Florian Kunerts Film "Fortschritt im Tal der Ahnungslosen"
Auf der Suche nach der verlorenen Heimat

Im "Tal der Ahnungslosen" in Sachsen, wo einst arabische Vertragsarbeiter an der Seite von DDR-Fabrikarbeitern angestellt waren, begegnen sich Ostdeutsche und Geflüchtete in einer eigentümlichen Zeitreise. René Wildangel hat den Film auf der diesjährigen Berlinale gesehen.

Im Zentrum von Florian Kunerts Film steht das ehemalige DDR-Kombinat "Fortschritt" in Neustadt in Sachsen. Zu DDR-Zeiten hieß diese Region "Tal der Ahnungslosen", da an der Grenze zur damaligen Tschechoslowakei nicht einmal das für Nachrichten weithin konsultierte Westfernsehen empfangen werden konnte.

Dort stand der Betrieb für Landwirtschaftsmaschinen, der wie unzählige DDR-Fabriken nach der Wende abgewickelt und damit zu einer riesigen Industrieruine wurde. Nebenan, im ehemaligen Arbeiterwohnheim, sind seit 2015 syrische Geflüchtete untergebracht.

Knapp 30 Jahre nach dem Untergang der DDR sind die jungen Syrer – der Film zeigt ausschließlich Männer – mit einer trostlosen Gegenwart konfrontiert, denn das einst vom Kombinat finanzierte und von seiner Belegschaft erfüllte Gemeindeleben ist weitgehend erlahmt.

Eine an Absurditäten reiche Zeitreise

Bereits in der symbolischen Ausgangsszene haben drei der porträtierten Syrer große Mühe mit einem Relikt aus DDR-Zeiten. Erst nach mehreren Anläufen gelingt es ihnen, einen Trabant zu starten. Sie fahren durch eine wunderschöne, aber menschenleere Landschaft nach Neustadt bei Dresden und beginnen eine an Absurditäten reiche Zeitreise.

In der Ruine des Betriebs treffen sie auf ehemalige Beschäftigte, die für den Film im Rahmen einer Art "DDR-Integrationskurs" ihre Erinnerungen teilen. In Rollenspielen sollen Sie den Geflüchteten ihre Version vom Alltagsleben in der DDR nahebringen und werden so mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert. Die jungen Syrer salutieren in der Kluft der Thälmann-Pioniere vor zwei ehemaligen Lehrerinnen, in Uniformen der NVA absolvieren sie Exerzierübungen und Fahnenapell.

Filmszene aus "Fortschritt im Tal der Ahnungslosen" von Florian Kunert; Quelle: fortschritt-film.com
Eine Vergangenheit, die noch nicht vergangen ist: Ausgehend von Pegida und den hasserfüllten Reaktionen auf die Ankunft von Geflüchteten in Ostdeutschland begibt sich Regisseur Florian Kunert in "Fortschritt im Tal der Ahnungslosen" auf eine filmische Expedition, um verschüttete Erinnerungen der DDR-Zeit sowie widersprüchliche Perspektiven freizulegen.

Für die Syrer, die in den Wendejahren gerade erst geboren wurden, sind das Ausflüge in eine befremdliche, untergegangene Welt. Ihre eigenen Traumata werden nur angedeutet: Die menschenverlassenen Ruinen des Kombinats wirken in der Inszenierung der Kamera wie zerstörte Häuser in Ost-Aleppo nach der Evakuierung. Die jungen Männer spielen in einer Szene den Häuserkampf in der Stadt nach, dicke Ästen dienen als Gewehre.

Die DDR und der "sozialistische Bruderstaat" Syrien

Auch die einst engen Beziehungen zwischen der DDR und Syrien deutet der Film an. 1956 kamen die ersten syrischen Studenten nach Ostdeutschland, in den folgenden Jahrzehnten waren es Tausende Menschen aus arabischen Staaten, die als Vertragsarbeiter in der DDR eingesetzt wurden.

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