Face à Face – Ansichten des Libanon

In ihren Filmen, die jüngst in München zu sehen waren, setzen sich libanesische Regisseure mit der Erinnerungskultur eines von konfessionellen und ethnischen Konflikten zerissenen Landes auseinander. Von Mona Sarkis

In ihren Filmen, die jüngst in München zu sehen waren, setzen sich Libanons renommierte Regisseure mit der Erinnerungskultur eines von konfessionellen und ethnischen Konflikten zerissenen Landes auseinander. Von Mona Sarkis

​​Was ist seit dem Ende des libanesischen Bürgerkrieges vor 16 Jahren geschehen? Der Schutt verschwand, nicht aber die Erschütterung der Menschen, wie Ghassan Salhabs 2002 gedrehter Film "Terra Incognita" auf dem Münchener Filmfestival "Ansichten aus dem Libanon" zeigt:

Eine Gruppe junger Freunde irrt durch ein Beirut im Wiederaufbau. Fremdenführerin Soraya zeigt den Touristen jeden geschichtsträchtigen Fleck dieses Landes, von dem sie selbst eigentlich nur fort will – so, wie sie aus ihrem Körper fliehen will, den sie mit wechselnden Männern teilt, mit denen sie danach nichts mehr zu tun haben möchte.

Bloß nicht erinnern

Nur nicht erinnern – und nur nicht auf dem Erinnerten aufbauen, lautet auch das Motto des Architekten Nadim. Auf seiner Festplatte hat er Beirut haarklein eingespeichert und in Parzellen zerteilt, die er neu erschafft – von der strengen Isolation seines Zimmers aus.

Laila spottet indes bei einem Drink über die Konfessionshörigkeit der Libanesen, nur um aufs Klo zu stürzen und Gott um Verzeihung zu bitten. Welchen Gott? "Egal. Bloß keinen Libanesen nach seiner Konfession fragen", erklärt Salhab, der wie die meisten Künstler persönlich auf dem Festival anwesend war. Und bloß nicht nach dem fragen, was das Land auch 16 Jahre nach Bürgerkriegsende aufreibt.

Welche Büchse der Pandora das Berühren von Tabus öffnen könnte, zeigt auch "Massaker", das die Ereignisse in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Schatila dokumentiert. Drei Jahre lang hatten Monika Borgmann, ihr libanesischer Ehemann Lokmann Slim und Hermann Theißen daran gearbeitet, Angehörige der "Forces Libanaises" aufzuspüren und zum Reden zu bewegen.

1982 hatten die Milizen mit den Israelis kollaboriert und unter deren "Schutz" zwei Nächte und drei Tage lang ein Massaker verübt. Die Opferzahl – vorwiegend Zivilisten – wurde nie ermittelt. Stattdessen verabschiedete das libanesische Parlament 1991 eine Amnestie für alle Bürgerkriegsverbrecher.

Über 20 Jahre später sprechen sechs von ihnen erstmals über ihre Gewaltexzesse. Die – teils von grauenhaftem Sadismus zeugenden – Aussagen sind nur schwer zu ertragen, könnten aber auch aus anderen Regionen wie Ruanda oder Osttimor stammen.

Statt der historischen und persönlichen Kontextualität, die auch deshalb ausgeblendet bleibt, um die Anonymität der Täter zu wahren, dominiert die "Bestie Mensch" – zumindest für den außenstehenden Zuschauer.

Gegenseitige Schuldzuweisung

Für die anwesenden Libanesen hingegen bedurfte es keine weiteren Bilder, um nicht schockiert den Kinosaal zu verlassen. "Von den 900 Besuchern, die sich bei der Beiruter Erstaufführung in das 800 Plätze fassende Theater quetschten, rannten viele vorzeitig raus. In der tumultartigen Abschlussdiskussion warfen sie sich gegenseitig all die davor und danach begangenen Massaker vor", berichtet die Münchner Künstlerin und Festivalkuratorin Verena Frensch.

An Sensibilitäten rührt auch Wael Noureddines Kurzfilm "Ca sera beau – From Beyrouth with Love". Der nach Frankreich immigrierte und doch an nichts als an den Libanon denkende Jungregisseur zeigt ebenso wie der 48jährige Salhab das Land aus Sicht einer rastlosen Jugend.

Doch während Salhab den andauernden Leerlauf in seinem 120-minütigen Film auch zeitlich spürbar macht, rennt Noureddines Libanon: Zwischen Gewalt, Verzweiflung und Drogen schärft sein Video-Tagebuch, wie es einmal betitelt wurde, den Blick für das, was ist und das, was hätte sein können.

Während im Betrachter die Trauer und Bestürzung über westliche Stereotypen und vor allem über westliche Aggressionen wachsen, ergreifen Libanons Künstler die Initiative, indem sie die Brücken zum Okzident suchen und schlagen, wie etwa Jalal Toufic in seiner Studie zum Aschura-Fest.

Leidensfähigkeit und Zusammenhalt

Wer die Klagedichtungen, Passionsspiele und Selbstgeißelungen, mit denen die Schiiten des Martyriums ihres Imams Hussain gedenken, nicht versteht, erhält von Jacques Derrida, Gilles Deleuze oder Nietzsche Auskunft: "Man brennt etwas ein, damit es im Gedächtnis bleibt: nur, was nicht aufhört, weh zu tun, bleibt im Gedächtnis".

Erinnert wird so auch eine politische Botschaft: Leidensfähigkeit und Zusammenhalt sind die beste Wappnung vor Unterdrückung. Das Bild der selbstbewussten Hisbollah muss nicht gezeigt werden, um im Zuschauerraum präsent zu sein.

Mai Masris "Beirut Diaries – Truth, Lies and Videos" führt indes die beiden Lager des 14. und des 8. März vor, die seit der "Zedernrevolution" vor anderthalb Jahren das Land spalten.

Über Monate hinweg begleitete Masri Jugendliche, die auf dem "Platz der Märtyrer" für Unabhängigkeit demonstrierten – von der syrischen Besatzung ebenso wie von den eigenen Konfessionsschlingen, ausgelegt von profitsüchtigen Warlords. Vergebens.

Ist der Libanon nach dem Julikrieg tatsächlich, wie von Israel angekündigt, in vergangen Geglaubtes zurückgeworfen? Steckt er hilflos in einem fremd und selbst geschaffenen zerstörerischen Kreislauf fest?

Die Bilder, die seine hellwache Filmszene hervorbringt, geben nur eine Antwort: Hier sind unsere Realitäten und Präsenzen, seht sie an, statt blind medialen "Dokumenten" zu folgen. Eine mitunter zornige Antwort, aber keine hilflose.

Mona Sarkis

© Qantara.de 2006

Qantara.de

Arabischer Dokumentarfilm
Nicht alles ist Aufbruch
"Tausendundein Bild – der arabische Dokumentarfilm im Aufbruch" lautete ein Schwerpunkt des internationalen Leipziger Festivals für Dokumentarfilm in diesem Jahr. 17 Filme von Marokko bis Saudi-Arabien gaben Einblick in Produktion, neue Trends und Antwort auf die Frage, was den arabischen Dokumentarfilm eigentlich ausmacht? Von Martin Gerner

Arabisches Kino
Aufbruch einer neuen Dokumentarfilmkultur
Wer mit Filmkultur in der arabischen Welt nur ägyptische Seifenopern oder intellektuelle Elitefilme verbindet, liegt falsch. Denn seit einigen Jahren ist das arabische Interesse am Dokumentarfilm deutlich gewachsen. Von Christina Förch aus Beirut

Dokumentarfilm
Wenn Krieg sich wie Krieg anfühlt
Wie fühlt sich Krieg an, wenn man über ihn berichten muss? Der Filmemacher Esteban Uyarra porträtiert in seinem Dokumentarfilm "War feels like war" Journalisten, die weder mit Helm und schutzsicherer Weste, noch mit Hilfe amerikanischer Militärs über den Krieg im Irak berichteten. Der Film erscheint in den nächsten Monaten bei der BBC.