"Kopftuchkrieg" blieb aus

Seit dem Schulbeginn müssen muslimische Mädchen in Frankreich ihr Kopftuch in der Schule ablegen. Doch angesichts der Geiselnahme zweier französischer Journalisten im Irak blieb es an den Schulen bislang ruhig, wie Bernhard Schmid berichtet.

Foto: Bernard Schmid
Muslime demonstrieren für die Freilassung zweier französischer Journalisten im Irak

​​"Der Kopftuchkrieg blieb aus", schrieben französische Medien übereinstimmend, als nach zwei Monaten Sommerferien der Unterricht für 12 Millionen Schülerinnen und Schüler in ganz Frankreich am letzten Donnerstag ohne größere Zwischenfälle begonnen hatte.

Mit dem Anfang des Schuljahrs trat die heiß diskutierte Regelung in Kraft, wonach an Schulen auffällige religiöse Symbole verboten sind. Das bedeutet vor allem ein Kopftuchverbot für muslimische Schülerinnen. Das entsprechende Gesetz war am 15. März 2004 vom Parlament angenommen worden.

Etwa 250 Mädchen erschienen zur Schule mit bedecktem Kopfhaar am Schultor. Die meisten von ihnen kamen dann aber der Aufforderung nach, ihre Kopfbedeckung im Klassenraum abzulegen.

Leila, eine 19jährige Schülerin in Villeneuv-d'Ascq bei Lille, nahm ihr Tuch vor dem Schultor vom Kopf und erklärte: "Ich habe keine Wahl, ich kann es mir nicht leisten, meine Schulausbildung abzubrechen."

Der Unterrichtsbeginn an dieser Schule im ehemaligen Industriegebiet an der belgischen Grenze wurde von den Medien besonders aufmerksam beobachtet. Im vergangenen Schuljahr waren dort 52 Kopftuchträgerinnen registriert worden.

Sonderfall Elsass

Lediglich in der ostfranzösischen Region Elsass stellte sich die Situation in einigen Orten anders dar: Insgesamt wurden in der Region etwa 100 "widerspenstige" Kopftuchträgerinnen gezählt.

Das hängt vor allem damit zusammen, dass im Elsass keine Trennung zwischen dem Staat und den christlichen Kirchen besteht, wie im übrigen Frankreich. Nach der Wiederangliederung an die République Française 1918/19 wurde im Elsass das Konkordat aus der Zeit, als die Region zu Deutschland gehörte, beibehalten.

Insofern kann der republikanisch-universalistische Anspruch des französischen Laizismus hier nicht gegenüber muslimischen Kopftuchträgerinnen geltend gemacht werden.

Hinzu kommt, dass die Einwanderer im Elsass vorwiegend türkischer und marokkanischer Herkunft sind. Sie sind oft traditioneller orientiert, vor allem wenn sie in ihren Herkunftsländern ländlichen Bevölkerungsgruppen angehörten. Dort ist die Bindung an die Religion noch besonders hoch.

Das ist bei den algerischen Immigranten, die im übrigen Frankreich die größte Einwanderergruppe bilden, so nicht der Fall. Bei ihnen war dies weniger traditionell bestimmt, sondern eher an die Konjunktur politisch-sozialer Bewegungen gekoppelt.

Schließlich hat das Elsass von allen französischen Regionen neben der Côte d'Azur den höchsten rechtsextremen Wähleranteil. Deswegen sehen sich viele Einwanderer hier in der Defensive. In diesem Kontext spielt die "Identitätsbindung" auch bei den Minderheiten eine verstärkte Rolle.

Enführungsfall überschattet Koftuchdebatte

Ins Extreme verschärft wurde die Spannung um das Kopftuch zum Beginn des Schulunterrichts zusätzlich durch die Geiselaffäre um die beiden seit dem 20. August im Irak entführten französischen Journalisten Christian Chesnot und Georges Malbrunot.

Foto: Bernard Schmid
Demonstration für die Freilassung der französischen Geiseln im Irak

​​Die Entführergruppe, die unter dem Namen 'Islamische Armee im Irak' auftritt, fordert seit dem 28. August von der französischen Regierung die Rücknahme dieses Gesetzes.

Nach Ansicht der Gruppe, die mutmaßlich neben Irakern vor allem aus internationalen Jihad-Aktivisten besteht, für die das Land nur einer der Schauplätze eines internationalen Krieges darstellt, handelt es sich bei dem Gesetz nur um einen Eckstein in der internationalen Konfrontation zwischen Kulturen und Zivilisationen.

Muslime sehen Gesetz als französische Angelegenheit

Das aber wiesen alle Kräfte, die die in Frankreich lebenden rund vier Millionen Muslime repräsentieren können, weit von sich. Sie beharrten darauf, dass es sich bei der Auseinandersetzung um das Gesetz, welche unterschiedlichen Standpunkte man auch immer dazu beziehen könne, um eine innerfranzösische gesellschaftliche Debatte handele.

Auch die von Medien und Experten oft als "tendenziell fundamentalistisch" bezeichnete, am internationalen Zusammenschluss der Muslimbrüder orientierte UOIF (Union des Organisations islamiques de France) betonte diese Position.

Mit bewaffneten Splittergruppen im Irak, die einen recht willkürlichen Umgang mit Menschenleben pflegen, will man die eigene Sache nicht identifiziert sehen, zumal man sich davon nur einen schweren Rückschlag versprechen könnte.

"Auch wir sind in gewisser Weise (in dieser Sache) als Geiseln genommen", indem die Entführer sich zu vermeintlichen Fürsprechern der französischen Muslime aufschwingen, betonte etwa UOIF-Präsident Laj Thami Breze in einem Interview mit der französischen Boulevardzeitung 'Le Parisien'.

Bemühungen um Freilassung der Geiseln

Der im Jahr 2003 in Absprache mit der Pariser Regierung eingerichtete Repräsentativrat der französischen Muslime (CFCM) entsandte am vorigen Mittwoch eine eigene Delegation in den Irak, die dort mit den unterschiedlichen politischen und religiösen Strömungen in Kontakt treten und für die Freilassung der beiden französischen Geiseln plädieren sollte.

Ihr Vorgehen stimmte die Delegation dabei mit dem französischen Außenminister Michel Barnier ab, der am Abend des 29. August zu einer Rundreise durch die Region aufgebrochen war, die ihn nach Kairo, Amman und in die qatarische Hauptstadt Doha führte.

In der jordanischen Hauptstadt Amman waren Michel Barnier und die drei CFCM-Gesandten vor ihrem Aufbruch nach Bagdad zusammengetroffen. Bei ihrer Rückkehr sandten die drei am Donnerstag und Freitag optimistische Signale aus.

Die Freilassung der Geiseln durch ihre Entführer, mit denen ein Kontakt zweifellos nur indirekt über die Vermittlung mehrerer anderer Strukturen hergestellt werden konnte, verzögerte sich jedoch entgegen ursprünglicher Erwartungen am Wochenende weiter.

Zielscheibe Frankreich

Frankreich ist nicht zum ersten Mal in seiner jüngeren Geschichte zur Zielscheibe von Anschlägen mit "nahöstlichem" oder islamistischem Hintergrund geworden.

So explodierten 1985 und 1986 in Paris eine Reihe von Bomben, während sich im damaligen Bürgerkriegsland Libanon mehrere französische Geiseln teilweise drei Jahre lang in Gewalt von Gruppen befanden, die der schiitischen Hizbollah nahe standen.

Damals handelte es sich freilich um einen noch überwiegend parastaatlichen Terrorismus im Interesse Irans - in gewisser Weise die Quittung dafür, dass Frankreich während der 70er und 80er Jahre zu bedeutenden Teilen hinter der Hochrüstung des irakischen Regimes unter Saddam Hussein gestanden hatte.

In Frankreich selbst wurden die Attentate von palästinensischen und libanesischen Splittergruppen mit Anbindung an den Iran durchgeführt. Paris gab am Ende nach: Vier Tage, bevor der damalige Premierminister Jacques Chirac sich im Mai 1988 zum Präsidenten wählen lassen wollte was jedoch damals scheiterte - kamen die Geiseln im Libanon frei.

Paris hatte Millionensummen bezahlt und zugesichert, dem Waffenfluss an den Irak ein Ende zu setzen; der achtjährige Krieg zwischen Iran und Irak stand damals ohnehin kurz vor dem Ende.

Gegengewicht zu den USA

Die innenpolitische Folge war jedoch damals, zwischen 1985 und 1988, eine verbreitete und von politischen Kräften der Rechten offen angeheizte "Kopf ab!"- sowie "Araber Raus"-Stimmung.

Ein ähnliches Klima hat sich bei der aktuellen Geiselaffäre nicht eingestellt. Dazu trug sicherlich das Verhalten französischer Muslime und arabischstämmiger Immigranten bei, die einen bedeutenden Teil der Teilnehmer an den Kundgebungen für die Freilassung der im Irak entführten französischen Journalisten stellten.

Auch die derzeitige Schwäche der extremen Rechten unter Jean-Marie Le Pen, der (nach 30 Jahren an der Spitze des neofaschistischen Front National) aus Altersgründen jetzt seinen - schwierigen - Abgang aufs Altenteil einleiten muss, spielt dabei eine Rolle.

Und auch das außenpolitische Interesse Frankreichs, das gern als Großmacht in den Angelegenheiten des Nahen Ostens ernst genommen werden möchte, spielt in der aktuellen Dialogpolitik eine Rolle.

Dabei hat Frankreich derzeit sicherlich für seine außenpolitischen Ambitionen Pluspunkte sammeln können, da zahlreiche nahöstliche Kräfte von der palästinensischen Hamas bis zur iranischen Regierung sich bei ihrer Unterstützung für die Freilassung von Chesnot und Malbrunot auch explizit positiv auf Frankreichs Rolle als "Gegengewicht zu den USA in der Region" bezogen haben.

Schließlich hat das derzeitige bedächtige Verhalten beider Seiten in dieser Frage aber auch dazu geführt, dass eine Eskalation zu Beginn des Schuljahres vermieden wurde.

Der Pariser Bildungsminister François Fillon betonte vor Öffnung der Schultore, in den ersten beiden Unterrichtswochen würden jedenfalls noch keine Schulausschlüsse ausgesprochen, da zuerst "alle Maßnahmen des Dialogs ausgeschöpft" werden müssten.

Bernhard Schmid

© Qantara.de 2004