Frustration und Misstrauen

Sayed Mahmud, ägyptischer Journalist aus Kairo, beschreibt in einem Interview mit Qantara.de die komplizierte Stimmungslage der ägyptischen Bevölkerung ein Tag vor dem Ausbruch des Krieges gegen den Irak.

Welche Stimmung herrscht derzeit, ein Tag vor einem erwarteten Krieg gegen den Irak, in Ägypten, unter den einfachen Leuten, aber auch unter den Intellektuellen?

Sayed Mahmud: Ich glaube, dass ein Gefühl der Frustration die ägyptische Straße beherrscht. Es gibt sicherlich eine deutliche Sympathie für die irakische Seite, insbesondere nachdem sich eine internationale öffentliche Meinung gegen den Krieg herauskristallisiert hat, vor allem in Europa. Und nachdem die UNO-Waffeninspektoren keinen definitiven Nachweis über den Besitz von Massenvernichtungswaffen führen konnten. Das Gefühl der Frustration nimmt, angesichts der Position wichtiger arabischer Länder, die den Krieg nicht kategorisch ablehnten, sogar noch zu. Der normale Bürger in Ägypten spricht auch über die zwielichtige Rolle, die einige arabische Länder spielen, um den amerikanischen Truppen ihre Aufgabe zu erleichtern. Einige reden auch über den Verrat einiger Golfstaaten. Es besteht auch Unklarheit über die Rolle Ägyptens, und viele bedauern, dass „die Führungsrolle“, die ihr Land in der Vergangenheit oft gespielt hat, beendet sei.

In letzter Zeit hatte ein Lied des bekannten ägyptischen Sängers Schaban Abdulrahim große Popularität, das über eine amerikanische Verschwörung spricht und über die Verantwortung Saddams und den Wunsch, einen erfolgreichen arabischen Gipfel abzuhalten, der den Krieg verhindern könnte. Die Popularität dieses Sängers beruht auf einem Lied mit dem Titel: „Ich liebe Amr Musa und hasse Israel“. Das Lied wird zurzeit auf vielen arabischen Satellitenkanälen ausgestrahlt, auch im irakischen Fernsehen, nachdem eine Passage über Saddam gestrichen wurde. Der politische Experte Salama Ahmad Salama, der auch für die ägyptische Tageszeitung Al-Ahram schreibt, sieht in dem Lied exakt die Stimmung der ägyptischen Straße angesichts der Irak-Krise widergespiegelt. Es gibt allerdings auch eine Art Bewunderung gegenüber der syrischen Position, die den Krieg und die amerikanischen Vorwände konsequenter ablehnt.

Die Zeitungen, die von der Elite gelesen werden, wie z.B. Akhbar Al-Adab, schreiben über „Das arabische Unvermögen“. Die Boulevard-Presse, wie etwas die Zeitung Al-Usbu, spricht dagegen über „Eine Weltverschwörung, die von der Achse des Bösen betrieben wird“. Damit sind die USA und Großbritannien gemeint.

Trotz alledem spiegeln die Antikriegsdemonstrationen nicht das Maß des Volkszornes wider. Das ägyptische Regime hatte Erfolg damit, den Zorn in Veranstaltungen zu verwandeln, in denen das Regime bejubelt wird. Das beste Beispiel ist die Demonstration, die von der regierenden Partei im Stadion von Kairo unter der Leitung von Gamal Mubarak, dem Sohn des Präsidenten, veranstaltet wurde. Alle anderen Demonstrationen sind von den Sicherheitskräften eingedämmt und kontrolliert worden.

Die Haltung der Intellektuellen liegt etwa zwischen der Position, die zu Saddams Abdankung und zur Abhaltung von Wahlen unter Beobachtung der UNO aufruft, und ähnelt damit der Position vieler Exiliraker. Auf der anderen Seite rufen einige den Irak zum Durchhalten auf und zur Ablehnung des zionistischen und amerikanischen Plans, den Irak aufzuteilen und zu besetzen. Diese Haltung wird insbesondere von den Berufsverbänden und den Gewerkschaften der Journalisten und Rechtsanwälte vertreten, in denen die Islamisten und Nationalisten die Mehrheit haben.

Wie wird die europäische Position in der Irak-Krise bewertet?

Mahmud: Man kann natürlich aufgrund der Loyalität Großbritanniens, Spaniens und Italiens zu der amerikanischen Kampagne nicht von einer einheitlichen europäischen Position sprechen. Im Internet findet man jedoch Witze und Karikaturen, die Blair als George Bushs Hund darstellen. Bewunderung gibt es für die deutsche Haltung, die den Krieg ablehnt und sich beim Wiederaufbau des Iraks engagieren will. Genauso wird auch die Position Frankreichs und Russlands bewundert, die mit ihrem Veto-Recht gedroht haben. Aber man spricht auch über die neuerliche Präsenz Frankreichs in der Region mit ihrem de Gaulle-Erbe und mit einem größeren Engagement Russlands für die arabische Sache, so wie es früher einmal war. Die Presse und die öffentliche Meinung betonen die Anti-Kriegs-Positionen. Es gibt aber auch Hinweise darauf, dass sie nichts mit der Solidarität mit der arabischen Sache zu tun hätten. Sie seien eher Ausdruck europäischer Ängste vor einer Weltordnung, die allein von den USA angeführt wird, und damit die Interessen Frankreichs und Deutschlands bedrohen. Diese beiden Länder streben ja auch eine internationale Rolle an, die ihrer politischen und wirtschaftlichen Stärke entspricht.

Wie sieht es mit dem Antiamerikanismus aus? Wird er deutlich geäußert?

Mahmud: Es existiert eine deutliche Feindschaft gegenüber den USA. Sie ist mindestens seit den letzten drei Jahren zu beobachten, in denen Israel Massaker in den palästinensischen Gebieten verübte. Der arabische Bürger verbindet die israelische Stärke mit dem amerikanischen Schweigen. Er sieht die Amerikaner als Komplizen Israels an. Man muss auch sagen, dass es Mitgefühl mit den Opfern des 11. September gegeben hat, aber noch mehr Mitgefühl mit den Opfern der amerikanischen Kampagne gegen den so genannten Terror in Afghanistan. Für die Ägypter ist die USA jetzt der größte terroristische Staat. Es gibt Bilder auf ägyptischen Websites, die Bush als James Bond darstellen oder als Cowboy. Ständig wird auch in den seriösen Zeitungen über den Einfluss der Zionisten auf die amerikanische Administration gesprochen, die für Washingtons araberfeindliche Politik verantwortlich sind.

Welche Erwartungen werden an Europa gerichtet?

Mahmud: Die Ägypter wünschen sich eine größere Rolle der Europäer. Denn dadurch könnte der amerikanische Einfluss zugunsten der arabischen Sache zurückgeschraubt werden. Vielleicht sehen auch manche in Frankreich und Deutschland einen Ersatz für die frühere Rolle der Sowjetunion und denken, dass der relative Widerspruch zwischen den europäischen und amerikanischen Interessen den Arabern einen größeren Spielraum bei der Bewältigung der Krisen gäbe.

Was denken die Ägypter über die Friedensdemonstrationen in vielen europäischen Staaten?

Mahmud: Einerseits gibt es Bewunderung für das europäische Gewissen, das sich in diesen Demonstrationen geäußert hat, insbesondere die Demonstrationen in Großbritannien, die Blairs Popularität geschadet und seine Regierung in eine schwierige Lage gebracht haben. Andrerseits führt die Bewunderung auch zum Vergleich zwischen dem Recht des europäischen Bürgers auf der einen Seite, gegen den Krieg zu demonstrieren – ein Krieg, der sich, nach dem amerikanischen Vokabular, gegen einen terroristischen Staat richtet – und auf der anderen Seite des arabischen Bürgers, der dieses Recht in seinem Land, das mit Irak kulturell, national und religiös verbunden ist, nicht hat. Dieser Vergleich zeigt ganz deutlich die elende Lage der arabischen Regime und ihre repressive Seite.

Wer ist, nach Meinung der ägyptischen Intellektuellen, verantwortlich für diese gefährliche Krise?

Mahmud: Ich glaube, dass die Bürger in Ägypten die Frage nach dem Verantwortlichen für diese Katastrophe hinter sich gelassen haben. Alle meinen, dass es sich um eine amerikanisch-britische Verschwörung handele, die kolonialistischen Zielen diene. Auch in den intellektuellen Kreisen, die der amerikanischen Kultur nahe stehen, wird nicht mehr akzeptiert, dass man über die Blutrünstigkeit des Regimes von Saddam Hussain spricht, weil das sofort als ein Vorwand gedeutet wird, der zu einer amerikanischen Intervention aufruft. Und diesen Verdacht lässt man ungern auf sich sitzen. Es ist mittlerweile überall schwierig geworden, sich zugunsten einer amerikanischen Intervention zu äußern, auch wenn sie die Rettung des Iraks von der Diktatur zum Ziel hat.

Andere Intellektuelle sprechen über die Verantwortung der Kultur der Unterdrückung, die diese Art Regime schafft. Sie führten dann ihre Völker in Abenteuer und ständige Konfrontationen mit den Großmächten, und zwar mit einem einzigen Ziel: die Bestätigung ihrer Führungsmanie. Man hört auch Stimmen, die nicht nur die Abdankung Saddam Hussains fordern, sondern auch die Abdankung von anderen Führern, die nach der Unabhängigkeit diese Systeme ins Leben gerufen haben. Auf der gleichen Ebene stehen die Regime, die mit den Amerikanern zusammenarbeiten. Damit sind natürlich die Golfstaaten gemeint und die revolutionären Regime, die die amerikanische Intervention ablehnen, um ihre Legitimität, die sich auch auf den Konflikt mit dem amerikanischen und zionistischen Westen stützen, begründen.

Interview: Mona Naggar

Übersetzung aus dem Arabischen: Qantara.de

© 2003, Qantara.de

Sayed Mahmud ist ägyptischer Journalist; er arbeitet für die ägyptische Zeitung Al-Ahram ad-Dauli und für Al-Hayat und lebt in Kairo.