Alltag gegen Willenskraft

In dieser Woche beginnt der islamische Fastenmonat Ramadan. Durch das Fasten, dem Verzicht auf Speisen und Getränke, soll die Situation der Armen nachempfunden werden. Für praktizierende Muslime in westlichen Ländern ist das eine besondere Herausforderung. Von Ulrike Hummel

Türkische Muslime beim gemeinsamen Fastenbrechen; Foto: dpa
"In westlichen Ländern erleben Muslime den Fastenmonat als religiöse Minderheit", so Hummel. Für viele stellt das eine besondere Herausforderung dar.

​​ Schon seit Wochen fiebern viele der rund vier Millionen Muslime in Deutschland dem Fastenmonat Ramadan entgegen. Vier Wochen lang dürfen die Gläubigen zwischen Morgendämmerung und Sonnenuntergang weder essen noch trinken – ein Ausnahmezustand für den Körper.

In islamisch geprägten Ländern ist man während dieser Wochen voll und ganz auf die Fastenzeit eingestellt: Städte und Dörfer werden aufwändig mit Lichterketten dekoriert, ein reichhaltiges Angebot von Obst, Gemüse und anderen Speisen macht die Märkte auf den Straßen noch lebendiger als sonst. In besonders heißen Regionen werden die Arbeitszeiten in die Nacht verlegt, Imbissbuden und Restaurants öffnen erst nach Sonnenuntergang.

Durchhalten schwer gemacht

In westlichen Ländern erleben Muslime den Fastenmonat als religiöse Minderheit. In der Regel ist das eine besondere Herausforderung, die nicht jeder Gläubige annehmen will oder kann.

Azima Moustafa und Haidar Omar leben seit 13 Jahren in Deutschland. Während das kurdische Paar in Syrien kein Fastenmonat ausließ, fällt es den beiden nun zunehmend schwer, auch hier auf Essen und Trinken zu verzichten. "In Syrien habe ich jedes Jahr gefastet. Auch in Deutschland habe ich bis vor kurzem durchgehalten. Aber letztes Jahr habe ich es nur ein paar Tage geschafft", sagt Azima Moustafa. Je mehr der Ramadan in die Sommerzeit fällt, umso mehr Stunden müssen Muslime bis zum Fastenbrechen warten.

Haider Omar und Azima Moustafa; Foto: Ulrike Hummel
Das Gemeinschaftsgefühl fehlt: "In Syrien habe ich jedes Jahr gefastet. Auch in Deutschland habe ich bis vor kurzem durchgehalten. Aber letztes Jahr habe ich es nur ein paar Tage geschafft", sagt Azima Moustafa.

​​ Auch die Hitze hat der an Asthma leidenden Frau zugesetzt, so dass sie es vorzog, das Fasten zu unterbrechen. Haidar Omar fastet schon seit Jahren nicht mehr: "In Syrien faste ich natürlich mit, aber seit ich hier lebe, kann ich das nicht mehr. Ich arbeite im Trockenbau, das ist schwere körperliche Arbeit und man hat ständig Durst. Um das Fastengebot einzuhalten, müsste ich einen ganzen Monat zuhause bleiben, das aber ist gar nicht so einfach".

Der 38-jährige Trockenbauer weiß, dass sein Arbeitgeber während der Hochsaison auf keine Arbeitskraft verzichten kann. Auch für die 31-jährige Azima wird es dieses Mal schwierig. Mit zwei Kindern und einer eigenen Mode-Boutique in Köln ist sie von morgens bis abends auf den Beinen – Mitarbeiter kann sie sich noch nicht leisten.

Kraftsuche in der Moschee

Außerdem fehlt Azima das Gemeinschaftsgefühl, das den Gläubigen in muslimisch geprägten Ländern Kraft gibt. In ihrer Glaubensgemeinschaft in Syrien würde sie durchhalten, da ist sich Azima sicher. Wer hierzulande gegen Schwächegefühl und Konzentrationsmangel ankämpfen muss, sucht die Kraft und das Gemeinschaftsgefühl bei Besuchen in den Moscheen.

Abdelwahab Alioui, Imam der Krefelder Al-Qods Moschee; Foto: Ulrike Hummel
Während des Ramadan entdecken viele Muslime die Moschee für sich wieder: "Für uns Imame ist das eine Gelegenheit, Gläubige auch an ihre anderen religiösen Pflichten zu erinnern", so der Imam Abdelwahab Alioui.

​​ Abdelwahab Alioui ist Imam in der Krefelder Al-Qods Moschee und weiß, dass er auch dieses Jahr wieder viele Muslime treffen wird, die er sonst nicht oft sieht. "Während des Ramadan kommen viel mehr Menschen zur Moschee als sonst. Männer wie Frauen, alte und junge Gläubige sowie Eltern mit ihren Kindern. Für uns Imame ist das eine Gelegenheit, Gläubige auch an ihre anderen religiösen Pflichten zu erinnern. Das bedeutet, seine Mitmenschen nicht zu beschimpfen, zu belügen oder zu bestehlen, unabhängig von deren Religionszugehörigkeit", sagt Abdelwahab Alioui.

Während Haider und seine Frau Azima im Ramadan an körperliche Grenzen stoßen, bereitet sich Mohammed Al-Ibrahim schon Wochen vorher innerlich auf die Fastenzeit vor: Seit gut 20 Jahren lebt der 42-jährige Mediziner in Köln und macht alljährlich den Ramadan mit.

Für den gebürtigen Kuwaiter ist Deutschland eine Herausforderung – nicht nur wegen der geöffneten Imbissbuden und Restaurants: "Ich sehe Menschen, die essen und trinken, ich laufe an Imbissbuden vorbei und kriege natürlich die leckeren Gerüche mit. Das regt den Appetit an und der Hunger macht sich stärker bemerkbar. Besonders den weiblichen Reizen zu widerstehen, das ist gerade in der Sommerzeit sehr, sehr schwer." Während der Fastenzeit geht es nicht nur um Verzicht auf Essen und Trinken; auch Rauchen und Sexualität sind tabu, bis das Fasten allabendlich gebrochen wird.

Nicht-Faster haben es schwer

Vier Wochen lang üben sich Muslime in Selbstbeherrschung. Das hat einerseits einen gesundheitlichen Aspekt. Durch das Hungern und Dürsten wird allerdings auch die Situation der Armen nachempfunden. Der Lerneffekt: Auch die Reichen sollen den Hunger spüren. Eine Spende für Bedürftige ist für jeden Muslim im Ramadan Pflicht.

Mehr als 73 Prozent der türkischstämmigen Muslime in Deutschland fasten, so eine Umfrage des Essener Zentrums für Türkeistudien aus dem Jahr 2005. Danach ist die Vorschrift des Fastens das am meisten eingehaltene religiöse Gebot.

Reich dekorierte Straße während des Ramadan; Foto: AP
In islamisch geprägten Ländern ist man während des Ramadan voll und ganz auf die Fastenzeit eingestellt: Oft säumen aufwendige Dekorationen die Straßen.

​​ Wer dieses Gebot jedoch nicht befolgt, der bekommt einen gewissen Druck innerhalb der muslimischen Gemeinschaft durchaus zu spüren. "Wer im Ramadan nicht fastet, wird von manchen Muslimen schief angeguckt. Sie machen dir Vorwürfe und respektieren deine Entscheidung nicht. Dabei ist das eine Sache zwischen mir und Gott", sagt Azima Moustafa. Auch Beschimpfungen habe es schon gegeben, erzählt die 31-Jährige.

Im Islam aber gibt es durchaus Ausnahmen: Zur religiösen Pflicht wird das Fasten erst ab der Pubertät. Kranke und ältere Menschen sowie Reisende sind vom Fastengebot befreit und können fehlende Fastentage später nachholen. Der Verzicht soll schließlich der Gesundheit dienen und Körper, Geist und Seele reinigen.

Ulrike Hummel

© Deutsche Welle 2010

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de

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