Gedächtnisverlust im Mittelmeerraum?

Nicolas Sarkozy hat sich während seines Besuches in Marokko für ein neues Mittelmeer-Bündnis ausgesprochen. Ob dieser Vorschlag ernst zu nehmen ist, untersucht Catherine Cornet in ihrer Analyse.

Nicola Sarkozy; Foto: dpa
Sarkozy möchte ein neues Mittelmeerbündnis schließen - Was steckt hinter den großen Ankündigungen?

​​Traurigerweise ist mittlerweile offensichtlich geworden, dass die 1995 in Barcelona gestartete Euro-Mediterrane Partnerschaft gescheitert ist. Europa und die Länder südlich des Mittelmeers haben Probleme, kohärente und effiziente Rahmenbedingungen für ihre Diskussionen zu finden.

Seit dem 11. September sind aufgrund der instabilen Lage im Nahen Osten und der Skepsis gegenüber Europas unklarer politischen Rolle auf dem internationalen Parkett – besonders in der Beziehung zu den Vereinigten Staaten – offene Dialoge kaum mehr möglich.

Das letzte Wahlergebnis in der Türkei und die Entscheidung des Landes, in Kurdistan zu intervenieren, spalten die europäischen Staaten.

In diesem Zusammenhang hat sich Nicolas Sarkozy, Verfechter des Kampfes gegen Immigration und Gegner des türkischen EU-Beitritts, kürzlich während seines offiziellen Besuchs in Marokko erneut für ein "Mittelmeer-Bündnis" ausgesprochen. Aber kann man dieses Bündnis, das zwischen Gedächtnisverlust und Verklärung leidet, ernst nehmen?

Diplomatische Amnesie?

In Anbetracht der Tatsache, dass die EU seit ihrer Erweiterung in Richtung Osten den Dialog mit den Mittelmeerstaaten stark eingedämmt hat, ist ein neuer Versuch, ein solches Bündnis zu etablieren, sicher nützlich. Doch so wie Sarkozy diese Idee voran zu treiben gedenkt – eine Idee, die in seinem Wahlkampf als absolut neu verkauft wurde – scheint sie kaum überzeugend. In seiner Verschwommenheit ist das Projekt sowohl ausweichend wie auch auf Einigkeit aus.

Sein Wortschatz entstammt dem Wörterbuch der Europäischen Union: Der französische Präsident schlägt eine Verbindung vor, die auf "vier Säulen basiert: Umwelt, Dialog der Kulturen, ökonomisches Wachstum und Sicherheit."

Die Initiative wird definiert als "gemeinsames Projekt all jener, die an der Zukunft der Mittelmeerregion interessiert sind." Obgleich einige Institutionen genannt werden, zum Beispiel eine Investment Bank und eine Universität aus dem Mittelmeerraum, sind doch zu wenige Elemente bekannt, um ein fundiertes Urteil zu fällen.

Doch die Fehler von Barcelona sollten Frankreich eines Besseren belehrt haben. Deutlich zu sehen war dies anhand des Mittelmeer-Kultur-Workshops unter der Leitung von Präsident Chirac, kurz vor Ende seiner letzten Amtszeit. Dieses Projekt
hat die früheren euro-mediterranen Kulturinitiativen völlig außer Acht gelassen und handelte wie unter Gedächtnisverlust.

Und obgleich Frankreich die Verfehlungen von Barcelona moniert, kann es doch selbst diese Verfehlungen und ihre Ursachen nicht kritisch analysieren. Somit ist es recht wahrscheinlich, dass Sarkozys großspurige Ankündigungen an denselben Fehlern scheitern.

Aus politischer Sicht ist das Barcelona-Abkommen vor allem in seinen Bemühungen, den Dialog zwischen Israel und Palästina voranzutreiben, gescheitert. Europas Image als Hauptdarsteller auf dem internationalen Parkett hat stark gelitten an dieser Unfähigkeit, zwischen Israel und Palästina zu vermitteln, obgleich doch Europa einer der Hauptsponsoren des Friedensprozesses war.

Heute könnte der geplante EU-Beitritt der Türkei zu einem neuen Fallstrick für das Mittelmeer-Bündnis werden. Auch wenn der französische Präsident für eine Unterbrechung der bisherigen Politik seines Landes mit den arabischen Staaten steht, so stellt für viele Beobachter das Mittelmeer-Bündnis Frankreichs verstärkte Bemühungen in der Außenpolitik dar, die den EU-Beitritt der Türkei verhindern sollen.

Last but not least hat man es, ebenso wie in Barcelona vor zehn Jahren, versäumt, ein Bündnis zu schaffen, das die Stärkung von Demokratie und Menschenrechten beobachtet. Zusammen mit der Euromed-Zusammenkunft in Luxemburg haben die euro-mediterranen NGOs in ihrer Abschlusserklärung folgendes deutlich gemacht:

"Die südlichen und östlichen Regionen der Mittelmeerländer sind die Länder auf der Welt, die von einer Krise in der Demokratisierung, der Grundrechte und Menschenrechte am meisten betroffen sind. Die Teilnehmer merken an, dass die Durchführung der Ziele der Euro-Meditarrene-Kooperation und der European Neighbourhood Policy konkrete Handlungen erfordern, die politische Reformen ermöglichen, sowohl in den südlichen wie auch nördlichen Staaten."

Während seines Besuchs in Marokko hat der französische Präsident keine dieser Hürden erwähnt. Doch auch am Rande der Euro-Med-Versammlung kam das Thema in diversen zivilen Foren so oft zur Sprache, dass man es nicht ignorieren konnte.

Die Themen des Mittelmeer-Bündnisses und der Westsahara waren in den marokkanischen Medien die meist diskutierten während Sarkozys Besuch. Die meisten Berichte konzentrierten sich auf die allgemein sichtbare Skepsis.

Eine leere Hülle

Während Aujourd'hui le Maroc sich mit einer Meinung noch zurückhält und lieber nach einer genaueren Antwort sucht auf die Frage, "was denn dieses berühmte und immer noch mysteriöse Mittelmeer-Bündnis" wohl sei, spricht die Nouvelle Tribune du Maroc klarere Worte:

"Ist dieses Projekt wirklich eine Chimäre? Es evoziert ein Gefühl von milder Skepsis an den Küsten des Maghreb, zerrissen von ihren Rivalitäten, und es gibt keine Aussicht auf Besserung. Derzeit wirkt das Projekt noch wie eine leere Hülle, ein abstraktes Konzept, obwohl es im zweiten Halbjahr 2008 Form annehmen sollte, vor der französischen Präsidentschaft der EU."

Die Maroccan Daily fügt hinzu, dass der Mangel an politischem Willen in dieser französischen Politik eklatant sei: "Der französische Präsident hat zwei massive Rückschläge erlitten. In den letzten zwei Wochen haben Michel Rocard und Alain Juppé beide die Aufgabe abgelehnt, die Mission, die europäischen und mediterranen Beziehungen zu stärken, zu führen."

Initiative gründen

Die Durchführbarkeit dieses ambitionierten Projekts hängt auch von der finanziellen Verpflichtung ab, die die Mitglieder eingehen wollen. Dieser Punkt ist einer der Hauptschwachpunkte, was die International Herald Tribune auch herausstellt:

"Eine Idee wäre eine Tourismussteuer in den Mitgliedsstaaten, doch dies sei eine unpopuläre Maßnahme in den ärmeren südlichen Ländern, so der Diplomat. Eine weitere Quelle wären EU-Mittel für die Förderung der Nachbarstaaten. Doch wenige nordeuropäische Länder sind bereit, ein Projekt mitzufinanzieren, von dem viele glauben, es sei nur ein Mittel, um den französischen Präsidenten als Führungsfigur zu profilieren und Frankreichs eigene strategischen und ökonomischen Ziele zu verfolgen."

Tatsächlich hat Präsident Sarkozy während seines Aufenthalts in Marokko zivile wie militärische Verträge über drei Milliarden Euro unterzeichnet.

Verdeckter Bilateralismus?

Das Finanzierungsproblem ist untrennbar mit der Tatsache verbunden, dass Frankreich mit seinen Bemühungen scheinbar alleine dasteht. Cristophe Ayad, Sonderkorrespondent der Libération in Marokko, sieht keinerlei positive Reaktionen von Frankreichs europäischen Partnern:

"Im Norden zeigt Spanien keinerlei Anstalten, Frankreich zur Seite zu stehen. Berlin und London müssen nicht erwähnt werden, da sie kein Interesse daran haben, Frankreichs wiedererlangte "Grandeur" im Mittelmeerraum zu finanzieren!

Der Politikwissenschaftler Oliver Roy glaubt auch, dass Frankreichs Vorstoß nicht mit den europäischen Partnern abgesprochen war. Er erachtet die EU als "eine effektive Möglichkeit, sein bilaterales Interesse zu verfolgen, was aber die Probleme der Region nicht lösen wird."

Das Mittelmeer-Bündnis wurde zum ersten Mal am sechsten Mai angesprochen, als Nicolas Sarkozy als französischer Präsident vereidigt wurde. Bei dieser Gelegenheit sagte Sarkozy, "es sei an der Zeit, gemeinsam ein Bündnis zu bilden, das Afrika und Europa näher zusammen bringen wird", und machte dieses Thema so zu einem Thema für sein Parlament.

Sechs Monate später wurde seinem Besuch in Marokko und seinen vagen Vorschlägen nicht der erwartete Enthusiasmus von seinen Partnern entgegengebracht, weder im Süden noch im Norden.

In der Zwischenzeit vermehren sich die Konfliktherde im Mittelmeerraum. Die Zahl der Todesopfer in Zusammenhang mit illegaler Einwanderung in Richtung europäischer Küste steigt täglich. Die Palästinafrage war lang nicht so vertrackt und aussichtslos.

Die Menschen im Mittelmeerraum haben mehr verdient, als nebulöse Deklarationen oder alte Versprechen, die als neu verkauft werden.

Catherine Cornet

© Babelmed 2007

Aus dem Englischen von Rasha Khayat

Qantara.de

Euro-Mediterrane Partnerschaft
Abschottung statt Freihandel
Die 1995 in Leben gerufene "Euro-Mediterrane Partnerschaft" hatte sich neben Frieden und Stabilität in der Region auch die Einrichtung einer regionalen Freihandelszone bis zum Jahr 2010 zum Ziel gesteckt. Davon sind die Partner jedoch weit entfernt. Bernhard Schmid mit Hintergründen

Sarkozys Traum von der "Mittelmeer-Union":
Eine Alternative zum Barcelona-Prozess?
Die erste außereuropäische Reise führte den französischen Präsidenten Sarkozy Anfang Juli nach Algerien und Tunesien, wo er für seine Idee einer Mittelmeer-Union warb. Über die Ergebnisse berichtet Salim Boukhdhir.

Die EU und Ägypten
Stabilität oder Demokratisierung?
In wirtschaftlicher Hinsicht wünscht sich die ägyptische Regierung eine Kooperation mit der EU, lehnt aber deren Menschenrechts-Konzepte als innere Einmischung ab. Isabel Schäfer zeigt das Dilemma der "Euro-Mediterranen Partnerschaft" auf.

www
Babelmed