"Ich muss fort, da meine Stadt zu Staub wird"

In 'Queens of Syria' klingen die alten griechischen Sagen von Verlust und Vertreibung an und finden ihren Widerhall in der Wirklichkeit der weiblichen syrischen Flüchtlinge, deren Erlebnisse aus Krieg und Exil oft unbeachtet bleiben. Von Heather Mc Robie

Von Heather Mc Robie

Die Premiere von 'Queens of Syria' im Vereinigten Königreich fand im Februar dieses Jahres in Glasgow statt. Regie führte Yasmin Fedda. Der Film verleiht syrischen Frauen, die den noch immer anhaltenden Krieg in ihrem Land durchlitten haben, eine Stimme. Er verdeutlicht zudem die universellen Wahrheiten eines Krieges. Wahrheiten, die häufig hinter den Schlagzeilen der Medien und hinter den Video-Inszenierungen des IS zu verschwinden drohen. Dies gilt für den tiefen Schmerz über den Verlust der Heimat ebenso wie für die kräftezehrende Aufgabe, sich ein neues Leben aufzubauen, nachdem die Heimat in Feuer aufgegangen ist.

Im Mittelpunkt des Films steht eine Gruppe syrischer Flüchtlingsfrauen, die derzeit in Amman lebt und sich zum Ziel gesetzt hat, die Tragödie "Die Troerinnen" von Euripides aufzuführen. Das Stück entstand vermutlich 415 v. Chr. während des Peloponnesischen Krieges.

Kinoplakat des Films "Queens of Syria"; Regie: Yasmin Fedda

Die Frauen machten Ende 2013 mit ihren Aufführungen und der innovativen Bühnenproduktion in Amman die Themen Verlust, Vertreibung und Schmerz über die Kriegserlebnisse zu einer bedrückend universellen Erfahrung. Der Frauenchor, der den griechischen Text vorträgt, wird von Monologen über die Erlebnisse im zeitgenössischen Syrien unterbrochen. Doch Ton und Themen sind so eng miteinander verflochten, dass kaum zu unterscheiden ist, welche Zeilen von Euripides stammen und welche dem Leben der Frauen entnommen sind, die dem Syrienkrieg entflohen

Im Land des Todes

"Unsere Väter und Brüder leben im Land des Todes", rufen die Frauen gemeinsam. Diese Zeile stammt von Euripides, beschreibt aber gleichzeitig die Situation in Jordanien, wo viele Frauen nun alleine für ihre Familien verantwortlich sind, da die Männer entweder fielen oder im Krieg vermisst sind. Der Chor erzählt von Frauen, die "ihren Herren zugeteilt sind... Doch Troerinnen, die nicht zugeteilt wurden, sind in diesen Zelten". Der Chor beschwört damit das Bild eines antiken Schlachtfeldes ebenso wie das aktuelle Bild von Zaatari, dem Flüchtlingslager im Norden Jordaniens, wo derzeit mehr als 100.000 syrische Flüchtlinge provisorisch unterkommen.

Der Film begleitet die Gruppe von etwa 30 Frauen, von denen keine jemals zuvor auf der Bühne stand. Er zeigt, wie sie für die Aufführung in Amman proben und über ihre Erlebnisse sprechen: Als Syrerinnen, als Flüchtlinge und als Frauen, die sich auf die neue Wirklichkeit einstellen müssen.

Manche der beteiligten Frauen ziehen Parallelen zwischen ihren eigenen Erlebnissen und der Erzählung von Euripides. Während sie in der Küche in ihrer neuen, ärmlichen Unterkunft in Amman kocht, sagt eine: "Hekabe ist mir so nah...sie verlor alles, was sie hatte. Ihre Kinder und ihre Familie...So wie wir. Einst war sie eine Königin in ihrem Haus. Ihr Haus war ihr Königreich, das sie nach ihrer Vorstellung führte. Hekabe sagt: 'Einst war ich die Herrin dieses Orts, doch nun bin ich nichts.' So ergeht es heute uns." Eine weitere Darstellerin, die offen politisch Stellung bezieht zu den Gräueltaten des Assad-Regimes, sagt: "Der Charakter von Kassandra ist mir ähnlich. Denn ich möchte mich rächen für das, was mir zustieß."

Der Film nimmt uns mit in die internen Dynamiken und Diskussionen auf den Proben, wo sich die Frauen dramaturgischen Übungen unterziehen. So schreibt jede beispielsweise einen Brief an einen Menschen in Syrien, den sie sehen möchte. Diese Briefe werden dann auf der Bühne während der Aufführung verlesen.

Sklave im Haus meiner Feinde

Yasmin Fedda mischt Bilder der endgültigen Aufführung mit Szenen aus den Proben und aus Zwiegesprächen mit den Frauen. Ihre Regieführung trägt zum Eindruck vieler ineinander verflochtener Geschichten bei, ebenso wie zum Grundthema über die Erlebnisse der Frauen im Krieg, die so häufig unbeachtet bleiben.

So rufen die Frauen gemeinsam im Chor: "Ich werde ein Sklave im Haus meiner Feinde sein. Ich werde meinen Liebsten vergessen und mein Herz einem neuen Mann öffnen müssen. Und ich werde ein Verräter an der Seele meines toten Mannes sein."

Die Brutalität des Syrienkonflikts erinnert geschlechterspezifisch an das ehemalige Jugoslawien: Projekte wie Women Under Siege (Frauen unter Belagerung) und Menschenrechtsorganisationen wie "Human Rights Watch" haben erschreckend viele Fälle sexueller Gewalt als Ergebnis des Konflikts dokumentiert, ebenso wie Folter, Missbrauch und willkürliche Verhaftung durch die Truppen Assads, regierungstreuer Milizen, bewaffneter Oppositionsgruppen und zuletzt auch durch den IS.

Die Vereinten Nationen bezeichnen die Vergewaltigungen in Syrien als "Kriegswaffe". Die Auswirkungen verfolgen syrische Frauen auf ihrer Flucht vor dem Konflikt in die Nachbarländer. Dr. Manal Tahtamouni eröffnete 2013 eine Frauenklinik im Flüchtlingslager Zaatari. Sie hatte nach eigenen Angaben täglich mit 300 bis 400 Fällen zu tun. Viele davon waren Opfer häuslicher und sexueller Gewalt, ein Thema, das weiterhin kulturell tabu ist und Schande und Stigmatisierung über die Betroffenen bringt.

Die von Euripides thematisierte Vertreibung und Traumatisierung infolge des Krieges hallt in den Erlebnissen der weiblichen syrischen Flüchtlinge wider. Nach geglückter Flucht stehen auch sie vor zahlreichen Problemen. Die Frauen zeichnen eine Karte ihrer Route von Syrien nach Jordanien. Eine Frau berichtet, sie sei innerhalb eines Jahres dutzendmal umgezogen.

Als ab 2013 immer mehr Menschen ins Flüchtlingslager Zaatari im Norden Jordaniens strömten, entstand ein Brautmodenverleih als Reaktion auf die sprunghaft ansteigenden Heiratszahlen junger syrischer Frauen. Viele davon sind laut UNICEF jünger als 18 Jahre. Ihnen drohen häusliche Gewalt und ein abruptes Ende ihrer Ausbildung.

Unsicherheit und Bedrohung im jordanischen Exil

Sowohl im Flüchtlingslager Zaatari als auch in Amman, wohin es die Frauen aus 'Queens of Syria' verschlagen hat, ist das Leben als Flüchtling erdrückend und erniedrigend. Jordanien wurde zwar für seine Bemühungen um die Aufnahme vertriebener Syrer gelobt, vor allem im Vergleich zur Diskriminierung, die syrische Flüchtlinge im Libanon erleiden müssen. Aber auch in Jordanien ist es Flüchtlingen offiziell nicht erlaubt zu arbeiten. Die tagtägliche Ausbeutung lässt die Syrer in Jordanien mit dem Gefühl der ständigen Unsicherheit und Bedrohung zurück.

'Queens of Syria' greift diese Situation auf und überlässt es den Frauen, das Stück so aufzuführen, dass sie diese Dinge in ihrem eigenen Tempo und auf ihre eigene Art thematisieren. Während der Proben spielen die Frauen Momente ihrer Ohnmacht nach. So erinnert sich eine Frau an einen Vorfall in Syrien: "15 bewaffnete und maskierte Männer kamen herein. Wir konnten nur ihre Augen sehen."

Das Stück und der Film sprechen gemeinsam zu den Frauen und für die Frauen. Während Aufführung und Film den Kampf der Frauen dem Publikum nahebringen, schaffen die Workshops und Proben einen Raum für die Frauen, den sie erkunden und wo sie ihre Traumata durch Theatertherapie verarbeiten können.

Heather Mc Robie

© OpenDemocracy 2016

Übersetzt aus dem Englischen von Peter Lammers