Der steinige Weg zur Gleichberechtigung

Exakt vor drei Jahrzehnten war mir selbst aufgrund meines Geschlechts ein Arbeitsplatz als Bauleiterin in einem Erdölunternehmen verweigert worden. Aus dem Ablehnungsschreiben ging deutlich hervor, dass das Unternehmen den Job lieber männlichen Ingenieuren anbieten würde. Von Alexandra Kinias

Von Alexandra Kinias

Zu Beginn dieses Jahres gewann die Mess- und Regelungstechnikerin Sara Mansour den Nex-Gen Female of the Year-Preis. Eine Auszeichnung, der die Beiträge junger weiblicher Berufstätiger honoriert, die das Potential haben künftig Führungspositionen in Industrie und Wirtschaft einzunehmen.

Mansour, die für das ägyptische Erdgasunternehmen Gasco arbeitet, erhielt die Auszeichnung bei der Preisverleihung und Konferenz der Women in Energy Awards während der Egypt Petroleum Show 2019. Sie gehört zu den zahlreichen Ingenieurinnen, die diese männlich dominierte Branche erobern. Im Jahr 2007 hatte sie ein Stipendium des ägyptischen Ministeriums für Erdöl sowie von PETRONAS erhalten, um an der technischen Universität Petronas (UTP) zu studieren. Dort erlangte sie ihren Bachelor in Elektrotechnik und Elektronik mit Auszeichnung.

Exakt drei Jahrzehnte zuvor war mir selbst aufgrund meines Geschlechts ein Arbeitsplatz als Bauleiterin in einem Erdölunternehmen  verweigert worden. Aus dem Ablehnungsschreiben ging deutlich hervor, dass das Unternehmen den Job lieber männlichen Ingenieuren anbieten würde. In der Zwischenzeit sind die Frauen in Ägypten weit gekommen.

Die Zahl der Frauen, die diese Branche und andere männlich dominierte Bereiche erobern, nimmt weiterhin zu. An den Anblick von Ingenieurinnen, die mit Overall und Sicherheitshelm auf Bohrinseln arbeiten, hat man sich nach und nach gewöhnt. Schicksale wie das von Mansour sind große Errungenschaften für Frauen an allen Fronten. Sie sind ein Silberstreif am Horizont.

Frauen, die sich an männlich dominierte Arbeitsplätze wagen, brechen soziale Tabus. Sie bekommen die ersten Kugeln ab. Sie werden bekämpft, kritisiert, lächerlich gemacht und stigmatisiert. Männer schauen auf sie herab und zweifeln an ihren Fähigkeiten. Für sie sind sie keine Kollegen, sondern Gegner, die ihnen ihren Job wegnehmen wollen. All das muss ins rechte Licht gerückt werden, um zu verstehen, dass Frauen trotz dessen hart dafür gekämpft haben, sich selbst zu übertreffen und es geschafft haben, sich als ebenbürtig zu beweisen.

Rückentwicklung der Stellung der Frau in Ägypten

Während uns erfolgreiche Frauenschicksale wie das von Mansour ermutigen, darf nicht vergessen werden, dass sich die Stellung der Frau in Ägypten während der letzten Jahrzehnte merklich zurückentwickelt hat. Dieser Rückschritt wurde durch den wachsenden Einfluss von Islamisten in der Gesellschaft verursacht, der mit dem Aufstieg der Muslimbruderschaft an die Macht seinen Höhepunkt erreicht hatte.

Das im Jahr 2012 gebildete Parlament der Islamisten hatte bereits Schritte unternommen, um das Chulʿ Gesetz, das Frauen die Scheidung erlaubte, sowie ein Gesetz, das weibliche Genitalverstümmelung verbot, abzuschaffen. Darüber hinaus sollte in ihrem Parlament darüber diskutiert werden, das Heiratsalter auf 16 herabzusetzen.

Die Zukunft der ägyptischen Frau verdunkelte sich noch mehr, als die Muslimbruderschaft im März 2013 eine Erklärung herausgab, worin sie die UN-Deklaration zur Beendigung der Gewalt gegen Frauen verurteilte, mit der Begründung, dass diese Deklaration die Familie zerstören, und zur kompletten Auflösung der Gesellschaft führen würde.

Einige Jahrzehnte vor ihrem Aufstieg an die Macht waren Pläne in der Gesellschaft aufgekommen, um Frauen der wenigen Rechte, für die sie hart gekämpft hatten, zu berauben. Dabei wurde nicht nur die Rolle der Hausfrau und Mutter glorifiziert, sondern auch absichtlich aus den Geschichtsbüchern die weiblichen Vorbilder und die Schicksale der ägyptischen Sufragetten, die dafür gekämpft hatten, die Rechte der Frauen voranzubringen, getilgt.

Die Verfechterinnen und Verfechter für Frauenrechte der heutigen Zeit wurden verunglimpft, ihre Ziele und geistige Gesundheit in Frage gestellt. Es ist keine Überraschung, dass Stimmen, die Erfolge von Frauen verhindern wollen, diese Frauen als eine Gefahr wahrnehmen. Im Endeffekt haben Frauen nicht nur ihre Vorbilder verloren, sondern außerdem einige ihrer Rechte. Ihre Position in der Gesellschaft stagniert.

Glücklicherweise haben eine Vielzahl von Faktoren dazu geführt, dass das Anwachsen und die Dynamik von Anti-Frauenrechtsbewegungen verlangsamt wurde. Allerdings sind sie noch nicht zu einem völligen Stillstand gekommen, da der Kampf zwischen Licht und Dunkelheit andauern wird, bis Bildung für Frauen, gesellschaftliches Empowerment und finanzielle Unabhängigkeit verwirklicht wurden. Trotz allem war es wichtig, die Anti-Frauenrechtsbewegungen zu stoppen, um danach ihren Einfluss rückgängig machen zu können.

Die jüngere Geschichte als wichtiger Faktor des gesellschaftlichen Wandels

Während die Januarrevolution von 2011 das Leben vieler Menschen verändert haben mag, war sie für die ägyptische Frau tatsächlich ein wichtiger Faktor für gesellschaftlichen Wandel. Als Frauen neben Männern durch die Straßen marschierten überschritten sie eine Barriere und ihre Stimmen wurden lauter.

Als Mubarak abdankte erkannten sie die Macht ihrer Teilhabe und die greifbare Rolle, die sie für den Erfolg der Revolution und die Zukunft des Landes spielten  Der Glaube an ihre Macht und Effektivität wurde noch gefestigt und gesteigert, als sie im Jahr 2013 wieder auf die Straßen gingen, um ein weiteres Regime zu stürzen, das gegen ihre Rechte handelte.

Zwei politische Größen innerhalb von nur zwei Jahren gestürzt zu haben brach ihre Angstbarriere und sie begannen ihre eigene persönliche Revolution, um für sich selbst Veränderung zu bringen.

Seitdem hat sich eine deutliche Veränderung für Frauen im ganzen Land ereignet, sowohl auf der gesellschaftlichen als auch der beruflichen Ebene. Selbst in den konservativsten ländlichen Gegenden stehen Frauen nun für ihre Rechte auf. Im Jahr 2018 verklagte eine 22-jährige Frau aus der konservativen Stadt Qena in Oberägypten den Mann, der sie sexuell belästigt hatte und sorgte dafür, dass er für drei Jahre ins Gefängnis wanderte. Sie lehnte eine Schlichtung ab, selbst, als sie Drohungen von seiner Familie erhielt.

Die Videoüberwachungsanlage CCTV zeigte, wie das Mädchen ihn verprügelte, nachdem er sie angefasst hatte, als sie vorüber ging und wie sie darauf bestand, ihn nicht einfach gehen zu lassen. Vor nicht allzu langer Zeit hätten sich Mädchen nicht getraut, solche Vorfälle zu melden, und hätten sich außerdem dafür geschämt, weil die Polizei dem keine Relevanz beigemessen hätte. Oder schlimmer noch: sie wären beschuldigt worden, selbst den Vorfall durch ihr Verhalten oder ihre Kleidung provoziert zu haben.

Auf der beruflichen Ebene werden wir Zeuge von jungen Frauen in ländlichen Gegenden, die soziale Tabus brechen: sie veröffentlichen Modeblogs oder YouTube Kanäle mit einer Vielzahl von Inhalten, die für sie und ihre Ziele interessant sind.

Soziale Medien als wichtiges Werkzeug für den Fortschritt

Der zweite Faktor, der zum Fortschritt der Frauen im vergangenen Jahrzehnt beigetragen hat, sind die wirtschaftlichen Schwierigkeiten, die das Land vor, und insbesondere nach den Revolutionen durchlebt hat - und die daraus resultierenden Auswirkungen auf die Wirtschaft.

Frauen, die im Januar 2011 für 18 Tage auf die Straßen gingen und im Juni 2013 erneut revoltierten, fanden nichts dabei, ihre Ärmel hochzukrempeln und zu arbeiten - und sich dabei in Bereiche vorzuwagen, die noch vor wenigen Jahren männlich dominiert waren. Es ruft kein Stirnrunzeln mehr hervor, Frauen zu sehen, die als Schreinerin, Klempnerin, Elektrikerin oder Automechanikerin arbeiten. Davon abgesehen haben die sozialen Medien den Horizont der Frauen geweitet und ihnen dabei geholfen zu erkennen, dass nichts unerreichbar ist.

Im ganzen Land, aber insbesondere in konservativen Gemeinschaften, die die Bewegungsfreiheit von Frauen einschränken und ihre Träume oft verhindern, haben die sozialen Medien und Youtube dabei geholfen, dass Frauen kleine Unternehmen von zu Hause aus gründen.

[embed:render:embedded:node:28310]Mit einem simplen Klick lernen Frauen im ganzen Land Handwerkstechniken online und vertreiben ihre Produkte über soziale Medien. Damit sorgen sie für ein Einkommen für sich selbst und ihre Familien. Kleinunternehmen von zu Hause aus, wie Catering, Backen, Schmuckherstellung und handgefertigte Geschenke gehören zu den am weitesten verbreiteten Unternehmensarten, die den Frauen wirtschaftliche Unabhängigkeit geben.

Die Macht der Frauen erkennen

Jedoch hätte sich nichts getan ohne ein starkes Unterstützersystem, das an die Rechte der Frauen und ihre Gleichwertigkeit glaubt und zu einem wichtigen Faktor für Veränderung wurde. Da die aktuelle Regierung die Macht der Frauen erkannt hat, hat sie sich vom ersten Tag an dafür eingesetzt, Frauen auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Ebene zu stärken.

Die Anstrengungen, die die ägyptische Regierung seit dem Jahr 2013 unternommen hat, können nicht übersehen, oder kleingeredet werden, da es lange her ist, dass Ägypten eine Regierung hatte, die Frauen in allen Bereichen und auf allen Ebenen einbezieht.

Der Weg, um eine Entwicklung in allen Bereichen zu erzielen ist lang und herausfordernd, mit Hürden an jeder Ecke. Der Schaden, der im Lauf von Jahrzehnten entstanden ist, kann nicht von einem Tag auf den anderen ungeschehen gemacht werden, aber kleine Schritte gibt es dennoch und jede positive Veränderung ist eine Veränderung in die richtige Richtung.

Dank der globalen und lokalen Aufmerksamkeit für Frauen und ihre Belange werden wir jeden Tag Zeuge bei der Entstehung neuer Initiativen, die versuchen, positive Veränderung zu bewirken und Frauen dabei helfen wollen, ihre Kraft und Stärke zu erkennen. Die Initiative Women of Egypt (WoE) ist ein Beispiel dafür.

Die im Januar 2016 gegründete WoE hat es sich zur Hauptaufgabe gemacht, ägyptische Frauen zu bestärken, indem sie wichtige Themen in den Fokus rücken, die ihr Wachsen hindern, Probleme geschlechtsspezifischer Ungleichheit beleuchten und positiven gesellschaftlichen, kulturellen und beruflichen Wandel erwirken.

Medienplattform von Frauen für Frauen

Über ihre Social Media Plattformen und Online-Veröffentlichungen bietet WoE den ägyptischen Frauen eine Unterstützerplattform, auf der sie sich inspirieren lassen können, bestärkt und empowert werden. Außerdem werden Nachrichten verfolgt, Verstöße gegen Frauen und ihre Angelegenheiten öffentlich gemacht sowie Updates zu neuen Gesetzen für und wider den Nutzen von Frauen geteilt. Darüber hinaus bietet ihnen die Seite ein sicheres Medium, um ihre Sorgen und Gedanken zu äußern und motiviert sie, für ihre Rechte aufzustehen und Veränderung zu fordern.

Frauenproteste in Kairo gegen Mursis Verfassungsentwurf im Jahr 2012; Foto: AFP/Getty Images
Kein Vertrauen in die Muslimbruderschaft: In der Defensive: Die Stellung der Frau in Ägypten hat sich während der letzten Jahrzehnte merklich zurückentwickelt. Dieser Rückschritt wurde durch den wachsenden Einfluss von Islamisten in der Gesellschaft verursacht, der mit dem Aufstieg der Muslimbruderschaft an die Macht seinen Höhepunkt erreicht hatte.

Führende Frauenbewegungen in frauenfeindlichen und patriarchalen Gesellschaften sind eine Herausforderung. Um den Status Quo und die damit verbundene, von ihren Vorgängern geerbte Überlegenheit gegenüber Frauen aufrechtzuerhalten, kämpfen Männer mit allen Mitteln dagegen, etwas von den Rechten aufzugeben, die sie unrechtmäßig genießen.

Der Weg zur Geschlechtergerechtigkeit ist lang und holprig. Positive Veränderung in das Leben der Frauen zu bringen ist eine Herausforderung, aber auf lange Sicht funktioniert es, da die Menschen bereit sind, sich zum Besseren zu verändern, wenn sie in die richtige Richtung gelenkt werden.

Große Veränderungen sind das Ergebnis kleiner, kontinuierlicher und unermüdlicher Anstrengungen, auch wenn das bedeutet, das Leben nur einer Frau nach der anderen zu verändern. Verfechterinnen und Verfechter sind eine Kraft der Veränderung und Menschen fürchten die Veränderung - selbst wenn sie davon profitieren.

Festgefahrene Denkmuster zu durchbrechen ist schwierig, aber harte Arbeit und Unermüdlichkeit sind, wenn weise eingesetzt, um das Leben der Anderen zu verbessern, mächtige Hilfsmittel, um die Menschheit zu verändern.

Alexandra Kinias

© Goethe-Institut e. V./Perspektiven

Übersetzung: Susanne Polek

Alexandra Kinias ist Frauenrechtlerin sowie Drehbuch- und Romanautorin. Sie ist Mitautorin des umstrittenen Films „Cairo Exit“. Der Film darf in Ägypten nicht vorgeführt werden. Er wurde in Dubai, Toronto, München sowie auf dem Tribeca Film Festival gezeigt. Er gewann 2011 auf dem „European Independent Film Festival“ in der Kategorie bester nicht-europäischer Film. Ihr Drehbuch „Leila‘s World“ war 2010 auf der Shortlist des „Rawi Screenwriters Lab“.