Die ledigen Mütter von Marrakesch

Ledige Mütter erfahren in Marokko bis heute gesellschaftliche Diskriminierung. Sie fordern ein traditionelles Familienbild heraus, das jedoch längst nicht mehr der Realität entspricht. Das Projekt "Amal" in Marrakesch unterstützt die Mütter, die oft zu den Ärmsten der Gesellschaft gehören. Von Claudia Mende

Von Claudia Mende

Das Klappern der Töpfe ist verstummt und die Küche aufgeräumt. Es ist Mittagspause im Trainingszentrum. Die Auszubildenden sitzen rund um einen großen Tisch im Freien. Die Sonne wärmt sie gnädig, ohne zu verbrennen. In ihren weißen Kitteln, orangen Schürzen und schwarzen Kopftüchern essen sie jetzt erst einmal selbst.

Rund 35 Frauen pro Lehrgang machen bei der gemeinnützigen Organisation "Amal" eine Ausbildung zur Köchin. Sie lernen marokkanische Gerichte wie Couscous und Tajine (Eintöpfe) zuzubereiten, aber auch die Klassiker der internationalen Küche wie Pizza und Nudelgerichte. Daneben stehen Süßspeisen, Kuchen und Service auf dem Programm. Nur Witwen, Waisen, Geschiedene und Alleinerziehende, die unter der Armutsgrenze leben und Kinder haben, dürfen an diesem Programm teilnehmen. Für viele ist es die erste Ausbildung in ihrem Leben, manche können noch nicht einmal Lesen und Schreiben.

Amal bedeutet Hoffnung – und Zuversicht brauchen diese alleinstehenden Frauen, denn sie haben es in der marokkanischen Gesellschaft besonders schwer. Sie müssen nicht nur materiell ohne den Rückhalt einer Familie auskommen. Geschiedene und ledige Mütter haben zusätzlich mit Diskriminierung zu kämpfen. Bis in die 1980er Jahre wurde das Thema in Marokko komplett verschwiegen. Inzwischen ist das anders, Medien berichten und Nichtregierungsorganisationen bieten Hilfe an. Aber in der Gesellschaft haben die Frauen immer noch mit Vorurteilen und Ausgrenzung zu kämpfen. Bis heute kommt es vor, dass sie von ihren Familien verstoßen und völlig mittellos ihrem Schicksal überlassen werden.

Andere wollen gar nicht zu ihrer Herkunftsfamilie zurück. Rachida Lazrak, 32 Jahre alt und Mutter einer Tochter, erzählt in ihrer Mittagspause. Sie stand nach ihrer Scheidung zunächst ohne jede Mittel da. Trotzdem wollte sie die Trennung, weil sie es einfach nicht mehr aushielt. "Zunächst hat mein Mann eine Scheidung akzeptiert", sagt Rachida, "doch dann zog er sein Einverständnis zurück und drohte, ich würde ohne Geld alleine nicht zurechtkommen." Rachida, die nur bis zur achten Klasse in der Schule war, hat keinen Beruf erlernt und war zum Zeitpunkt der Scheidung Hausfrau.

Recht auf Scheidung

Erst seit dem 2004 reformierten Familienrecht "Moudawana" dürfen Frauen vor Gericht die Scheidung einreichen. Sie haben Anspruch auf Sorgerecht für die Kinder und auf Unterhalt, auch wenn dieser mit 450 Dirham (rund 40 Euro) pro Kind und Monat eher dürftig bemessen ist.

"Amal"-Mitarbeiterinnen Oumaima Mhijir (l.) und Rachida Lazrak (r.); Foto: Claudia Mende
Erfolgsrezept Ausbildung zur Köchin: „Wir haben etwa 270 Bewerbungen für jeden Lehrgang, können aber nur 30 bis 35 Frauen aufnehmen, sagt Oumaima Mhijir, die Leiterin des Trainingszentrums von "Amal" (links im Bild). Die Ausbildung gilt als qualifiziert und wer es bis zum Abschlusszertifikat bringt, hat gute Chancen, als Köchin in Marrakesch Arbeit zu finden. Während der Ausbildung erhalten die Frauen ein Stipendium sowie Fahrtkosten und kostenlose Mahlzeiten.

Vor der Reform war eine Scheidung für Frauen sehr schwierig: Männer dagegen konnte nach traditionell islamischen Vorstellungen ihre Frauen einfach verstoßen. Heute dürfen Frauen ihre Ex-Männer vor Gericht bringen und auf Unterhalt verklagen. Viele nehmen diese Prozedur aber nicht auf sich, weil die Verfahren langwierig und der Ausgang ungewiss ist. Hinzu kommen hohe Anwaltskosten.

Rachidas Ehemann weigerte sich, Unterhalt zu zahlen. Auf einen Streit vor Gericht wollte sie es nicht ankommen lassen. Zu ihren Eltern zu gehen, kam nicht in Frage und einen neuen Partner suchen auch nicht. Sie wollte lieber auf eigenen Beinen stehen und jobbte als Putzhilfe in Cafés und in einer Marmeladenfabrik. Doch die Bezahlung war schlecht und manchmal verweigerten die Arbeitgeber die Auszahlung des Lohnes.

Als sie schließlich von "Amal" erfuhr, eröffneten sich ihr neue Perspektiven. Sie bewarb sich und konnte im Dezember 2017 mit dem sechsmonatigen Lehrgang beginnen. Während der Ausbildung erhalten die Frauen ein Stipendium sowie Fahrtkosten und kostenlose Mahlzeiten. "Wir haben etwa 270 Bewerbungen für jeden Lehrgang, können aber nur 30 bis 35 Frauen aufnehmen, sagt Oumaima Mhijir, die Leiterin des Trainingszentrums von "Amal". Die Ausbildung gilt als qualifiziert und wer es bis zum Abschlusszertifikat bringt, hat gute Chancen, als Köchin in Marrakesch Arbeit zu finden. "Niemand verlässt das Training ohne Arbeit", betont Mhijir.

In ländlichen Regionen gibt es solche Möglichkeiten kaum. Frauen in schwierigen Lebenslagen gehen dann lieber in die Großstadt. So wie die 31-jährige Mona (ihren richtigen Namen möchte sie nicht nennen) aus Ouarzazate im konservativen Süden Marokkos. Mona ist ebenfalls geschieden, sie hat zwei Kinder. Ihre Scheidung konnte die Familie noch irgendwie akzeptieren, denn ihr Ex-Mann trank und schlug sie.

Doch dann lernte Mona einen neuen Mann kennen, der ihr die Ehe versprach. Nach vorehelichem Sex wurde sie schwanger, während der Liebhaber das Weite suchte. Ihr Sohn kam als außereheliches Kind auf die Welt. "Meine Familie weiß nichts von meinem zweiten Kind", sagt sie, "nur meine Schwester. Der Rest der Familie ist mir egal". Nicht das gebrochene Versprechen des Mannes wäre Anlass zu Gerede über ihren Lebenswandel, die Schuld würde allein ihr zugeschoben.

Auf eigenen Beinen stehen

Aus Angst vor Verstoßung hat sie ihre Heimatstadt verlassen und in Marrakesch ihr Glück gesucht. "In Marrakesch ist es für eine alleinstehende Frau leichter. Deswegen bin ich hierhergekommen", sagt sie. Der Ausschluss aus der Familie ist für viele Frauen sehr schmerzhaft. In einer Gesellschaft, in der Familie über allem steht, ist es schwer auszuhalten, wenn man von diesen sozialen Bindungen abgeschnitten ist.

Mona lebte von Putzjobs, bis sie von Amal erfuhr und sich bewarb. Jetzt fährt sie jeden Tag mit dem Bus ins Trainingszentrum im Stadtteil Targa. Anfangs tat sie sich schwer, weil sie erst noch Lesen und Schreiben lernen musste. Deshalb schaffte sie die Ausbildung nicht im ersten Anlauf. Inzwischen gehört sie zu den Besten.

Oumaima Mhijir weiß, wie schwierig es für Frauen wie Mona ist, sich von übler Nachrede und der weit verbreiteten Doppelmoral nicht beeindrucken zu lassen. Dann fällt schnell das Wort "Schande". Aber Mhijir meint auch, dass sich die Wertvorstellungen langsam ändern. "Man hört weniger auf andere und ihr Getratsche", sagt sie. "Aber es ist auch wichtig, dass Frauen offen über ihr Schicksal berichten und sich nicht verstecken."

Ich bin ledig und Mutter, na und? So weit ist Marokko längst noch nicht. Aber Frauen, die ihre Kinder alleine groß ziehen, sind keine Seltenheit mehr. Nach Schätzungen muss jede fünfte Familie ohne männlichen Ernährer auskommen. In vielen Familien tragen Frauen mittlerweile mehr zum Lebensunterhalt bei als Männer. Und die junge Generation der Frauen ist heute besser ausgebildet als ihre Mütter, die meist Hausfrauen waren.

Das Recht hinkt allerdings dieser neuen Lebensrealität teilweise noch hinterher. In den letzten Jahren gab es zwar einige Verbesserungen für Frauen, zum Beispiel wurde der unsägliche Paragraph, wonach Vergewaltiger frei ausgehen, wenn sie ihre Opfer heiraten, abgeschafft. Ein neues Gesetz vom Februar 2018 soll Frauen besser gegen Gewalt schützen. Aber: außerehelicher Sex wird nach wie vor kriminalisiert durch Artikel 490 Strafgesetzbuch, auch wenn der in der Praxis kaum angewandt wird.

Für die Mütter von "Amal" ist es noch ein langer Weg, aber die Familienbilder sind längst vielfältig in Marokko.

Claudia Mende

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