Motivation Hoffnung!

Der politische Islam bedeutete eine nie zuvor dagewesene Herausforderung für die Emanzipation der Sudanesinnen. Trotz dieser schwierigen Umstände ließen zahlreiche Frauenrechtsorganisationen, Verbände und Zentren im ganzen Land nicht davon ab, sich den dringlichen Problemen der Frauen zu widmen. Von Wini Omer

Essay von Wini Omer

Der Kampf der Frauen im Sudan um mehr Rechte in Politik und Wirtschaft geht auf die Sechzigerjahre zurück, als Frauen das Recht zur politischen Teilhabe (1964) und zu gleichem Lohn für gleiche Bezahlung (1969) erhielten, um nur zwei der vielen Meilensteine ihres Erfolgs zu nennen. Die Machtergreifung der "National Islamic Front" (NIF) durch einen Militärputsch im Jahr 1989 setzte dieser Entwicklung ein jähes Ende und mehr noch: viele Errungenschaften der Frauen wurden rückgängig gemacht.

Trotzdem halten bis heute Frauenrechtsorganisationen, Verbände und Zentren im Sudan an ihrer Arbeit fest, um sich den dringlichen Problemen der Frauen zu widmen. Drei von ihnen sollen im Folgenden vorgestellt werden: die Interessengruppe "No to Women's Oppression", die "Sudanese Organization for Research and Development" (SORD) und das "SEEMA Centre for Training and Protection of Children and Women's Rights".

Nein zur Frauenunterdrückung

Die NIF hat seit ihrer Machtergreifung viele diskriminierende Gesetze erlassen, über die sie die Beteiligung der Frauen am öffentlichen Leben einschränken, sie in das Familienumfeld zurückdrängen und ihre Leben und Körper kontrollieren will.

So sind Frauen zum Beispiel maßgeblich von einer Reihe von Gesetzen und Praktiken betroffen, die das sogenannte System der Öffentlichen Ordnung bilden, welches den Menschen im Sudan Verhalten und Aussehen in der Öffentlichkeit vorschreibt. Dazu kommen interne Regelungen an Arbeitsplätzen, die Frauen beispielsweise verpflichten, ein Kopftuch zu tragen und andere strenge Kleidervorschriften zu befolgen. Dies betrifft alle Regierungseinrichtungen und Universitäten.

Frauen-Solidaritätsdemonstration für Lubna Hussein am 4. August 2009 in Khartum; Foto: AP/Abd Raouf
"Der Fall Lubna geht uns alle an": Sudanesische Frauenrechtsaktivistinnen demonstrieren für Lubna Hussein, die wegen des Tragens "unanständiger Kleidung" mit 40 Schlägen bestraft werden sollte. Ihr Fall bewog einige Frauenrechtsaktivistinnen zur Gründung der Interessengruppe „No to Women’s Oppression“, um für die Abschaffung demütigender und diskriminierender Gesetze und für die Gleichberechtigung der Geschlechter im Sudan zu kämpfen.

Das System der Öffentlichen Ordnung begann 1996 als regional auf den Bundesstaat Khartum begrenztes System, wurde aber dann auf viele andere Teile Sudans ausgedehnt.

Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung wird unter dem sudanesischen Strafgesetzbuch geahndet. Die Vorschriften können schwerwiegende Folgen für Frauen wie auch Männer haben, denn jederzeit kann ihnen eine vermeintlich persönliche Angelegenheit, wie Kleidung oder Frisur, zum Verhängnis werden.

Auch viele andere individuelle Freiheiten werden beschränkt, wie die Produktion, der Verkauf und Konsum von Alkohol und eben alles, was als "unsittliche Handlung" gilt.

Dabei enthalten die Gesetze zur öffentlichen Ordnung wenige Hinweise darauf, wie sie eigentlich umzusetzen sind, und so bleibt die Interpretation, was genau einen Verstoß ausmacht und wie schwerwiegend dieser ist, der Ordnungspolizei und ihren persönlichen Vorurteilen überlassen.

Das System der Öffentlichen Ordnung ist eine reale Gefahr für die Sicherheit und Würde der Frau in der Öffentlichkeit. Jedes Jahr werden etwa 43.000 Frauen für angebliche Verstöße zu schmerzhaften und entwürdigenden Strafen verurteilt, wie Auspeitschung, Gefängnis und Bußgeld.

Einer der wohl bekanntesten Fälle ist das Verfahren gegen die sudanesische Journalistin Lubna Ahmed al-Hussein, die im Jahr 2009 wegen des "Tragens anstößiger Kleidung" nach Artikel 152 des Strafgesetzbuches verhaftet wurde. Ihr Fall bewog einige Frauenrechtsaktivistinnen zur Gründung der Interessengruppe "No to Women's Oppression", um für die Abschaffung demütigender und diskriminierender Gesetze und für die Gleichberechtigung der Geschlechter im Sudan zu kämpfen.

Der unerbittliche Angriff des Staates auf die Zivilgesellschaft erlebte seinen Höhepunkt in den letzten zehn Jahren. Viele Frauenrechtsorganisationen hatten Schwierigkeiten, Gelder zu akquirieren, ihre Registrierung zu erneuern oder Zugang zu bestimmten Gemeinden zu erhalten, während andere ihre Tätigkeit ganz und gar einstellen mussten. Sogar die Veranstaltungen zum Internationalen Frauentag wurden abgesagt.

Unter diesen schwierigen Bedingungen führten "No to Women's Oppression" – deren Direktorin, Dr. Ihsan Fagiri, sich seit dem 22. Dezember 2018 in politischer Gefangenschaft befindet – ihre Arbeit fort. In ihren Kampagnen, einem monatlichem Forum und offenen Veranstaltungen klären sie darüber auf, welchen Herausforderungen Frauen im Sudan gegenüberstehen. Die Gruppe bringt Frauen verschiedenster politischer Gesinnungen und Professionen aus allen Teilen Sudans zusammen, um deren Bemühungen auf gemeinsame feministische Ziele auszurichten, und hat es so geschafft, zwischen ihnen ein Gefühl der Solidarität im Kampf gegen die Unterdrückung zu wecken.

Insbesondere unterstützt die Gruppe Frauen, die vom Gesetz – oft unter dem Vorwand des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung – häufig ins Visier genommen werden, wie Verkäuferinnen aufgrund ihrer Berufstätigkeit.

Für die Gleichberechtigung der Geschlechter im Sudan

Frauen beteiligen sich an Protesten im sudanesischen Omdurman am 10.3.2019; Foto: Getty Images/AFP
Gewachsenes Selbstbewusstsein: Auch Frauen beteiligten sich an den jüngsten Protesten gegen Langzeitdiktator Omar al-Baschir, einige von ihnen führten die Demonstranten in Städten wie Omdurman oder Khartum lautstark an. "Der Widerstand der sudanesischen Frauenrechtsbewegung bricht angesichts eines frauenfeindlichen Umfelds, in dem Gesetz und Politik gegen sie sind und die Annahme männlicher Überlegenheit tief verwurzelt ist, nicht ein", meint Wini Omer.

Bis heute wird eine Verletzung des Ordnungsrechts im Sudan als Stigma wahrgenommen, sodass viele Frauen lieber schweigend unfaire Gerichtsverhandlungen ohne Rechtsbeistand in Kauf nehmen, als für ihre Rechte einzustehen. „No to Women’s Oppression“ haben der Diskriminierung von Frauen viel öffentliche Aufmerksamkeit verschafft, sodass die Zahl derjenigen, die sich über ihre Erfahrungen mit der Ordnungspolizei öffnen, gewachsen ist.

Die sudanesische Frauenrechtsbewegung war stets sehr auf die wirtschaftlichen und politischen Interessen der Frauen konzentriert. Unterdessen hat sich in der Justiz nicht viel bewegt. Wenn Frauen die Scheidung oder das Sorgerecht für ihre Kinder wollen, stehen sie in vielerlei Hinsicht von den patriarchalischen Gesetzen benachteiligt da.

Hier ist besonders das Gesetz über den persönlichen Status von Muslimen zu nennen. Dieses Gesetz legalisiert die Kinderehe, denn Artikel 40 gibt dem Vater das explizite Recht, seine Tochter ab dem 10. Lebensjahr zu verheiraten. Daher gehört der Sudan auch zu den Ländern mit der größten Zahl an Kinderehen weltweit.

Die "Sudanese Organization for Research and Development" (SORD) hat in zahlreichen Studien die sozioökonomischen Konsequenzen von Kinderehen, die schädlichen Auswirkungen gegenwärtiger Gesetze und den Einfluss patriarchalischer und diskriminierender Gesetze auf Frauen im Allgemeinen aufgezeigt. Eines ihrer Ziele ist es, den Zugang von Frauen zur Justiz zu verbessern, besonders an Familiengerichten, wo Frauen in endlosen Scheidungs- und Sorgerechtsverfahren feststecken – oft ohne Erfolg.

Der Fall von Noura Hussein hat größere Aufmerksamkeit auf das schwierige Umfeld gelenkt, in dem Sudanesinnen leben – ein Umfeld, das Gewalt gegen Frauen normalisiert: Hussein war mit 16 Jahren dazu gezwungen worden, einen Heiratsvertrag einzugehen, lief weg und musste mit 19 schließlich doch heiraten. In einem Akt der Selbstverteidigung tötete sie ihren Ehemann und wurde daraufhin zum Tode verurteilt.

Auch wenn ihre Strafe inzwischen auf fünf Jahre Gefängnis reduziert worden ist, macht ihr Schicksal doch das dringende Bedürfnis nach Gesetzesreform und sozialem Wandel deutlich. Die Kinderehe ist ein in der sudanesischen Gesellschaft tief verwurzelter Brauch und nur ihre Kriminalisierung durch das Gesetz wird am Ende die notwendige Basis für ein gesellschaftliches Umdenken schaffen.

Daran knüpft SORDs Projekt "Towards Gender Equality in Sudan" (Für die Gleichberechtigung der Geschlechter im Sudan) an, in dessen Rahmen die Organisation ein Reformgesetz erarbeitet hat. Nachdem der Entwurf in zahlreichen Workshops im ganzen Land diskutiert worden war, wurde er 2016 dem Justizministerium vorgelegt. Die Regierung lud SORD ein, im darauffolgenden Jahr beim Nationalen Komitee zur Reform des Gesetzes über den persönlichen Status von Muslimen mitzuwirken.

Zwar konnte bislang keine Einigung zum Entwurf erzielt werden, doch gehen die Verhandlungen weiter. Eine erste Wirkung hat das Projekt dennoch erzielt, indem es die Diskussion über Frauenrechte auf Familienebene entfacht und so Sudanesinnen den Weg geebnet hat, ihre Rechte innerhalb der Familie neu zu verhandeln.

Von Opfern zu Überlebenden

Das "SEEMA Centre for Training and Protection of Children and Women's Rights" ist eine Nichtregierungsorganisation und die einzige Institution im Sudan, die umfassende psychologische, juristische und medizinische Leistungen für Frauen und Kinder, die Opfer von Gewalt geworden sind, anbietet. Der Name des Zentrums setzt sich aus den ersten Buchstaben der Vornamen von fünf Überlebenden von Gewaltakten zusammen, die die Inspiration für die Gründung des Zentrums gaben.

Seit seiner Eröffnung hat das Zentrum hunderte von Frauen und Kindern unterstützt, die Gewalt oder Ungerechtigkeit erfahren haben, von sexueller Belästigung und rechtlicher Diskriminierung über Zwangsehe im Kindesalter und Genitalverstümmelung bis zu häuslicher Gewalt und Vergewaltigung.

Auch bildet SEEMA in Workshops Personen aus, die in ihren eigenen Gemeinden Gewaltopfern helfen und ihr Umfeld über Menschenrechtsverletzungen aufklären können. SEEMA geht auf die dringenden Bedürfnisse von Menschen mit Gewalterfahrung ein, verurteilt Gewalt öffentlich und setzt sich für Gesetzesreform ein. Auf diese Weise hat es das Zentrum geschafft, Opfer zu Überlebenden zu machen.

Der Widerstand der sudanesischen Frauenrechtsbewegung bricht auch angesichts eines frauenfeindlichen Umfelds, in dem Gesetz und Politik gegen sie sind und die Annahme männlicher Überlegenheit tief verwurzelt ist, nicht ein.

Die genannten Organisationen sind nur wenige Beispiele eines breiten Spektrums von Gruppen und Initiativen, die sich dauerhaft für Frauenrechte und gegen Diskriminierung engagieren. Der Weg für Gleichberechtigung und Gerechtigkeit wurde vor langer Zeit beschritten und noch immer liegt eine weite Strecke vor den Frauen des Sudan, doch werden sie sich mit nichts geringerem zufriedengeben. Wenn Sudanesinnen im ganzen Land auf die Straße gehen, um gegen ihre Unterdrückung zu protestieren, sind ihre Herzen mit Hoffnung und dem Wunsch nach einer besseren Zukunft erfüllt.

Wini Omer

© Goethe-Institut e. V. / Perspektiven 2019

Wini Omer ist eine Journalistin und Menschenrechtsaktivistin, die sich für Frauenrechte und gesellschaftlichen Wandel einsetzt.