Die vergessene Minderheit vom Persischen Golf

Lange Zeit war wenig bekannt über die afro-iranische Minderheit am Persischen Golf. Der deutsch-iranische Fotograf Mahdi Ehsaei hat nun ihre Lebenswelten in Porträts dokumentiert. Marian Brehmer stellt das Buch vor.

Von Marian Brehmer

Das bunte Völkergemisch des Iran ist eine direkte Folge der wechselhaften persischen Geschichte. Zu den Volksgruppen, die sich auf der viereinhalbmal so großen Fläche wie Deutschland verteilen, gehört auch eine wenig beachtete Minderheit im Süden des Iran: die afro-iranische Community.

Die Iraner afrikanischer Herkunft sind zum Großteil Nachfahren von Sklaven, die über Jahrhunderte lang in Persien eingesetzt wurden, aber auch von Seeleuten und Handwerkern. Heute tragen sie iranische Namen und leben in den Provinzen Hormozgan, Sistan und Baluchistan und Khuzestan sowie in den Hafenstädten Bandar Abbas und Abadan – teils vermischt mit anderen Golfbewohnern, teils in eigenen Communities.

Zum ersten Mal kam der deutsch-iranische Fotograf Mahdi Ehsaei in Shiraz, der Heimatstadt seines Vaters, mit Afro-Iranern in Berührung. Bei einem Fußball-Match der Clubs "Bargh Shiraz" und "Aluminium Hormozgan" filmte er eine Gruppe von Fans, die zu einer Mischung aus iranischen und afrikanischen Trommelbeats ihren heimischen Fußballverein anfeuerten. Das weckte seine Neugier.

Im Sommer 2014 reiste Ehsaei für ein zweimonatiges Fotoprojekt zu den Afro-Iranern an den Persischen Golf. Die Porträts, die Ehsaei aufnahm, erschienen im vergangenen Jahr im Foto-Band "Afro-Iran". Auf seinen Bildern zeigt Ehsaei die afro-iranischen Bandaris in ihren unmittelbaren Lebenswelten – im Basar, vor dem eigenen Auto, auf dem Schulweg. Seine Sujets sind Menschen aller Altersgruppen: Hausfrauen, Säuglinge, Jugendliche und Greise.

Porträts von Iranern

Ehsaeis Porträts wirken nicht gekünstelt oder exotisierend. Oft sind die afrikanischen Spuren der porträtierten Menschen so gering, dass sich der Betrachter fragt, was die afro-iranische Community überhaupt vom Rest der Bandaris unterscheidet. Tatsächlich haben die Augen der Kinder und die Haltung der Fotografierten etwas unverkennbar Iranisches an sich, wie Joobin Bekhrad, Gründer und Redakteur des Online-Magazins "Reorient" in seinem Vorwort zu "Afro-Iran" anmerkt. Ehsaeis Bilder, bemerkt er, sind ganz schlicht und einfach Portäts von Iranern.

 Zeremonie des islamisch-afrikanischen "Zar"-Kults im südiranischen Tiab; Foto: Mahdi Ehsaei
Auf Spurensuche nach den afrikanischen Vorfahren: Ehsaeis Porträts wirken nicht gekünstelt oder exotisierend. Seine Fotos zeigen die afro-iranischen Bandaris in ihren unmittelbaren Lebenswelten – im Basar, vor dem eigenen Auto, auf dem Schulweg. Seine Sujets sind Menschen aller Altersgruppen.

"Eine markante Verschiedenheit in der Kultur der Afro-Iraner vom Rest der Golfbevölkerung gibt es nicht. Vielmehr hat die Präsenz der Afro-Iraner am Persischen Golf die Kultur der Bandaris insgesamt beeinflusst", meint Ehsaei. So wird etwa in den Klagegesängen der Aschura-Prozessionen von Bandar Abbas häufig mit afrikanischen Rhythmen des Martyriums von Imam Hossein gedacht. Aber auch importierte afrikanische Traditionen wie der "Zar"-Kult, eine Art volkstümlicher Exorzismus, werden bis heute praktiziert und auch von ethnischen Iranern besucht.

Es ist Ehsaeis Bildern anzumerken, dass der Fotograf ein Vertrauensverhältnis zu den Menschen aufbauen konnte. "Es dauerte eine Weile, bis der Draht hergestellt war, vor allem zu den Frauen in der Community. Doch schnell hat mich die Gastfreundschaft der Menschen überwältigt", schildert Ehsaei.

Gibt es eine Lieblingsbegegnung? Ehsaei erzählt die Geschichte hinter dem Bild des kleinen Jungen mit den leicht krausen Haaren, der beim Spiel am Strand von Bandar Abbas für einen Moment posiert, auf einen Stock gestützt, etwas verlegen in die Kamera blickend. "Was mir an dem Bild gefällt, ist die Emotionalität, die es ausstrahlt. Der kleine Junge ist sich nicht bewusst, dass er genau dort spielt, wo seine Vorfahren vor einigen Jahrhunderten Fuß fassen mussten", sagt Ehsaei.

Sklavenhandel am Persischen Golf

Die Geschichte der Sklaven am Persischen Golf reicht in die Zeit vor der Ankunft des Islam zurück. Eine bedeutende wirtschaftliche Dimension bekam der Sklavenhandel jedoch erst ab dem 16. Jahrhundert, als die europäischen Handelsaktivitäten am persischen Gold exponentiell zunahmen. Mit der Etablierung neuer Seerouten entwickelte sich Bandar Abbas zu einer bedeutenden Hafenstadt. Das gestiegene Handelsvolumen wiederum führte zu einer hohen Nachfrage nach Arbeitskräften und Sklaven.

Ein Junge der afro-iranischen Minderheit am Persischen Golf; Foto: Mahdi Ehsaei
Spielender Junge am Persischen Golf: "Was mir an dem Bild gefällt, ist die Emotionalität, die es ausstrahlt. Der kleine Junge ist sich nicht bewusst, dass er genau dort spielt, wo seine Vorfahren vor einigen Jahrhunderten Fuß fassen mussten", sagt Ehsaei.

Die meisten Sklaven erreichten Persien unter den Kadjaren im 19. Jahrhundert. Die Sklaven in Persien konvertierten zum Islam und wurden schnell zu einem Teil der einheimischen Bevölkerung. Sklaven wurden zur Kadjaren-Zeit im ganzen Reich beschäftigt – auf Baustellen, in Palästen oder als Hausangestellte. Auf den Fotografien dieser Ära sind sie omnipräsent, oft in einem unterwürfigen Kontext, etwa als Diener im Haushalt einer iranischen Adelsfamilie.

Kein Besitz, sondern Menschen

Dennoch wurden Sklaven im Iran, in Einklang mit der islamischen Tradition, nicht als entmenschlichtes Hab und Gut des Besitzers – wie etwa bei den nordamerikanischen Sklaven – sondern als Menschen mit Rechten betrachtet. Zu diesen Rechten gehörten angemessene Ernährung und Kleidung genauso wie Berufsbildung und Erbrechte.

Die Abschaffung der Sklaverei im Iran wurde in der Konstitutionellen Revolution von 1906 beschlossen, jedoch erst im Jahr 1928 unter der Pahlavi-Dynastie durchgesetzt. Nach ihrer Emanzipation siedelten sich die Afro-Iraner überwiegend am Persischen Golf an. Generationen später sind sie aus der Bandari-Kultur nicht mehr wegzudenken. "Während der zwei Monate bei den Afro-Iranern habe ich keine Form der Diskriminierung erlebt. Für mich war es erstaunlich, dass ein Gefühl des Andersseins heute kaum noch zu existieren scheint", sagt Ehsaei.

In anderen Landesteilen sind sich viele Iraner der Geschichte der Afro-Iraner kaum bewusst. In der gesamtiranischen Geschichtsschreibung nehmen sie einen Randplatz ein. Berührungspunkte der Mehrheit der Iraner mit Afro-Iranern gibt es wenige, außer über die populäre Bandari-Musik, in der sich afrikanische Rhythmen mit persischen Melodien vermischen. In Kinofilmen hingegen sind selten Afro-Iraner zu sehen.

Auch unter Wissenschaftlern und Fotografen gab es bis vor kurzem wenige, die sich für das afrikanische Erbe Irans interessierten. Doch das scheint sich allmählich zu ändern. Mahdi Ehsaei Fotoprojekt jedenfalls beginnt damit, einige dieser Lücken zu schließen.

Marian Brehmer

© Qantara.de 2016

Mahdi Ehsaei: "Afro-Iran", Kehrer-Verlag 2015, 96 Seiten, in den Sprachen Englisch & Persisch, ISBN: 978-3-86828-655-7