Der Traum vom besseren Leben

Mali ist für viele afrikanische Flüchtlinge Transitland auf dem Weg nach Europa. Einige Nichtregierungsorganisationen in der Hauptstadt Bamako haben sich daher zum Ziel gesetzt, Auswanderer über die Möglichkeiten legaler Migration zu beraten. Eine Reportage von Klaus Sieg

Samba Goïta (rechts) im Centre d'Information et de Gestion des Migrations (CIGEM) in Bamako; Foto: Klaus Sieg
Viele afrikanische Arbeitsmigranten, wie Samba Goïta, suchen im "Centre d'Information et de Gestion des Migrations"</wbr> nach Jobmöglichkeiten in Europa.

​​ Es riecht noch nach Farbe im "Centre d'Information et de Gestion des Migrations" (CIGEM) in Malis Hauptstadt Bamako. Auf den Schreibtischen stehen neue Flachbildschirme. Die Bürostühle sind fast unbenutzt.

Samba Goïta nimmt vorsichtig Platz. Sein gestreiftes Hemd ist makellos rein, die Hose ziert eine akkurate Bügelfalte.

Der 30jährige schlägt die Beine übereinander und blickt den Berater an. Samba Goïta möchte auswandern. Am liebsten nach Kanada, wo ein Freund von ihm lebt. "Nach Europa würde ich aber auch sehr gerne", sagt Samba Goïta und spielt an den Bügeln seiner Sonnenbrille, in deren Gläsern sich der Deckenventilator spiegelt.

Die Risiken illegaler Migration

Das CIGEM ist das erste Beratungszentrum für Migranten der EU außerhalb Europas. Potentielle Auswanderer sollen sich hier über die Möglichkeiten legaler Migration beraten lassen. Weiterbildung soll den Menschen bei der Jobsuche helfen. Rückkehrer finden Unterstützung bei der Wiedereingliederung in ihre Heimat. Vor allem aber will man die Menschen vor den Risiken illegaler Migration warnen.

200 aufgegriffene afrikanische Flüchtlinge am Strand von Kato Zacro auf der griechischen Insel Kreta; Foto: dpa
Flucht ins Ungewisse: Jährlich riskieren Zehntausende Schwarzafrikaner ihr Leben bei dem Versuch, mit seeuntauglichen Booten über das Mittelmeer nach Europa zu kommen.

​​ Laut UNHCR-Statstik versuchen pro Jahr 120.000 Flüchtlinge aus Afrika über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. 65.000 Flüchtlinge strandeten 2008 an den Küsten Europas. Der Rest wird vorher abgefangen, bleibt in den Transitländern hängen – oder kommt ums Leben.

Nur selten klappern die Schritte von Besuchern und Beratern über den blitzblanken Kachelboden des CIGEM. Heute waren gerade einmal zwei Klienten hier. An Tagen mit mehr Betrieb sind es gut zehn. Das CIGEM ist ein noch sehr junges Pilotprojekt. Vielleicht wissen die potentiellen Klienten aber auch um die äußerst beschränkten Möglichkeiten der legalen Auswanderung und sparen sich den Weg an den Stadtrand von Bamako.

Mali verfügt über eine 7.000 Kilometer lange Außengrenze. Viele Flüchtlinge aus Ländern südlich der Sahara reisen auf ihrem Weg nach Norden durch das westafrikanische Land. Sie versuchen nach Mauretanien zu kommen, nach Marokko oder nach Libyen. Dort warten sie auf die Chance nach Europa zu gelangen.

Auf klapprigen Schaluppen, im Laderaum eines LKW oder mit Sprung über den Grenzzaun der spanischen Enklave Ceuta – was heute allerdings kaum noch jemandem gelingt. Ein großer Teil landet wieder in Mali, abgeschoben von Grenzbeamten oder Polizisten der nördlichen Nachbarländer.

Geldsegen aus der Ferne

Aber auch aus Mali selbst machen sich viele auf den Weg. Vier Millionen Malier leben und arbeiten in der Fremde, 3,5 Millionen davon in anderen afrikanischen Ländern. Mali ist eines der ärmsten Länder der Welt. Vor allem junge Malier suchen ihr Glück traditionell in der Ferne. Die Summe der Überweisungen dieser Migranten in ihre Heimat liegt über dem Gesamtbudget der Entwicklungshilfe für Mali.

"Alle neuen Häuser in dieser Straße haben Leute gebaut, die im Ausland arbeiten." Adoma Sangaré zeigt die Straße hinunter. Flache Lehmbauten säumen die breite Sandpiste. Zwei Männern auf einem chinesischen Moped knattern vorbei, das eine Wolke aus Staub hinter sich her zieht. Nur wenige Straßen in der Hauptstadt Malis sind asphaltiert.

Adoma Sangaré sitzt jeden Tag mit seiner Clique an dieser Straßenecke im Stadtviertel Kala Bancoura. An einem abgestoßenen Tisch spielen sie Karten. Arbeit hat keiner der jungen Männer.

Der Bruder von Adoma Sangaré arbeitet bei Paris als Tankwart. Er ernährt die gesamte Familie. Eingereist ist er mit einem Touristenvisum nach Frankreich. Dann ist er abgetaucht. "In einem Jahr verdienst du in Europa doch mehr, als hier in deinem ganzen Leben", sagt Adoma Sangaré und die anderen nicken.

"Leichter als hier bei uns ist es allemal"

"Warum soll ich es also nicht auch versuchen?" - Risiken und Gefahren heimlicher Auswanderung. Ein Leben in der Illegalität. Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit. Der 25-Jährige winkt ab und zieht die Schultern hoch." Selbst wenn es schwierig ist bei euch, leichter als hier bei uns ist es allemal."

Überall trifft man in den Städten und Dörfern Malis Menschen, die so denken und träumen. Die Kraft der Fernsehbilder, Geschichten, Vorstellungen von Europa scheint übermächtig. Hinzu kommen die verzweifelte ökonomische Lage und der Druck aus den Familien. "Mein Vater fragt täglich, wie lange ich noch warten will", Adoma Sangaré blickt die Straße hinunter.

Genauso häufig spricht man in Mali aber auch mit Menschen, deren Traum von der Auswanderung geplatzt ist. Die meisten trauen sich nicht wieder nach Hause. Scham und Verzweiflung sind zu groß. Oft hat die Familie sich verschuldet, um Schlepper und Fahrtkosten zu bezahlen. Nun steht der Auserwählte wieder vor der Tür. Ein Esser mehr - statt ein erhoffter Ernährer...

Eine Selbsthilfeorganisation von Flüchtlingen

Ntamag Romeo und Patrice Zinahad; Foto: Klaus Sieg
Ntamag Romeo und Patrice Zinahad, die beiden Gründer der Organisation A.R.A.C.E.M, versuchen die Situation der gestrandeten Flüchtlinge zu verbessern und stellen z.B. Behelfspapiere für die Migranten aus.

​​Bertrand Couture hockt im Schatten eines Torweges und blickt apathisch zu Boden. Jeden Tag kommt er hierher.

Hinter einer kleinen Tür im Torweg befindet sich das Büro von der "Association des Refoulés d'Afrique Centrale au Mali" (A.R.A.C.E.M.), einer Selbsthilfeorganisation von Flüchtlingen verschiedener afrikanischer Staaten, die in Mali hängen geblieben sind. In das Büro ohne Fenster passen gerade einmal ein Holztisch, zwei Stühle und ein alter Computer.

Von hier aus versuchen Ntamag Romeo und Patrice Zinahad, die beiden Gründer der Organisation, die Situation der gestrandeten Flüchtlinge etwas zu verbessern. In Kooperation mit der lokalen Polizei stellen sie zum Beispiel Behelfspapiere aus, mit denen die Migranten sich bei Kontrollen ausweisen können. Die meisten haben auf ihrer Odyssee sämtliche Dokumente verloren.

Bei A.R.A.C.E.M. trifft Bertrand Couture seinen Freund Omare Nelgida aus dem Tschad. Sie tauschen Neuigkeiten aus oder träumen von einer Fußballkarriere in Europa. Meistens schlagen sie aber einfach nur die Zeit tot.

Vor sieben Jahren ist Bertrand Couture aus Kamerun aufgebrochen – auf der Suche nach einem besseren Leben. Er war in Nigeria, Benin, Burkina Faso, Mauretanien, Algerien und Marokko. Die längste Zeit hat er in Marokko auf eine Gelegenheit gewartet, in die spanische Enklave Ceuta zu gelangen.

Anrennen gegen die Festung Europa

Bertrand Couture (rechts) und sein Freund Omare Nelgida aus dem Tschad; Foto:
Der große Traum von der Karriere im Ausland - doch meist bleibt es bei hoffnungsvollen Gesprächen und dem Austausch von Neuigkeiten: Bertrand Couture (rechts) und sein Freund Omare Nelgida aus dem Tschad.

​​Im August 2001 ist er zum ersten Mal über den Zaun geklettert. Doch die spanische Guardia Civil bugsierte ihn gleich wieder hinaus. Insgesamt sieben Mal rannte Bertrand Couture so gegen die Festung Europa an.

Geschlafen hat der 26jährige zusammen mit anderen Flüchtlingen in einem nahen Wald. Viele der Männer brachen sich Knochen oder Gelenke bei dem Versuch, über den Zaun zu gelangen, den die Spanier von Monat zu Monat höher zogen. Ihr Essen mussten sie sich auf einer Müllhalde suchen.

"Manchmal haben wir herumstreunende Hunde gejagt und gegessen." Mit der flachen Hand wischt Bertrand Couture sich über das Gesicht. Irgendwann hat ihn die marokkanische Polizei aufgegriffen und nach Algerien abgeschoben. Von Gefängnis zu Gefängnis wurde er nach Süden transportiert. "Die Polizisten haben uns getriezt und geschlagen." Schließlich landete Bertrand Couture in Mali.

In Bamako schlief er zunächst einige Wochen unter den Ständen einer Markthalle, verdiente sich mit Trägerdiensten und Reinigungsarbeiten ein paar Lebensmittel und Kleingeld. Nun wohnt er in einem Haus mit einhundert anderen Flüchtlingen aus Kamerun, Togo, Kongo oder dem Tschad. Bis zu zehn Männer teilen sich ein Zimmer. Die Zustände sind katastrophal.

Rückkehr nur mit Geld in den Taschen

Immer mehr Flüchtlinge bleiben hier hängen, weil immer weniger durchkommen, seit die EU die Kontrollen verschärft hat. Nur selten findet einer der Männer einen Job auf einer Baustelle oder auf dem Markt. "Ich bin völlig erschöpft", sagt Bertrand Couture mit halb geschlossenen Augen.

Warum kehrt er nicht zurück nach Kamerun? "Mein Vater hat mir am Telefon gesagt, dass ich nur mit Geld nach Hause kommen soll." Bertrand Couture zupft an seinem Trikot der brasilianischen Nationalmannschaft mit der Nummer 9 für Ronaldo. Ein Freund hat es ihm geschickt, der es nach Europa geschafft hat.

Auch Keita Diawoye hatte es geschafft. Er sitzt auf dem Balkon des Büros der "Association Malien des Expulsés" (A.M.E.). Die Vereinigung versucht, den aus Frankreich abgeschobenen Maliern die Rückkehr zu erleichtern. In Frankreich lebt die größte malische Gemeinde Europas.

Die Regierung Sarkozy hat jedoch das Arbeits- und Aufenthaltsrecht verschärft. Seitdem sitzen in fast jeder Maschine der Air France, die in Bamako landet, ausgewiesene Malier.

Antrag auf Einbürgerung als Verhängnis

Keita Diawoye hält auf seinem Schoß einen Stoß Papiere, akribisch nach Jahren geordnet. Fünfzehn Jahre hat er in Frankreich gearbeitet, meist als Abrissarbeiter aber auch als Küchenhelfer oder Putzkraft. "Ich habe all die Jahre Steuern und Sozialabgaben bezahlt." Keita Diawoye blättert durch die Papiere.

Er genoss zwar keinen Aufenthaltsstatus, legte seinen Chefs aber eine Arbeitskarte mit einem anderen Namen vor. Das meiste des verdienten Geldes schickte er nach Hause, in sein Dorf in der Provinz Kayes im Westen Malis.

Die trockenen Felder dort versanden, der Regen fällt selten und unregelmäßig. Von der Landwirtschaft kann seine Familie kaum noch leben. Gut dass regelmäßig die Überweisungen von Keita Diawoye eintrafen. Bis zu dem Tag, an dem Keita Diawoye festgenommen wurde, als er in Paris einen Antrag auf Einbürgerung stellen wollte.

Auch er sitzt jetzt in Bamako fest und traut sich nicht zu seiner Familie zurück. "Was sollen wir jetzt bloß machen, hat meine Frau am Telefon gefragt", sagt der 45jährige und tupft sich den Schweiß von der Stirn.

Bildung als Hindernis

Im klimatisierten CIGEM neigt sich die Beratung dem Ende entgegen. Samba Goïta nickt einsichtig, als der Berater auf die Risiken heimlicher Migration zu sprechen kommt. Dann leuchten seine Augen für einen kurzen Moment auf. Nervös beginnt er mit dem Fuß zu wippen. Ein spanischer Gemüsebauer sucht Erntehelfer für drei Monate. Aber Samba Goïta ist überqualifiziert.

Die Erntehelfer sollen möglichst nicht lesen und schreiben können. Zudem sind Erfahrungen in der Landwirtschaft erwünscht. "Ich hätte nie gedacht, dass meine Schul- und Universitätsausbildung von Nachteil sein könnte."

Enttäuscht erhebt sich Samba Goïta und tritt auf die Straße, die in der Mittagshitze flimmert. Ob er noch einmal wieder kommt? Das mag er heute noch nicht entscheiden.

Klaus Sieg

© Qantara.de 2009

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