Liebesleben zwischen den Kulturen

Ken Loachs neuster Film handelt von einer Lovestory zwischen einer katholischen Irin und einem muslimischen Pakistani - und um den Spagat zwischen Liebe und Familienloyalität. Ernst Kramer stellt den Film vor.

​​Casim und Roisin, ein Glasgower Traumpaar: Zwischen dem jugendlich-knackigen DJ und der selbstbewussten, lebenserfahrenen Musiklehrerin hat es sofort gefunkt. Aber eine Liebe wäre ja nur halb so schön, wenn alles so einfach wäre. Roisin ist katholische Irin und Casim ein Pakistani muslimischen Glaubens.

Familiäre Zerreißprobe

Gemäß dem Willen seiner Eltern soll Casim jemand ganz anderen heiraten: seine Cousine Jasmin, die er noch nicht einmal kennt. So haben es seine Eltern bestimmt und so hat er, der einzige Sohn, es bisher akzeptiert.

Casim verschweigt zunächst seine Liebe zu Roisin. Denn er hat Angst, damit das traditionelle Gewebe, das seine Familie und ihren Status in der pakistanischen Gemeinde Glasgows zusammenhält, zu zerreißen.

Stattdessen droht er jedoch in dieser Situation - hier seine Familie, dort seine Freundin - zu zerreißen. Und so rutscht Casim trotz zärtlichstem Liebesglück das Herz immer weiter in die Hose, bis er sich schließlich von Roisin trennt, die das Ganze natürlich überhaupt nicht fassen kann.

Als Casim jedoch Zeuge wird, wie seine kleine Schwester Tahara mutig gegen den sympathischen, aber strengen Vater angeht, wagt auch er es endlich, die bereits fest arrangierte Hochzeit abzusagen und aus dem Elternhaus fortzuziehen.

Durch Taharas Vermittlung finden er und Roisin wieder zusammen. Doch ihr Glück wird erneut auf eine harte Probe gestellt, denn nicht nur seine Eltern haben etwas gegen seine Beziehung zu einer weißen "Goree". Auch Roisin wird wegen ihrer Liebe zu Casim unter Druck gesetzt.

Leben mit zwei Kulturen

Pakistanis und Inder machen in Großbritannien die größte Gruppe der Einwanderer aus, in deren Heimat die englische Krone fast 200 Jahre das Sagen hatten. 1947 - die Briten hatten den indischen Subkontinent in Indien und Pakistan aufgeteilt - entließ die Kolonialmacht die beiden Länder in die Unabhängigkeit.

Dabei war die ethnische und religiöse Inhomogenität dieser Region bewusstes Kalkül der Briten, die so verhindern wollten, dass ein weiterer starker weltpolitischer Mitspieler entsteht.

Eine Massenflucht von Hindus und Sikhs nach Indien und von Muslimen nach Pakistan war die Folge. Hunderttausende starben dabei, etliche Vertriebene flüchteten in das sichere Großbritannien.

Die Teilung des indischen Subkontinents und die Folgen, davon erzählt der pakistanische Film "Silent Waters". Während die Elterngeneration als Reaktion auf Flucht, Elend und Anfeindungen in der neuen Heimat ihre islamische Tradition pflegt, öffnen sich junge Pakistanis, die oft im Königreich geboren sind, zunehmend der westlichen Lebensweise.

So wie es in "Just a Kiss" bei Casim und Tahara der Fall ist. Ken Loach, Altmeister des britischen Sozialdramas, schmiedet aus diesem familiären Sprengstoff eindrucksvolle und bedrückende Szenen zusammen: etwa, wenn die Familie Khan am Küchentisch sitzt und Casim und seine Mutter nur hilflos dabei zuschauen, wie Tahara mit einer Mischung aus Wut und Verzweiflung gegen den sturen Vater ankämpft, der nicht zulassen will, dass sie für ein Studium in Edinburgh das Elternhaus verlässt.

Loach bewahrt seine Erzählung allerdings davor, ins Düstere zu kippen, indem er auch die Freuden und die Vorteile des familiären Zusammenlebens zeigt.

Szenen wie die, in der der kauzige Vater Tariq -gemeinsam mit den schottischen Nachbarn - den Garten für einen Anbau vermisst und dabei zur Erheiterung aller auf die Blumenbeete der Mutter keine Rücksicht nimmt. Und Casim beweist Geschwisterliebe, indem er seiner Schwester Tahara auf dem Schulhof gegen die diskriminierenden Sprüche der Mitschüler den Rücken stärkt.

Wer nicht kämpft, lebt nicht

Diese Offenheit gegenüber dem Für und Wider verschiedener Lebensentwürfe machen den Film lebendig und die Geschichte glaubhaft. Für sein gekonntes Umschiffen der Klippen billiger Propaganda ist der bekennende Sozialist Loach, dessen Filme meist im Arbeitermilieu angesiedelt sind, in seiner fast vierzigjährigen Laufbahn als Filmemacher bereits vielfach gelobt worden.

Loach ist viel zu clever, als dass er die so genannten kleinen Leute als Gutmenschen der modernen Gesellschaft zeichnet. Genauso vermeidet er es, eine pakistanische Familie als besseren Gegenentwurf zur vermeintlich dekadenten britischen Familie behaupten zu wollen. Vielmehr stehen sich seine Figuren bei ihren Versuchen, eine für sie bessere Welt zu schaffen, oft selbst im Wege.

Bei Loach kämpfen daher nicht nur Lohnarbeiter/innen gegen das Kapital, sondern wie in "Brot und Rosen" (2000) Streikende gegen Streikbrecher/innen, Arbeitslose gegen ihre Trunksucht ("My Name ist Joe", 1998) oder im Bürgerkriegsdrama "Land and Freedom" (1995) gemäßigte Sozialisten gegen Stalinisten.

Das Besondere dabei aber ist: Der persönliche Kampf hat immer einen Sinn. Loachs Filme sind niemals resignativ. Sie zeigen in den meisten Fällen nicht nur Auswege auf, sondern erzählen, dass es sich lohnt, eine Haltung zu haben, selbst wenn einem das Wasser bis zum Hals steht.

Und so umweht Casim und Roisin bei ihrem Kampf für ihre Liebesbeziehung ein angenehm heroischer Hauch. Denn dass sie sich lieben, darüber sind sich die beiden absolut im Klaren.

Ihre unterschiedliche kulturelle Herkunft ist für sie im Gegensatz zu allen anderen kein Problem, sondern vielmehr eine Bereicherung: Im angeregten Gespräch entdecken sie etwa Gemeinsamkeiten der islamischen und der christlichen Religion.

Wie der jeweilige Background zweier Menschen, der in jedem Fall das gemeinsame Miteinander beeinflusst, auch zu Problemen und Missverständnissen führen kann, das kommt in "Just a Kiss" jedoch viel zu kurz.

Pointiertes Liebesdrama

Ken Loach zeigt stattdessen immer wieder, dass es vor allem äußere Widerstände sind, gegen die sich Casim und Roisin stemmen müssen, und verlegt sich auf eine sinnliche und bewundernde Zeichnung seines frisch gebackenen Liebespaars.

Ein Talent für derartige Darstellungen hat er bereits in anderen Filmen bewiesen. Trotzdem scheint er diesmal der fixen Idee aufgesessen zu sein, Liebe und Sex doppelt so gut wie andere Filmemacher/innen inszenieren zu müssen und damit zu beweisen, dass das auch in einem sozial engagierten Film funktioniert.

Den ersten zarten Küssen schaut man dann auch noch ganz angetan zu. Dann küssen sie sich noch mal, dann schlafen sie miteinander. Und dann noch mal. Und dann küssen sie sich wieder. Und irgendwann wünscht man sich einen Störenfried dazu, damit die Sache einen Dämpfer bekommt.

Was dann ja auch passiert. Und so ist "Just a Kiss" als Sozialdrama sehr gelungen, als Liebesgeschichte allerdings ein wenig zu süßlich geraten. Auch wenn es freilich immer einer starken Liebe bedarf, damit Menschen große kulturelle Schranken überwinden.

Ernst Kramer

© Fluter.de 2004

("A Fond Kiss") Großbritannien, Belgien, Deutschland, Italien, Spanien 2004, Regie: Ken Loach, Buch: Paul Laverty, mit Atta Yaqub, Eva Birthistle, Shamshad Akhtar, Ghizala Avan, Shabana Bakhsh, Pasha Bocarie, Gerard Kelly, Ahmad Riaz, Kinostart: Seit 11. November 2004 bei Neue Visionen.

Website zum Film "Just a kiss"