Auf dem Vormarsch?

Im neuen türkischen Parlament werden doppelt so viele Frauen vertreten sein wie bisher. Türkische Frauenrechtlerinnen betonen aber, dass nicht allein die Zahl der Frauen im Parlament entscheidend ist.

73 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts in der Türkei werden erstmals 48 weibliche Abgeordnete (8,7 Prozent) im Parlament vertreten sein.

Die Türkei ist auch im Hinblick auf die Frauen ein Land voller Widersprüche. An den Universitäten, im Rechtssystem oder in der Finanzwelt sind die Frauen in der Mehrheit und besetzen auch die höchsten Stellen. Andererseits ist die Zahl der Analphabetinnen die höchste in Europa, und bis vor kurzem war das türkische Parlament mit nur 4,4 Prozent Parlamentarierinnen Schlusslicht des Kontinents.

Die seit Jahren sehr aktive Frauenbewegung versucht diese Ungleichheiten zu überwinden. Für Aufsehen sorgte im Frühling eine Kampagne, bei der im Fernsehen, an Litfasssäulen oder auf Postern prominente Türkinnen mit Schnurrbart fragten: "Müssen wir einen tragen, um ins Parlament zu kommen?"

Hinter der Kampagne steckte der Verein KADER (Verein zur Unterstützung und Vorbereitung von Politikerinnen). Die Vorsitzende Hülya Gülbahar ist mit dem Resultat zufrieden:

"Wir haben sehr viel gearbeitet, und die Verdoppelung des Frauenanteils im Parlament ist ein Ergebnis dieser Kampagne. Unter den Parlamentarierinnen sind auch unsere Freundinnen, mit denen wir zusammenarbeiten. Aber wir dürfen es nicht auf diesem Erfolg beruhen lassen, es muss weitergehen."

"Frauen fürs Schaufenster"

Türkel Minibas, Professorin für Geschlechterforschung an der Istanbuler Universität, betont ebenfalls, dass es nicht nur um die Zahl der Frauen im Parlament geht:

"Die AKP hat bei der letzten Wahl die Frauen teilweise an erste Stelle gesetzt. Aber wenn wir uns ihre Ideologie oder ihre Arbeit im Parlament anschauen, sehen wir, dass die Frauen oft nicht an den Entscheidungen beteiligt sind. Sie sind eher dazu da, an der richtigen Stelle die Hand zu heben."

Und die Professorin Necla Arat, neu gewählte sozialdemokratische Abgeordnete, beklagt: "Manche Parteien sind der Meinung, dass - ich zitiere - 'die Frauen für ihre Schaufenster gut sind'."

Der türkische Premierminister Erdogan hat darauf geachtet, dass seine Frau während der Wahlkampagne an seiner Seite stand. Das war ein ungewöhnliches Bild für die laizistischen wie für die islamischen Türken. Erdogan orientiere sich am amerikanischen Vorbild, sagt Türkel Minibas, kritisiert aber: "Wenn wir die Regierung anschauen, sehen wir wenige Frauen."

Dies treffe bei der sozialdemokratischen Republikanischen Volkspartei (CHP) ebenso zu. "Wichtig ist, was das Parlament verabschiedet. Wichtig ist das, was die Frauen erleben, wenn sie sich scheiden lassen oder Gewalt erleben."

Weitere Reformen gefordert

Die Umsetzung der Reformen in der Türkei wird auch von der EU beobachtet. Die sozialdemokratische Europaabgeordnete Emine Bozkurt hat zweimal über die Frauenrechte in der Türkei im EU-Parlament berichtet. Bozkurt bewertet die Verbesserung der Frauenrechte als Erfolg, fordert aber weitere Reformen:

"Tayyip Erdogan hat versprochen, im Parlament eine Kommission zur Gleichberechtigung und Gleichstellung zu errichten. Zum zweiten wollen wir bei der neuen Regierung mehr Ministerinnen sehen, und zwar in den wichtigen Ressorts, außerdem müssen die Frauen in den Kommissionen gut vertreten sein. Denn wenn die Anliegen der Frauen in die Hände der Männer gelegt werden, kommen sie leider nicht voran."

Die wichtigsten Probleme der Frauen in der Türkei sind nach Meinung der KADER-Vorsitzenden Hülya Gülbahar Gewalt, Ehrenmorde, mangelnde Schulbildung, Armut und mangelnde politische Partizipation.

"Wir erwarten von weiblichen wie männlichen Parlamentariern, dass sie diese Probleme angehen", fügt Gülbahar hinzu und verlangt außerdem mehr Geld und Gestaltungsspielraum für die Frauenkommissionen der Parteien.

Noch ein weiter Weg

Die Professorin Türkel Minibas schließt sich dem an - geht aber noch einen Schritt weiter:

"Wichtig ist, dass in diesem Land der Lebensstandard erhöht wird. Dafür müssen die Frauen - angefangen in der Familie - auf jeder Ebene mit den Männern gleichgestellt werden. Frauen in der Türkei sind auf gesetzlicher Ebene gleichgestellt, aber nicht im praktischen Leben. Wir werden die AKP daran messen, welche Stellen sie für Frauen im neuen Kabinett, im Staatsdienst und in den Kommissionen anbietet."

Der Erfolg der Wahlkampagne zeigt, dass die Frauen in der Türkei auf dem Vormarsch sind. Aber sie haben noch einen weiten Weg vor sich.

Ayse Tekin

© DW-WORLD.DE 2007

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