Wirtschaft vor Menschenrecht

Der Besuch des usbekischen Präsidenten Islam Karimow in Brüssel ist bei Menschenrechtsaktivisten auf scharfe Kritik gestoßen. Sie sehen darin ein fatales Signal an den autokratischen Herrscher, seine autoritäre Politik weiter fortsetzen zu können. Von Edda Schlager

Der Besuch des usbekischen Präsidenten Islam Karimow in Brüssel ist bei Menschenrechtsaktivisten auf scharfe Kritik gestoßen. Sie sehen darin ein fatales Signal an den autokratischen Herrscher, seine autoritäre Politik weiter fortsetzen zu können, ohne internationale Konsequenzen fürchten zu müssen. Von Edda Schlager

Islam Karimow (l.) zu Besuch bei José Manuel Barroso; Foto: AP
Falsche politische Signale: Menschenrechtsaktivisten fürchten, der umstrittene Autokrat aus Taschkent werde durch seinen Besuch bei der EU geadelt.

​​ Wie es Jamshid Karimow geht, weiß derzeit keiner seiner Kollegen. Zum letzten Mal wurde der Journalist am 12. September 2006 gesehen, als er seine kranke Mutter besuchen wollte. Dann verschwand er. Zwei Wochen später erfuhr die Familie, dass er in eine psychiatrische Klinik eingeliefert worden war. Dort sitzt Karimow bis heute.

Lediglich sein Onkel ist vermutlich gut über Jamshids Gesundheitszustand informiert. Denn Jamshid ist der Neffe des usbekischen Präsidenten Islam Karimow. "Der", so ist Abdujalil Boymatow von der "Gesellschaft für Menschenrechte" in Usbekistan überzeugt, "hat die Einweisung seines Neffen angeordnet", ebenso die wiederholten psychiatrischen Zwangsbehandlungen, die bei ihm Wahrnehmungsstörungen und zeitweilige Blindheit auslösten.

Jamshid Karimow ist einer der wenigen regimekritischen Journalisten im zentralasiatischen Usbekistan, das seit 1989 von Islam Karimow – erst als Chef der Kommunistischen Partei, dann als Präsident – regiert wird. Der Journalist arbeitete für ferghana.ru und für das "Institute for War and Peace Reporting" (IWPR), - aus dem Ausland betriebene Internetseiten, die den einzigen Zugang zu unabhängigen Nachrichten in Usbekistan darstellen.

Repression auf der Tagesordnung

Fälle wie der von Jamshid Karimow sind der Grund, warum der usbekische Präsident Islam Karimow als einer der gefährlichsten Despoten weltweit gilt – auf Augenhöhe mit den Herrschern im Sudan und in Nordkorea. Mord, Folter und Repressionen gegen Regimekritiker stehen auf der Tagesordnung.

Dennoch haben EU und NATO Karimow am 24. Januar in Brüssel empfangen. Er traf dort auf den Präsidenten der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso, den EU-Kommissar für Energie, Günther Oettinger, sowie NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.

Das einzige konkrete Ergebnis, das auch an die Öffentlichkeit drang, ist ein Abkommen über die Gründung einer EU-Delegation in Usbekistan. Ansonsten hielt man sich in Brüssel bedeckt, nicht einmal eine sonst übliche Pressekonferenz fand statt, was Christian Rickerts, Geschäftsführer von "Reporter ohne Grenzen", kritisierte: "Das unterstreicht den Eindruck, dass die EU-Politiker Karimow während seines Brüssel-Besuchs unangenehme Fragen ersparen wollten. Wir sind enttäuscht über diese Gefälligkeit."

Das Treffen wurde von Menschrechtlern weltweit kritisiert. Für die Chefredakteurin des unabhängigen Portals uznews.net, deren Name aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden kann, ist es "ein absolut falsches Signal an Usbekistan, dass die EU Karimow auf Augenhöhe trifft."

Fingierte Anklage

Militär schießt in ANdischan; Foto: AP
Schützenhilfe für das autokratische Regime: Am 13. Mai 2005 wurden nach Informationen von "Human Rights Watch" schätzungsweise 500 Personen vom Militär in Andischan erschossen, Tausende flohen ins Ausland.

​​Derzeit sind in Usbekistan elf Journalisten und 15 Menschenrechtler inhaftiert. Unter ihnen auch Salijon Abdurakhmanow, der für uznews.net aus Karakalpakstan berichtete. Seit Juni 2008 ist Abdurakhmanow in Haft, zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt wegen Drogenhandels. Abdurakhmanow, so ist sich die Chefin von uznews.net sicher, ist unschuldig. "Die Drogen, die man in seinem Auto gefunden hat und auf denen die gesamte Anklage beruht, wurden hineingeschmuggelt."

Die Uznews-Chefin selbst ist aus Usbekistan geflohen, wie viele andere usbekische Menschenrechtler und Journalisten. Doch selbst außerhalb der Landesgrenzen sind Kritiker des usbekischen Regimes nicht sicher. Der usbekische Journalist Alisher Saipow betrieb die usbekische Wochenzeitung "Siyosat".

Sein Hauptthema: Das Zusammenleben von Usbeken und Kirgisen im Süden von Kirgistan, wo im vergangenen Jahr bei ethnischen Auseinandersetzungen mehr als 1.000 Menschen starben. Saipow wurde im Oktober 2007 im kirgisischen Osch, wo er lebte, auf offener Straße erschossen. Der Mord wurde nie endgültig aufgeklärt, doch Menschenrechtler vermuten bis heute, dass auch hier der usbekische Geheimdienst involviert gewesen ist.

Im Ferghana-Tal an der Grenze von Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan, die am dichteste besiedelte Region in Zentralasien, lag im Mai 2005 auch der Ausgangspunkt der Proteste gegen das Regime Karimow, die weltweit für Aufsehen sorgten.

Das Massaker von Andischan

In Andischan ließ Karimow damals mehrere Hundert Menschen – angebliche Fundamentalisten – erschießen. Mit der fehlenden Aufarbeitung des Massakers von Andischan manövrierte der usbekische Präsident sein Land in die Isolation. Das Land schottete sich politisch zunehmend ab, Regimekritiker wurden noch härter bestraft.

Nach den Ereignissen von Andischan verhängte die EU Sanktionen gegen Usbekistan, unter anderem ein Waffenembargo und ein Einreiseverbot für zwölf führende usbekische Politiker. Doch weil Usbekistan einige Regimekritiker aus der Haft entließ, hob die EU die Sanktionen im Jahr 2009 wieder auf.

Karte Usbekistans und der angrenzenden zentralasiatischen Staaten; Foto: DW
Gute Geschäfte mit den zentralasiatischen Diktatoren: EU-Energiekommissar Günther Oettinger hatte angekündigt, die EU werde innerhalb der nächsten "zwei bis drei Jahre" Gas aus der Region um das kaspische Meer beziehen. Die Gewährleistung dieses "südlichen Energie-Korridors" soll Europa unabhängiger von russischen Energie-Lieferungen machen.

​​Für Zentralasien-Experten indes ist klar, die erneute Annäherung zwischen Europa und Usbekistan ist geostrategischen Interessen geschuldet. Nicht Demokratiebemühungen oder Menschenrechte standen in Brüssel im Vordergrund, sondern Energiefragen und Afghanistan.

Usbekistan verfügt über Reserven von etwa 1,68 Billionen Kubikmetern Erdgas, 64,4 Milliarden Kubikmeter wurden 2009 produziert. Damit ist Usbekistan innerhalb der GUS-Staaten nach Russland zweitgrößter Erdgas-Produzent, doch ein Großteil der usbekischen Gasreserven ist noch gar nicht erschlossen.

Das Land gilt damit als wichtiger Partner für die Nabucco-Pipeline, die Europas Energieversorgung diversifizieren und damit die Abhängigkeit von Lieferungen aus Russland lösen soll. Doch das Milliarden-Projekt, an dem der deutsche RWE-Konzern beteiligt ist, krankt schon vor Baubeginn an der Unzuverlässigkeit der potentiellen Zulieferer.

So hat Usbekistans Nachbar Turkmenistan, bisher als Zulieferer für Nabucco gesetzt, erst kürzlich umfassende Lieferverträge mit Russland und China abgeschlossen. Und auch Usbekistan ist an Kooperationen mit den in Sachen Menschenrechte weitaus anspruchsloseren Partnern interessiert. Würde Europa also auf einer weniger toleranten Haltung bestehen, stünde der Erfolg von Nabucco auf dem Spiel.

Strategische Allianzen

Karimow hat gegenüber Europa auch anderweitig gute Karten. Denn Usbekistan gehört zum Northern Distribution Network (NDN), mit dem die NATO ihre Truppen in Afghanistan versorgt. Deutschland betreibt in Termes den einzigen Stützpunkt in Usbekistan zur Versorgung des Afghanistan-Kontingents, denn die US-Truppen mussten 2005 ihre usbekische Militärbasis Karschi-Khanabad räumen und auf den weiter entfernten Stützpunkt Manas in Kirgistan ausweichen.

Da die bisherige NATO-Hauptversorgungsader nach Afghanistan über Pakistan durch den dortigen Bürgerkrieg zunehmend unter Druck gerät, wächst die Bedeutung Usbekistans. Und ohne Karimows Entgegenkommen wäre auch das Northern Distribution Network gefährdet.

Es scheint, die Argumente sind auf Karimows Seite und Europa hat dies verstanden. Für die Chefredakteurin von uznews.net jedoch ist der Empfang in Brüssel ein Eingeständnis Europas, sich den Machtspielen Karimows zu beugen. "Der Besuch zeigt, wie kraftlos die Europäische Union tatsächlich ist."

Edda Schlager

© Qantara.de 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de
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