Hilflose Helfer

"Waffenstillstand", der erste deutsche Kinofilm über den Irak-Krieg, zeigt das Dilemma von Helfern und Journalisten zwischen Ohnmacht und Engagement, ungeheurem Mut und bitterer politischer Realität auf. Von Petra Tabeling

"Waffenstillstand", der erste deutsche Kinofilm über den Irak-Krieg, zeigt das Dilemma von Helfern und Journalisten zwischen Ohnmacht und Engagement, ungeheurem Mut und bitterer politischer Realität auf. Eine Fahrt in die Hölle, angelehnt an wahren Begebenheiten. Petra Tabeling hat den Film gesehen.

Foto: &copy Marc Schmidheiny / WAFFENSTILLSTAND
Regisseur Lancelot von Naso erhielt für sein Filmdebüt "Waffenstillstand"</wbr>, der seit dem 1. April auch in den deutschen Kinos angelaufen ist, u.a. den Bayrischen Filmpreis 2010 und den Publikumspreis des Zürich Filmfestivals 2009.

​​Falludscha im April 2004. Die irakische Stadt wird nach dem Einmarsch der US-Truppen zum Inbegriff des sunnitischen Widerstandes, der viele Tote und Verletzte fordert.

Nachdem ein paar Wochen zuvor vier Amerikaner gelyncht und zur Schau gestellt wurden, startet die US-Armee eine Offensive auf die Stadt, die wiederum auf heftigen Widerstand stößt. Mehr als 600 Zivilisten starben bei den Bombenangriffen.

Hintergrund für die erste deutsch-schweizerische Kinoproduktion über den Irak-Krieg und Debüt des jungen deutschen Regisseurs Lancelot von Naso: Als ein 24-stündiger Waffenstillstand vereinbart wird, nutzen die Leiterin einer Hilfsorganisation und ein Arzt ihre Chance, von Bagdad aus auf eigene Faust dringend benötigte Medikamente und medizinische Hilfe in das einzige Krankenhaus am Ort zu bringen.

Auch ein junger Fernsehjournalist sieht darin seine große Chance auf einen TV-Coup, entgegen der Warnungen seines erfahrenen Kameramannes und steigen mit ein.

Beengt in einem einfachen Transporter, ohne jeglichen Schutz, machen sich die vier unter großem Zeitdruck gemeinsam mit ihrem irakischen Fahrer auf einen riskanten Weg durch zerstörtes Gebiet nach Falludscha, auf dem sie nicht nur vielen tödlichen Gefahren ausgesetzt sind, sondern auch selbst innere Konflikte über humanitäre Motive, persönliche Grenzen und die Sinnlosigkeit von Krieg und Leid durchleben.

Schicksalsgemeinschaft im Krieg

Foto: &amp;copy Marc Schmidheiny / WAFFENSTILLSTAND
Zwischen den Fronten: Der Film "Waffenstillstand" zeigt die Hilflosigkeit und das Dilemma von humanitären Helfern und freien Journalisten in Kriegs- und Krisengebieten auf.

​​ Da ist der französische Chirurg Alain, gespielt von Matthias Habich, der nach vielen Jahren in Krisengebieten die Situation nur noch mit Morphium ertragen kann, und die Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation (Thekla Reuten), die den Transport ohne Genehmigung initiiert oder der erfahrene Kameramann (Hannes Jaenicke), der die Gefahr erkennt und sich zunächst weigert, mitzufahren.

Und vor allem der TV-Journalist Oliver, gespielt von Max von Pufendorf, der zunächst naiv seine große Chance auf exklusive Live-Schalten sieht, um der Welt das Leiden der Zivilbevölkerung vor Augen zu führen und fast selbst daran zerbricht.

Vier Idealisten und Karrieristen bilden eine Schicksalsgemeinschaft, die, sich nach anfänglichen Abneigungen ("Ihr verdient euer Geld doch auch mit dem Blut anderer Menschen") aufeinander einstellen müssen.

"Waffenstillstand" brilliert vor allem durch seine hochkarätige deutsche Filmstarbesetzung, die Lancelot von Naso mit seinem Drehbuch beeindruckte. Denn entgegen vieler actiongeladener internationaler Produktionen, die oft militärische oder politische Fronten in den Vordergrund rücken, zeigt "Waffenstillstand" ausschließlich Menschen, die bei kriegerischen Auseinandersetzungen ebenso beteiligt sind.

Sie arbeiten hinter den Fronten und kümmern sich um die Zivilbevölkerung, fanden jedoch bislang kaum Beachtung im Filmgeschäft. Heraus kam ein spannender Film, bei dem der Zuschauer selbst das Gefühl hat, mit auf der Rückbank des Hilfskonvois zu sitzen - "eine Mischung aus Drama, Politthriller, Roadmovie und psychologischem Kammerspiel", wie es der Regisseur selbst bezeichnet, und der an vielen Stellen tatsächlich authentisch wirkt, wenngleich die Szenen von Zerstörung und Krieg im Irak aus Sicherheitsgründen in Marokko gedreht werden mussten.

Authentische Vorbilder

Foto: &amp;copy Marc Schmidheiny / WAFFENSTILLSTAND
Fahrt in die Hölle des irakischen Widerstands: Kim, die Logistikerin einer kleinen internationalen Hilfsorganisation, gespielt von Thekla Reuten und Oliver, der TV-Reporter, gespielt von Max von Pufendorf, scheuen kein Risiko, in das umkämpfte Falludscha zu gelangen.

​​ Es ist eine Mischung, die von Anfang an gewollt war und reale Vorbilder hatte: Nachdem von Naso von einer jungen Frau in der Zeitung las, die allein und auf eigene Faust einen Hilfstransport nach Falludscha organisierte, wollte er das filmisch umsetzen:

"Ich wollte einen Film machen aus dem Blickwinkel von NGOs und Krisenreportern, über die man höchstens am Rande erfährt oder in negativen Schlagzeilen - nach dem Motto selbst schuld, wenn etwas passiert. Doch was fühlen diese Menschen, wenn sie sich auf solche Missionen begeben und diese bewundernswerte Arbeit machen?"

Dafür bereitete sich von Naso gut vor, über vier Jahre recherchierte er über tatsächliche Arbeitsbedingungen, zog Krisenreporter und Hilfsorganisationen zu Rate, sprach mit Korrespondenten, die im Irak "embedded" waren. Selbst der irakische Fahrer im Film wird von Husam Chadat gespielt, der im wahren Leben als Korrespondent für Al Jazeera arbeitet.

"Waffenstillstand" ist ein Film, der weder politische Seiten ergreifen möchte, noch Plädoyers abgibt - das mag für manche ein Manko sein, hier ist es die Stärke des Films. Er macht vielmehr deutlich, was Krieg für eine Zivilbevölkerung bedeutet, "Nachrichtensendungen zeigen meistens die Toten, ein Spielfilm kann die Menschen zeigen, die übrig bleiben", glaubt von Naso.

Er macht auch deutlich, welche seelischen und körperlichen Verwundungen entstehen, im Krieg zu helfen oder ihn dokumentieren zu wollen - für viele endete er tödlich.

Der Blick hinter den Schlagzeilen

Foto: &amp;copy Marc Schmidheiny / WAFFENSTILLSTAND
Im Visier der US-Armee: Max von Pufendorf (Oliver), Thekla Reuten (Kim) und Kameramann Hannes Jaenicke (Ralf), werden an einem US-Kontrollpunkt vor Falludscha gestoppt und kontrolliert.

​​ Und auch im Film wird das Klischee des abgebrühten Krisenreporters gründlich hinterfragt. Für den Schauspieler Max von Pufendorf war das eine besondere Herausforderung:

"Ich dachte vorher immer, dass ich gut informiert bin über die Vorgänge in dieser Welt. Man sieht die kurzen Nachrichten aus dem Irak und vergisst dabei, dass auch die Journalisten hierbei einem bestimmten Mechanismus unterliegen und trotzdem mit großem Mut und unter Lebensgefahr diese wenigen Minuten transportieren. Heute sehe ich Nachrichten anders."

Das Ende des Films wirft nicht nur die Frage nach der Sicherheit für Journalisten und humanitäre Helfer in Kriegs- und Krisengebieten auf, sondern auch die nach der Verarbeitung traumatischer Erlebnisse solcher Einsätze: der Krieg im Kopf, der einen jederzeit auch fernab der Konfliktzone wieder einholen kann.

Petra Tabeling

© Qantara.de 2010

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

Waffenstillstand Dtl. 2009. Regie: Lancelot von Naso, Drehbuch: Lancelot von Naso, Kai Uwe Hasenheit, Collin McMahon, Kamera: Felix Cramer, Darsteller: Matthias Habich, Thekla Reuten, Hannes Jaenicke, Max von Pufendorf, Husam Chadat u.a.; 95 Minuten, Farbe. FSK ab 12 Jahre.

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Webseite zum Film "Waffenstillstand"