mit Kaffees für das DW-Team in der Hand gesellt er sich wieder zu seinen Freunden Hassan und Mouhcine, die auf dem Bürgersteig stehen.

Alle drei haben marokkanische Wurzeln, sind muslimischen Glaubens, wohnen seit einigen Jahren hier im Viertel L'Ariane im Osten Nizzas. Viele Menschen, die selbst oder deren Eltern oder Großeltern aus nordafrikanischen Ländern nach Frankreich eingewandert sind.

"Schrecklich. Jeder hier denkt, dass es schrecklich ist", sagt Khalid als man ihn nach dem Anschlag fragt. Am vergangenen Donnerstagmorgen hatte ein 21-jähriger Tunesier drei Menschen in der Basilika Notre-Dame im Zentrum Nizzas ermordet. Einen davon, den Küster der Kirche, habe er gekannt, erzählt Khalid. "Wir haben manchmal einen Kaffee zusammen getrunken gegenüber von Notre-Dame."

Der Täter von Donnerstag habe nichts mit ihnen zu tun, nichts mit dem Islam, sind sich Khalid und seine Freunde einig. "Ein Verrückter", sagt Mohammed, der mit zwei Baguettes unter dem Arm zu der kleinen Gruppe stößt.

"Ich will mich nicht immer rechtfertigen müssen"

Nach ein paar Minuten kommt Karim auf seinem weißen Roller angebraust und bremst scharf: "Sie sind Journalistinnen?" Alle hier seien traurig wegen des Anschlags, sagt er. Aber er sei verärgert, dass viele Medien, vor allem Fernsehsender, keinen Unterschied machen würden zwischen diesem Attentäter und Muslimen. Nicht nur dieses Mal, sondern immer nach einer islamistischen Attacke. "Ich will mich nicht immer rechtfertigen müssen, obwohl ich nichts damit zu tun habe", sagt Karim, der wie die anderen Männer seinen Nachnamen lieber für sich behalten will.

An dieser Straße in L'Ariane, Nizza, treffen sich Khalid und seine Freunde. Auf das Foto wollten sie nicht. Foto: DW/Marina Strauß
"Wir sind Franzosen": Die fünf Männer an der Straßenecke in L'Ariane fühlen sich von Macrons Worten angegriffen. Sie respektierten den Rechtsstaat, arbeiteten und zahlten Steuern, sagen sie. Jetzt hätten sie das Gefühl, sie seien hier nicht mehr erwünscht

Der französische Präsident würde zusätzlich Öl ins Feuer gießen, sagen sie. Emmanuel Macron hatte nach der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty Mitte Oktober Mohammed-Karikaturen als Zeichen der freien Meinungsäußerung verteidigt. Eine Reaktion, die heftige Proteste in Teilen der muslimischen Welt ausgelöst hat.

Auch für die fünf Männer in L'Ariane sind Karikaturen, die die Gefühle von Gruppen verletzten, nicht akzeptabel - seien es Muslime, Christen oder Juden.

Ein paar Straßen weiter zieht Nedjma Benabed einen Einkaufs-Trolley hinter sich her. In Algerien geboren, lebt sie seit 35 Jahren in Frankreich, beschreibt sich als gläubige Muslima. Die Karikaturen seien ihr egal, sagt sie. Man wisse sowieso nicht, wie der Prophet Mohammed aussähe. "Aber manchen Menschen tut es weh. Warum kann man es dann nicht einfach lassen?"

Für Präsident Macron findet sie nettere Worte als die fünf Männer: "Ich gebe ihm Recht. Wir müssen etwas tun." Zum Beispiel: "Menschen, die illegal hierherkommen, müssen zurückgeschickt werden."

Macron: Frankreich hat ein Problem mit dem radikalen Islam

Die Gespräche in L'Ariane zeigen, wie schwierig es ist, Antworten zu finden: auf den mutmaßlich islamistischen Anschlag in Nizza und auf die, die ihm vorausgegangen sind. Wie kann man solche Exzesse der Gewalt verhindern, was tun, damit sich Mitglieder der muslimischen Gemeinde nicht radikalisieren? Und gleichzeitig dafür sorgen, dass Muslime keinem Generalverdacht ausgesetzt sind?

Nedjma Benabed aus L'Ariane sagt, jeder solle so leben, wie er es für richtig halte und die Religion des anderen respektieren. Foto: DW/Marina Strauß
Pragmatisch geblieben: Geboren in Algerien, lebt Nedjma Benabed seit 35 Jahren in Frankreich, beschreibt sich als gläubige Muslima. Die Karikaturen seien ihr egal, sagt sie. Man wisse sowieso nicht, wie der Prophet Muhammad aussähe. "Aber manchen Menschen tut es weh. Warum kann man es dann nicht einfach lassen?"

Die Antwort des Präsidenten darauf ist ein Plan gegen "islamistischen Separatismus", den er Anfang Oktober vorgestellt hat. Frankreich habe ein Problem mit dem radikalen Islam, verkündete Macron damals. Und dieses Problem solle nun mit mehr Kontrolle über Bildung, Moscheen und Vereine angegangen werden.

Macron zufolge untergrabe der politische Islam in Frankreich den Laizismus, also die strenge Trennung zwischen Religion und Staat. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Ifop im September gaben 40 Prozent der befragten französischen Muslime an - die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in Frankreich - ihren Glauben über die Werte der Republik zu stellen. Bei den Franzosen insgesamt waren dies 17 Prozent.

Die Rede Emmanuel Macrons ging Rechten nicht weit genug, linke politische Kräfte sahen darin hingegen eine generelle Stigmatisierung des Islam. Vielen Muslimen stieß vor allem eines sauer auf: Dass der französische Präsident dem Islam attestierte, "auf der ganzen Welt" in der Krise zu sein.

Die fünf Männer an der Straßenecke in L'Ariane fühlen sich von solchen Worten angegriffen. Sie respektierten den Rechtsstaat, arbeiteten und zahlten Steuern, sagen sie. Ihre Eltern, ihre Großeltern seien nach Frankreich gekommen oder vom französischen Staat geholt worden, um das Land nach den Kriegen aufzubauen. Jetzt hätten sie das Gefühl, sie seien hier nicht mehr erwünscht. "Wir sind Franzosen", sagt Mohammed mit den Baguettes unter dem Arm.

Marina Strauß

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